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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 28.
im Fall des Conflicts zu befolgen, und es dürfen davon bei
wirklichen Staatsangelegenheiten keine Ausnahmen gemacht
werden. Selbst verwandtschaftliche Rücksichten berechtigen
außerhalb des Familienverkehrs nicht dazu, sondern es ist
die strengste Neutralität zu beobachten. 1
V. Der Rang, den ein Staat und seine Repräsentanten einmal
erlangt haben, wird durch die etwa erfolgende Verfassungs-
änderung, namentlich in der Personificirung der höchsten
Staatsgewalt, in der Regel nicht verloren; 2 es müßte denn
eine Veränderung des Staatstitels damit verbunden sein,
welche nach entschiedenem Herkommen das Nachstehen gegen
anders titulirte begründet (Nr. II.).
VI. Kein Souverän kann von anderen Staaten die Anerkennung
der von ihm verliehenen Standestitel und Würden erwar-
ten, welche seinen eigenen gleichen oder darüber hinausgehen. 3
Anm. Ansprüche auf Vorrang und Streitigkeiten darüber ergaben sich be-
reits im Mittelalter auf den Concilien unter den Abgesandten der verschiede-
nen Nationen. Dadurch und durch den regen Verkehr der weltlichen Mächte
mit dem Römischen Stuhl erhielten die Päbste Gelegenheit, ihre Autorität
geltend zu machen, und die Rangordnung der Fürsten ist von ihnen mehrmals
bestimmt worden. Unter anderen von Julius II., im J. 1504, wonach fol-
gender Klimax gebildet war: der Römische Kaiser, der Römische König, der
König von Frankreich, Spanien, Arragonien, Portugal, England, Sicilien,
Schottland, Ungarn, Navarra, Cypern, Böhmen, Polen, Dänemark; die Re-
publik Venedig, der Herzog von Bretagne, von Burgund; die Kurfürsten von
Bayern, Sachsen und Brandenburg, der Erzherzog von Oesterreich, der Her-
zog von Savoyen, der Großherzog von Florenz, der Herzog von Mailand,
von Bayern, Lothringen u. s. w. Die Verbindlichkeit dieser und ähnlicher
Bestimmungen ist niemals allgemein anerkannt. Eben so sind mehrere ver-
tragsmäßige Bestimmungen unter einzelnen Regierungen mit der Zeit und
durch veränderte Umstände hinfällig geworden.
Die verschiedenen Prätensionen und Rangstreitigkeiten einzelner Mächte sind
in den obigen Schriften (zu §. 28.) vermerkt, in der Kürze bei Günther
§. 18 f. Der ritterliche Freimuth Gustav Adolphs von Schweden und der

1 Günther I, 269.
2 Vattel, II, 3, 39. Günther I, 208. Klüber §. 99. Beispiele liefert die
Britische Commonwealth unter Cromwell, Frankreich als Republik, z. B. im
Frieden v. Campo Formio Art. 23. Wheaton I, 196.
3 Es wäre z. B. paralogistisch und gegen alles Herkommen, wenn ein souve-
räner Fürst ohne Königliche Ehren einen Unterthanen zum Fürsten oder
Herzog creiren wollte. Vgl. Klüber's öffentl. R. des D. Bundes §. 497.
I. a. E.
Erſtes Buch. §. 28.
im Fall des Conflicts zu befolgen, und es dürfen davon bei
wirklichen Staatsangelegenheiten keine Ausnahmen gemacht
werden. Selbſt verwandtſchaftliche Rückſichten berechtigen
außerhalb des Familienverkehrs nicht dazu, ſondern es iſt
die ſtrengſte Neutralität zu beobachten. 1
V. Der Rang, den ein Staat und ſeine Repräſentanten einmal
erlangt haben, wird durch die etwa erfolgende Verfaſſungs-
änderung, namentlich in der Perſonificirung der höchſten
Staatsgewalt, in der Regel nicht verloren; 2 es müßte denn
eine Veränderung des Staatstitels damit verbunden ſein,
welche nach entſchiedenem Herkommen das Nachſtehen gegen
anders titulirte begründet (Nr. II.).
VI. Kein Souverän kann von anderen Staaten die Anerkennung
der von ihm verliehenen Standestitel und Würden erwar-
ten, welche ſeinen eigenen gleichen oder darüber hinausgehen. 3
Anm. Anſprüche auf Vorrang und Streitigkeiten darüber ergaben ſich be-
reits im Mittelalter auf den Concilien unter den Abgeſandten der verſchiede-
nen Nationen. Dadurch und durch den regen Verkehr der weltlichen Mächte
mit dem Römiſchen Stuhl erhielten die Päbſte Gelegenheit, ihre Autorität
geltend zu machen, und die Rangordnung der Fürſten iſt von ihnen mehrmals
beſtimmt worden. Unter anderen von Julius II., im J. 1504, wonach fol-
gender Klimax gebildet war: der Römiſche Kaiſer, der Römiſche König, der
König von Frankreich, Spanien, Arragonien, Portugal, England, Sicilien,
Schottland, Ungarn, Navarra, Cypern, Böhmen, Polen, Dänemark; die Re-
publik Venedig, der Herzog von Bretagne, von Burgund; die Kurfürſten von
Bayern, Sachſen und Brandenburg, der Erzherzog von Oeſterreich, der Her-
zog von Savoyen, der Großherzog von Florenz, der Herzog von Mailand,
von Bayern, Lothringen u. ſ. w. Die Verbindlichkeit dieſer und ähnlicher
Beſtimmungen iſt niemals allgemein anerkannt. Eben ſo ſind mehrere ver-
tragsmäßige Beſtimmungen unter einzelnen Regierungen mit der Zeit und
durch veränderte Umſtände hinfällig geworden.
Die verſchiedenen Prätenſionen und Rangſtreitigkeiten einzelner Mächte ſind
in den obigen Schriften (zu §. 28.) vermerkt, in der Kürze bei Günther
§. 18 f. Der ritterliche Freimuth Guſtav Adolphs von Schweden und der

1 Günther I, 269.
2 Vattel, II, 3, 39. Günther I, 208. Klüber §. 99. Beiſpiele liefert die
Britiſche Commonwealth unter Cromwell, Frankreich als Republik, z. B. im
Frieden v. Campo Formio Art. 23. Wheaton I, 196.
3 Es wäre z. B. paralogiſtiſch und gegen alles Herkommen, wenn ein ſouve-
räner Fürſt ohne Königliche Ehren einen Unterthanen zum Fürſten oder
Herzog creiren wollte. Vgl. Klüber’s öffentl. R. des D. Bundes §. 497.
I. a. E.
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[48/0072] Erſtes Buch. §. 28. im Fall des Conflicts zu befolgen, und es dürfen davon bei wirklichen Staatsangelegenheiten keine Ausnahmen gemacht werden. Selbſt verwandtſchaftliche Rückſichten berechtigen außerhalb des Familienverkehrs nicht dazu, ſondern es iſt die ſtrengſte Neutralität zu beobachten. 1 V. Der Rang, den ein Staat und ſeine Repräſentanten einmal erlangt haben, wird durch die etwa erfolgende Verfaſſungs- änderung, namentlich in der Perſonificirung der höchſten Staatsgewalt, in der Regel nicht verloren; 2 es müßte denn eine Veränderung des Staatstitels damit verbunden ſein, welche nach entſchiedenem Herkommen das Nachſtehen gegen anders titulirte begründet (Nr. II.). VI. Kein Souverän kann von anderen Staaten die Anerkennung der von ihm verliehenen Standestitel und Würden erwar- ten, welche ſeinen eigenen gleichen oder darüber hinausgehen. 3 Anm. Anſprüche auf Vorrang und Streitigkeiten darüber ergaben ſich be- reits im Mittelalter auf den Concilien unter den Abgeſandten der verſchiede- nen Nationen. Dadurch und durch den regen Verkehr der weltlichen Mächte mit dem Römiſchen Stuhl erhielten die Päbſte Gelegenheit, ihre Autorität geltend zu machen, und die Rangordnung der Fürſten iſt von ihnen mehrmals beſtimmt worden. Unter anderen von Julius II., im J. 1504, wonach fol- gender Klimax gebildet war: der Römiſche Kaiſer, der Römiſche König, der König von Frankreich, Spanien, Arragonien, Portugal, England, Sicilien, Schottland, Ungarn, Navarra, Cypern, Böhmen, Polen, Dänemark; die Re- publik Venedig, der Herzog von Bretagne, von Burgund; die Kurfürſten von Bayern, Sachſen und Brandenburg, der Erzherzog von Oeſterreich, der Her- zog von Savoyen, der Großherzog von Florenz, der Herzog von Mailand, von Bayern, Lothringen u. ſ. w. Die Verbindlichkeit dieſer und ähnlicher Beſtimmungen iſt niemals allgemein anerkannt. Eben ſo ſind mehrere ver- tragsmäßige Beſtimmungen unter einzelnen Regierungen mit der Zeit und durch veränderte Umſtände hinfällig geworden. Die verſchiedenen Prätenſionen und Rangſtreitigkeiten einzelner Mächte ſind in den obigen Schriften (zu §. 28.) vermerkt, in der Kürze bei Günther §. 18 f. Der ritterliche Freimuth Guſtav Adolphs von Schweden und der 1 Günther I, 269. 2 Vattel, II, 3, 39. Günther I, 208. Klüber §. 99. Beiſpiele liefert die Britiſche Commonwealth unter Cromwell, Frankreich als Republik, z. B. im Frieden v. Campo Formio Art. 23. Wheaton I, 196. 3 Es wäre z. B. paralogiſtiſch und gegen alles Herkommen, wenn ein ſouve- räner Fürſt ohne Königliche Ehren einen Unterthanen zum Fürſten oder Herzog creiren wollte. Vgl. Klüber’s öffentl. R. des D. Bundes §. 497. I. a. E.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/72>, abgerufen am 23.11.2024.