Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

IV.
Die Wahrheit
der Gewissheit seiner selbst.


In den bisherigen Weisen der Gewissheit ist dem
Bewusstseyn das Wahre, etwas anderes, als es
selbst. Der Begriff dieses Wahren verschwindet
aber in der Erfahrung von ihm; wie der Gegen-
stand unmittelbar an sich war, das Seyende der sinn-
lichen Gewissheit, das concrete Ding der Wahrneh-
mung, die Krafft des Verstandes, so erweist er sich
vielmehr nicht in Wahrheit zu seyn, sondern diss
Ansich ergibt sich als eine Weise, wie er nur für
ein anderes ist; der Begriff von ihm hebt sich an dem
wirklichen Gegenstande auf, oder die erste unmit-
telbare Vorstellung in der Erfahrung, und die Ge-
wissheit ging in der Wahrheit verloren. Nunmehr
aber ist diss entstanden, was in diesen frühern Ver-
hältnissen nicht zu Stande kam, nemlich eine Gewiss-
heit, welche ihrer Wahrheit gleich ist, denn die Ge-
wissheit ist sich selbst ihr Gegenstand, und das Be-
wusstseyn ist sich selbst das Wahre. Es ist darin
zwar auch ein Andersseyn; das Bewusstseyn unter-
scheidet nemlich, aber ein solches, das für es zu-


IV.
Die Wahrheit
der Gewiſsheit seiner selbst.


In den bisherigen Weisen der Gewiſsheit ist dem
Bewuſstseyn das Wahre, etwas anderes, als es
selbst. Der Begriff dieses Wahren verschwindet
aber in der Erfahrung von ihm; wie der Gegen-
stand unmittelbar an sich war, das Seyende der sinn-
lichen Gewiſsheit, das concrete Ding der Wahrneh-
mung, die Krafft des Verstandes, so erweist er sich
vielmehr nicht in Wahrheit zu seyn, sondern diſs
Ansich ergibt sich als eine Weise, wie er nur für
ein anderes ist; der Begriff von ihm hebt sich an dem
wirklichen Gegenstande auf, oder die erste unmit-
telbare Vorstellung in der Erfahrung, und die Ge-
wiſsheit ging in der Wahrheit verloren. Nunmehr
aber ist diſs entstanden, was in diesen frühern Ver-
hältnissen nicht zu Stande kam, nemlich eine Gewiſs-
heit, welche ihrer Wahrheit gleich ist, denn die Ge-
wiſsheit ist sich selbst ihr Gegenstand, und das Be-
wuſstseyn ist sich selbst das Wahre. Es ist darin
zwar auch ein Andersseyn; das Bewuſstseyn unter-
scheidet nemlich, aber ein solches, das für es zu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0210" n="101"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>IV.<lb/>
Die Wahrheit<lb/>
der Gewi&#x017F;sheit seiner selbst.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>n den bisherigen Weisen der Gewi&#x017F;sheit ist dem<lb/>
Bewu&#x017F;stseyn das Wahre, etwas anderes, als es<lb/>
selbst. Der Begriff dieses Wahren verschwindet<lb/>
aber in der Erfahrung von ihm; wie der Gegen-<lb/>
stand unmittelbar <hi rendition="#i">an sich</hi> war, das Seyende der sinn-<lb/>
lichen Gewi&#x017F;sheit, das concrete Ding der Wahrneh-<lb/>
mung, die Krafft des Verstandes, so erweist er sich<lb/>
vielmehr nicht in Wahrheit zu seyn, sondern di&#x017F;s<lb/><hi rendition="#i">Ansich</hi> ergibt sich als eine Weise, wie er nur für<lb/>
ein anderes ist; der Begriff von ihm hebt sich an dem<lb/>
wirklichen Gegenstande auf, oder die erste unmit-<lb/>
telbare Vorstellung in der Erfahrung, und die Ge-<lb/>
wi&#x017F;sheit ging in der Wahrheit verloren. Nunmehr<lb/>
aber ist di&#x017F;s entstanden, was in diesen frühern Ver-<lb/>
hältnissen nicht zu Stande kam, nemlich eine Gewi&#x017F;s-<lb/>
heit, welche ihrer Wahrheit gleich ist, denn die Ge-<lb/>
wi&#x017F;sheit ist sich selbst ihr Gegenstand, und das Be-<lb/>
wu&#x017F;stseyn ist sich selbst das Wahre. Es ist darin<lb/>
zwar auch ein Andersseyn; das Bewu&#x017F;stseyn unter-<lb/>
scheidet nemlich, aber ein solches, das für es zu-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0210] IV. Die Wahrheit der Gewiſsheit seiner selbst. In den bisherigen Weisen der Gewiſsheit ist dem Bewuſstseyn das Wahre, etwas anderes, als es selbst. Der Begriff dieses Wahren verschwindet aber in der Erfahrung von ihm; wie der Gegen- stand unmittelbar an sich war, das Seyende der sinn- lichen Gewiſsheit, das concrete Ding der Wahrneh- mung, die Krafft des Verstandes, so erweist er sich vielmehr nicht in Wahrheit zu seyn, sondern diſs Ansich ergibt sich als eine Weise, wie er nur für ein anderes ist; der Begriff von ihm hebt sich an dem wirklichen Gegenstande auf, oder die erste unmit- telbare Vorstellung in der Erfahrung, und die Ge- wiſsheit ging in der Wahrheit verloren. Nunmehr aber ist diſs entstanden, was in diesen frühern Ver- hältnissen nicht zu Stande kam, nemlich eine Gewiſs- heit, welche ihrer Wahrheit gleich ist, denn die Ge- wiſsheit ist sich selbst ihr Gegenstand, und das Be- wuſstseyn ist sich selbst das Wahre. Es ist darin zwar auch ein Andersseyn; das Bewuſstseyn unter- scheidet nemlich, aber ein solches, das für es zu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/210
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/210>, abgerufen am 22.11.2024.