Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Qualität.
Sinne des Vorstellens gegen die Wirklichkeit nehmen)
der Fall, in dessen Zusammenhange das Seyn oder die
Abwesenheit eines Inhalts, der als bestimmt mit ande-
rem in Beziehung steht, nicht gleichgültig ist. -- Denn
überhaupt fängt nur erst in der Bestimmtheit der reale
Unterschied an: das unbestimmte Seyn und Nichts hat
ihn noch nicht an ihm, sondern nur den gemeynten Un-
terschied.

Diese Betrachtung enthält dasselbe, was ein Haupt-
moment in der Kantischen Kritik des ontologischen Be-
weises vom Daseyn Gottes ausmacht; näher ist übrigens
diese Kritik erst beym Gegensatze des Begriffes und der
Existenz zu betrachten. -- Bekanntlich wurde in diesem
sogenannten Beweise der Begriff eines Wesens voraus-
gesetzt, dem alle Realitäten zukommen, somit auch die
Existenz, die gleichfalls als eine der Realitäten ange-
nommen wurde. Die Kantische Kritik hielt sich vornem-
lich daran, daß die Existenz keine Eigenschaft oder
kein reales Prädikat sey, das heisse, nicht ein
Begriff von etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges
hinzukommen könne. -- Kant will damit sagen, daß
Seyn keine Inhaltsbestimmung sey. -- Also enthalte,
fährt er fort, das Mögliche nicht mehr als das Wirk-
liche; hundert wirkliche Thaler enthalten nicht das Min-
deste mehr, als hundert mögliche; -- nemlich jene ha-
ben keine andere Inhaltsbestimmung als diese. Es ist
für diesen als isolirt betrachteten Inhalt gleichgültig, zu
seyn oder nicht zu seyn; es liegt in ihm kein Unterschied
des Seyns oder Nichtseyns, dieser Unterschied berührt
ihn überhaupt gar nicht; die hundert Thaler werden
nicht weniger, wenn sie nicht sind, und nicht [m]ehr,
wenn sie sind. Der Unterschied muß erst [ - 2 Zeichen fehlen]derswoher
kommen. -- "Hingegen, erinnert Kant, in meinem
Vermögenszustande ist mehr bey hundert wirklichen Tha-

lern,

Qualitaͤt.
Sinne des Vorſtellens gegen die Wirklichkeit nehmen)
der Fall, in deſſen Zuſammenhange das Seyn oder die
Abweſenheit eines Inhalts, der als beſtimmt mit ande-
rem in Beziehung ſteht, nicht gleichguͤltig iſt. — Denn
uͤberhaupt faͤngt nur erſt in der Beſtimmtheit der reale
Unterſchied an: das unbeſtimmte Seyn und Nichts hat
ihn noch nicht an ihm, ſondern nur den gemeynten Un-
terſchied.

Dieſe Betrachtung enthaͤlt daſſelbe, was ein Haupt-
moment in der Kantiſchen Kritik des ontologiſchen Be-
weiſes vom Daſeyn Gottes ausmacht; naͤher iſt uͤbrigens
dieſe Kritik erſt beym Gegenſatze des Begriffes und der
Exiſtenz zu betrachten. — Bekanntlich wurde in dieſem
ſogenannten Beweiſe der Begriff eines Weſens voraus-
geſetzt, dem alle Realitaͤten zukommen, ſomit auch die
Exiſtenz, die gleichfalls als eine der Realitaͤten ange-
nommen wurde. Die Kantiſche Kritik hielt ſich vornem-
lich daran, daß die Exiſtenz keine Eigenſchaft oder
kein reales Praͤdikat ſey, das heiſſe, nicht ein
Begriff von etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges
hinzukommen koͤnne. — Kant will damit ſagen, daß
Seyn keine Inhaltsbeſtimmung ſey. — Alſo enthalte,
faͤhrt er fort, das Moͤgliche nicht mehr als das Wirk-
liche; hundert wirkliche Thaler enthalten nicht das Min-
deſte mehr, als hundert moͤgliche; — nemlich jene ha-
ben keine andere Inhaltsbeſtimmung als dieſe. Es iſt
fuͤr dieſen als iſolirt betrachteten Inhalt gleichguͤltig, zu
ſeyn oder nicht zu ſeyn; es liegt in ihm kein Unterſchied
des Seyns oder Nichtſeyns, dieſer Unterſchied beruͤhrt
ihn uͤberhaupt gar nicht; die hundert Thaler werden
nicht weniger, wenn ſie nicht ſind, und nicht [m]ehr,
wenn ſie ſind. Der Unterſchied muß erſt [ – 2 Zeichen fehlen]derswoher
kommen. — „Hingegen, erinnert Kant, in meinem
Vermoͤgenszuſtande iſt mehr bey hundert wirklichen Tha-

lern,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0075" n="27"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Qualita&#x0364;t</hi>.</fw><lb/>
Sinne des Vor&#x017F;tellens gegen die Wirklichkeit nehmen)<lb/>
der Fall, in de&#x017F;&#x017F;en Zu&#x017F;ammenhange das Seyn oder die<lb/>
Abwe&#x017F;enheit eines Inhalts, der als be&#x017F;timmt mit ande-<lb/>
rem in Beziehung &#x017F;teht, nicht gleichgu&#x0364;ltig i&#x017F;t. &#x2014; Denn<lb/>
u&#x0364;berhaupt fa&#x0364;ngt nur er&#x017F;t in der Be&#x017F;timmtheit der reale<lb/>
Unter&#x017F;chied an: das unbe&#x017F;timmte Seyn und Nichts hat<lb/>
ihn noch nicht an ihm, &#x017F;ondern nur den gemeynten Un-<lb/>
ter&#x017F;chied.</p><lb/>
                    <p>Die&#x017F;e Betrachtung entha&#x0364;lt da&#x017F;&#x017F;elbe, was ein Haupt-<lb/>
moment in der Kanti&#x017F;chen Kritik des ontologi&#x017F;chen Be-<lb/>
wei&#x017F;es vom Da&#x017F;eyn Gottes ausmacht; na&#x0364;her i&#x017F;t u&#x0364;brigens<lb/>
die&#x017F;e Kritik er&#x017F;t beym Gegen&#x017F;atze des Begriffes und der<lb/>
Exi&#x017F;tenz zu betrachten. &#x2014; Bekanntlich wurde in die&#x017F;em<lb/>
&#x017F;ogenannten Bewei&#x017F;e der Begriff eines We&#x017F;ens voraus-<lb/>
ge&#x017F;etzt, dem alle Realita&#x0364;ten zukommen, &#x017F;omit auch die<lb/>
Exi&#x017F;tenz, die gleichfalls als eine der Realita&#x0364;ten ange-<lb/>
nommen wurde. Die Kanti&#x017F;che Kritik hielt &#x017F;ich vornem-<lb/>
lich daran, daß die <hi rendition="#g">Exi&#x017F;tenz</hi> keine <hi rendition="#g">Eigen&#x017F;chaft</hi> oder<lb/>
kein <hi rendition="#g">reales Pra&#x0364;dikat</hi> &#x017F;ey, das hei&#x017F;&#x017F;e, nicht ein<lb/>
Begriff von etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges<lb/>
hinzukommen ko&#x0364;nne. &#x2014; Kant will damit &#x017F;agen, daß<lb/>
Seyn keine Inhaltsbe&#x017F;timmung &#x017F;ey. &#x2014; Al&#x017F;o enthalte,<lb/>
fa&#x0364;hrt er fort, das Mo&#x0364;gliche nicht mehr als das Wirk-<lb/>
liche; hundert wirkliche Thaler enthalten nicht das Min-<lb/>
de&#x017F;te mehr, als hundert mo&#x0364;gliche; &#x2014; nemlich jene ha-<lb/>
ben keine andere Inhaltsbe&#x017F;timmung als die&#x017F;e. Es i&#x017F;t<lb/>
fu&#x0364;r die&#x017F;en als i&#x017F;olirt betrachteten Inhalt gleichgu&#x0364;ltig, zu<lb/>
&#x017F;eyn oder nicht zu &#x017F;eyn; es liegt in ihm kein Unter&#x017F;chied<lb/>
des Seyns oder Nicht&#x017F;eyns, die&#x017F;er Unter&#x017F;chied beru&#x0364;hrt<lb/>
ihn u&#x0364;berhaupt gar nicht; die hundert Thaler werden<lb/>
nicht weniger, wenn &#x017F;ie nicht &#x017F;ind, und nicht <supplied>m</supplied>ehr,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ind. Der Unter&#x017F;chied muß er&#x017F;t <gap unit="chars" quantity="2"/>derswoher<lb/>
kommen. &#x2014; &#x201E;Hingegen, erinnert Kant, in meinem<lb/>
Vermo&#x0364;genszu&#x017F;tande i&#x017F;t mehr bey hundert wirklichen Tha-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lern,</fw><lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0075] Qualitaͤt. Sinne des Vorſtellens gegen die Wirklichkeit nehmen) der Fall, in deſſen Zuſammenhange das Seyn oder die Abweſenheit eines Inhalts, der als beſtimmt mit ande- rem in Beziehung ſteht, nicht gleichguͤltig iſt. — Denn uͤberhaupt faͤngt nur erſt in der Beſtimmtheit der reale Unterſchied an: das unbeſtimmte Seyn und Nichts hat ihn noch nicht an ihm, ſondern nur den gemeynten Un- terſchied. Dieſe Betrachtung enthaͤlt daſſelbe, was ein Haupt- moment in der Kantiſchen Kritik des ontologiſchen Be- weiſes vom Daſeyn Gottes ausmacht; naͤher iſt uͤbrigens dieſe Kritik erſt beym Gegenſatze des Begriffes und der Exiſtenz zu betrachten. — Bekanntlich wurde in dieſem ſogenannten Beweiſe der Begriff eines Weſens voraus- geſetzt, dem alle Realitaͤten zukommen, ſomit auch die Exiſtenz, die gleichfalls als eine der Realitaͤten ange- nommen wurde. Die Kantiſche Kritik hielt ſich vornem- lich daran, daß die Exiſtenz keine Eigenſchaft oder kein reales Praͤdikat ſey, das heiſſe, nicht ein Begriff von etwas, was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen koͤnne. — Kant will damit ſagen, daß Seyn keine Inhaltsbeſtimmung ſey. — Alſo enthalte, faͤhrt er fort, das Moͤgliche nicht mehr als das Wirk- liche; hundert wirkliche Thaler enthalten nicht das Min- deſte mehr, als hundert moͤgliche; — nemlich jene ha- ben keine andere Inhaltsbeſtimmung als dieſe. Es iſt fuͤr dieſen als iſolirt betrachteten Inhalt gleichguͤltig, zu ſeyn oder nicht zu ſeyn; es liegt in ihm kein Unterſchied des Seyns oder Nichtſeyns, dieſer Unterſchied beruͤhrt ihn uͤberhaupt gar nicht; die hundert Thaler werden nicht weniger, wenn ſie nicht ſind, und nicht mehr, wenn ſie ſind. Der Unterſchied muß erſt __derswoher kommen. — „Hingegen, erinnert Kant, in meinem Vermoͤgenszuſtande iſt mehr bey hundert wirklichen Tha- lern,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/75
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/75>, abgerufen am 05.05.2024.