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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 24.

gals von Spanien, der Nordamerikanischen Colonialländer von Großbritan-
nien, der Südamerikanischen Staaten von Spanien, Griechenlands von der
Türkei, Belgiens vom Königreich der Niederlande. Wichtig sind in dieser
Beziehung vorzüglich die Verhandlungen zwischen Großbritannien und Frank-
reich über dessen Anerkennung der Nordamerikanischen Unabhängigkeit. S.
Ch. de Martens, nouv. causes celebres. t. I. 1843. p. 370--498; dann das
Verhalten der Europäischen Höfe in Bezug auf die Südamerikanischen Staa-
ten. Unter den Publicisten, welche die Frage größtentheils auch im obigen
Sinne beantworten, nennen wir Moser, Versuch des n. E. Völkerr. VI,
126 f. Günther, Völkerr. I, 76. Schmalz, Völkerr. S. 36 f. Klüber, dr.
des gens. §. 23. Wheaton, intern. L. I, 1, 2. §. 19. p.
96. Die mehr
staatsrechtliche Frage, ob und unter welchen Umständen es einem Theile ei-
nes Staates erlaubt sei, sich von dem Ganzen loszureißen, ist schon in älte-
rer Zeit (z. B. von H. Groot III, 20, 41, 2. und seinem Commentator H.
Cocceji zu II, 5, 24, 2; ferner v. Pufendorf J. N. et G. VIII, 11. §. 4.)
berührt, in neuerer Zeit aber begreiflicher Weise sehr verschiedentlich beant-
wortet worden. Von Einmischungen in solche Begebenheiten Seitens dritter
Staaten wird weiterhin die Rede sein.

24. Staaten entstehen, wachsen, altern und vergehen, wie der
einzelne Mensch; unsterblich ist der Staat nur in seinem Begriff
und als Motif; unsterblich der Einzelstaat höchstens in dem Sinn,
daß er nicht von der physischen Existenz bestimmter Glieder abhän-
gig ist, sondern so lange besteht, als sich neue Glieder in ihm re-
produciren. 1 Im Uebrigen ist er vergänglich wie alles Irdische,
und seine Macht nicht über sich selbst hinausreichend. Wann nun
ein Einzelstaat aufhöre zu existiren, ist darum keine unpraktische Frage,
weil mit der Existenz die davon abhängigen Rechtsverhältnisse er-
löschen müssen. Als oberster Grundsatz muß hier gelten:
Jeder souveräne Einzelstaat besteht so lange, als er noch un-
ter irgend einer Form die wesentlichen Bedingungen oder Ele-
mente eines Staatsverbandes (§. 16.) bewahrt, als mithin
eine für sich seiende und dazu ferner fähige, sich selbst repro-
ducirende Gemeinde vorhanden ist, gleichviel, ob sie sich aus
sich selbst durch Fortpflanzung oder anderswoher durch Ein-
wandrer forterzeugt.

Er erlischt also völlig:

durch gänzliches Aussterben oder physische Vernichtung aller
Staatsgenossen;

1 Respublica aeterna. Universitas non moritur sed conservatur in uno.
Weitläuftige gelehrte Nachweisungen dieses Satzes aus den Alten, deren
wir nicht weiter bedürfen, s. bei Groot J. B. ac P. II, 9, 3. u. Pufen-
dorf J. N. et G. VIII, 12, 7.
Erſtes Buch. §. 24.

gals von Spanien, der Nordamerikaniſchen Colonialländer von Großbritan-
nien, der Südamerikaniſchen Staaten von Spanien, Griechenlands von der
Türkei, Belgiens vom Königreich der Niederlande. Wichtig ſind in dieſer
Beziehung vorzüglich die Verhandlungen zwiſchen Großbritannien und Frank-
reich über deſſen Anerkennung der Nordamerikaniſchen Unabhängigkeit. S.
Ch. de Martens, nouv. causes célèbres. t. I. 1843. p. 370—498; dann das
Verhalten der Europäiſchen Höfe in Bezug auf die Südamerikaniſchen Staa-
ten. Unter den Publiciſten, welche die Frage größtentheils auch im obigen
Sinne beantworten, nennen wir Moſer, Verſuch des n. E. Völkerr. VI,
126 f. Günther, Völkerr. I, 76. Schmalz, Völkerr. S. 36 f. Klüber, dr.
des gens. §. 23. Wheaton, intern. L. I, 1, 2. §. 19. p.
96. Die mehr
ſtaatsrechtliche Frage, ob und unter welchen Umſtänden es einem Theile ei-
nes Staates erlaubt ſei, ſich von dem Ganzen loszureißen, iſt ſchon in älte-
rer Zeit (z. B. von H. Groot III, 20, 41, 2. und ſeinem Commentator H.
Cocceji zu II, 5, 24, 2; ferner v. Pufendorf J. N. et G. VIII, 11. §. 4.)
berührt, in neuerer Zeit aber begreiflicher Weiſe ſehr verſchiedentlich beant-
wortet worden. Von Einmiſchungen in ſolche Begebenheiten Seitens dritter
Staaten wird weiterhin die Rede ſein.

24. Staaten entſtehen, wachſen, altern und vergehen, wie der
einzelne Menſch; unſterblich iſt der Staat nur in ſeinem Begriff
und als Motif; unſterblich der Einzelſtaat höchſtens in dem Sinn,
daß er nicht von der phyſiſchen Exiſtenz beſtimmter Glieder abhän-
gig iſt, ſondern ſo lange beſteht, als ſich neue Glieder in ihm re-
produciren. 1 Im Uebrigen iſt er vergänglich wie alles Irdiſche,
und ſeine Macht nicht über ſich ſelbſt hinausreichend. Wann nun
ein Einzelſtaat aufhöre zu exiſtiren, iſt darum keine unpraktiſche Frage,
weil mit der Exiſtenz die davon abhängigen Rechtsverhältniſſe er-
löſchen müſſen. Als oberſter Grundſatz muß hier gelten:
Jeder ſouveräne Einzelſtaat beſteht ſo lange, als er noch un-
ter irgend einer Form die weſentlichen Bedingungen oder Ele-
mente eines Staatsverbandes (§. 16.) bewahrt, als mithin
eine für ſich ſeiende und dazu ferner fähige, ſich ſelbſt repro-
ducirende Gemeinde vorhanden iſt, gleichviel, ob ſie ſich aus
ſich ſelbſt durch Fortpflanzung oder anderswoher durch Ein-
wandrer forterzeugt.

Er erliſcht alſo völlig:

durch gänzliches Ausſterben oder phyſiſche Vernichtung aller
Staatsgenoſſen;

1 Respublica aeterna. Universitas non moritur sed conservatur in uno.
Weitläuftige gelehrte Nachweiſungen dieſes Satzes aus den Alten, deren
wir nicht weiter bedürfen, ſ. bei Groot J. B. ac P. II, 9, 3. u. Pufen-
dorf J. N. et G. VIII, 12, 7.
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[40/0064] Erſtes Buch. §. 24. gals von Spanien, der Nordamerikaniſchen Colonialländer von Großbritan- nien, der Südamerikaniſchen Staaten von Spanien, Griechenlands von der Türkei, Belgiens vom Königreich der Niederlande. Wichtig ſind in dieſer Beziehung vorzüglich die Verhandlungen zwiſchen Großbritannien und Frank- reich über deſſen Anerkennung der Nordamerikaniſchen Unabhängigkeit. S. Ch. de Martens, nouv. causes célèbres. t. I. 1843. p. 370—498; dann das Verhalten der Europäiſchen Höfe in Bezug auf die Südamerikaniſchen Staa- ten. Unter den Publiciſten, welche die Frage größtentheils auch im obigen Sinne beantworten, nennen wir Moſer, Verſuch des n. E. Völkerr. VI, 126 f. Günther, Völkerr. I, 76. Schmalz, Völkerr. S. 36 f. Klüber, dr. des gens. §. 23. Wheaton, intern. L. I, 1, 2. §. 19. p. 96. Die mehr ſtaatsrechtliche Frage, ob und unter welchen Umſtänden es einem Theile ei- nes Staates erlaubt ſei, ſich von dem Ganzen loszureißen, iſt ſchon in älte- rer Zeit (z. B. von H. Groot III, 20, 41, 2. und ſeinem Commentator H. Cocceji zu II, 5, 24, 2; ferner v. Pufendorf J. N. et G. VIII, 11. §. 4.) berührt, in neuerer Zeit aber begreiflicher Weiſe ſehr verſchiedentlich beant- wortet worden. Von Einmiſchungen in ſolche Begebenheiten Seitens dritter Staaten wird weiterhin die Rede ſein. 24. Staaten entſtehen, wachſen, altern und vergehen, wie der einzelne Menſch; unſterblich iſt der Staat nur in ſeinem Begriff und als Motif; unſterblich der Einzelſtaat höchſtens in dem Sinn, daß er nicht von der phyſiſchen Exiſtenz beſtimmter Glieder abhän- gig iſt, ſondern ſo lange beſteht, als ſich neue Glieder in ihm re- produciren. 1 Im Uebrigen iſt er vergänglich wie alles Irdiſche, und ſeine Macht nicht über ſich ſelbſt hinausreichend. Wann nun ein Einzelſtaat aufhöre zu exiſtiren, iſt darum keine unpraktiſche Frage, weil mit der Exiſtenz die davon abhängigen Rechtsverhältniſſe er- löſchen müſſen. Als oberſter Grundſatz muß hier gelten: Jeder ſouveräne Einzelſtaat beſteht ſo lange, als er noch un- ter irgend einer Form die weſentlichen Bedingungen oder Ele- mente eines Staatsverbandes (§. 16.) bewahrt, als mithin eine für ſich ſeiende und dazu ferner fähige, ſich ſelbſt repro- ducirende Gemeinde vorhanden iſt, gleichviel, ob ſie ſich aus ſich ſelbſt durch Fortpflanzung oder anderswoher durch Ein- wandrer forterzeugt. Er erliſcht alſo völlig: durch gänzliches Ausſterben oder phyſiſche Vernichtung aller Staatsgenoſſen; 1 Respublica aeterna. Universitas non moritur sed conservatur in uno. Weitläuftige gelehrte Nachweiſungen dieſes Satzes aus den Alten, deren wir nicht weiter bedürfen, ſ. bei Groot J. B. ac P. II, 9, 3. u. Pufen- dorf J. N. et G. VIII, 12, 7.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/64>, abgerufen am 03.05.2024.