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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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denn noch ist ein großer, herrlicher Küstenstrich der gemeinsamen
Benutzung verschlossen; es hat darum selbst an Mitteln gefehlt,
von einem fremden Mischlingsvolk, dem der deutsche Sinn seine
Liebe zugewendet und viel geopfert hatte, Genugthuung für den
Hohn zu fordern, womit es Deutschlands Söhne nackt und elend
wieder von sich gestoßen hat.

Zunächst wird immerhin das Dasein zweier Großmächte, welche
Deutschland selbst nur theilweise angehören, im Bunde mit den
rein deutschen Substanzen das Ganze, wie es ist, aufrecht erhalten.
Ein anderer Zustand wird sich nur durch dereinstige gewaltige Er-
schütterungen von außen her, vielleicht auch durch einzelne freiwillige
Selbstaufopferungen und Zufälligkeiten gestalten. Aber auch wie
es ist, hat es kein Untergehen im Kampfe mit anderen Nationen
zu befürchten, mit seiner Genügsamkeit, Ausdauer und geistigen Be-
wegung. Seine gefährlichste Lage wäre ein Compromiß Frank-
reichs und Rußlands, jenem die Rheingrenze, diesem eine altslavi-
sche Grenze zu verschaffen, wenn beiden eine solche gegenseitige An-
näherung erwünscht scheinen könnte, wenn Frankreich thöricht ge-
nug sein wollte, für die Folge sich selbst, so wie Italien den An-
griffen des Slavismus und Rom der griechischen Kirche Preis zu
geben. Und selbst wider ein derartiges Compromiß hätte Deutsch-
land Kräfte genug, wenn der Bund fortfährt sich militärisch zu ent-
wickeln, die in der Staatenzersplitterung schlummernde National-
kraft für das große Ganze heranzuziehen, seine Grenzen, darunter
auch künftig die Seegrenze, gehörig zu sichern. Bundesgenossen
germanischer Brudervölker würden in solchem Kampfe um das Herz
Europas nicht fehlen.



Eine völlige Umkehr oder Zerstörung aller oder einzelner na-
tionaler Verhältnisse ist vorerst nicht absehbar. Keine der Groß-
mächte, welche eine erobernde Tendenz haben, ist stark genug um
eine andere geschlossene Nation niederzuschlagen und zu vernichten;
keine unter ihnen giebt es, deren Joch nicht auf die Dauer uner-
träglich sein würde. Hier Knechtschaft; dort Geiz und Uebermuth.



Bisher haben wir die Dinge nur aus dem Standpunct der
gemeinen oder Alltagspolitik betrachtet. Erheben wir uns auf ei-
nen höheren Standpunct: sollte dereinst den Leitern der Politik es

Anhang.
denn noch iſt ein großer, herrlicher Küſtenſtrich der gemeinſamen
Benutzung verſchloſſen; es hat darum ſelbſt an Mitteln gefehlt,
von einem fremden Miſchlingsvolk, dem der deutſche Sinn ſeine
Liebe zugewendet und viel geopfert hatte, Genugthuung für den
Hohn zu fordern, womit es Deutſchlands Söhne nackt und elend
wieder von ſich geſtoßen hat.

Zunächſt wird immerhin das Daſein zweier Großmächte, welche
Deutſchland ſelbſt nur theilweiſe angehören, im Bunde mit den
rein deutſchen Subſtanzen das Ganze, wie es iſt, aufrecht erhalten.
Ein anderer Zuſtand wird ſich nur durch dereinſtige gewaltige Er-
ſchütterungen von außen her, vielleicht auch durch einzelne freiwillige
Selbſtaufopferungen und Zufälligkeiten geſtalten. Aber auch wie
es iſt, hat es kein Untergehen im Kampfe mit anderen Nationen
zu befürchten, mit ſeiner Genügſamkeit, Ausdauer und geiſtigen Be-
wegung. Seine gefährlichſte Lage wäre ein Compromiß Frank-
reichs und Rußlands, jenem die Rheingrenze, dieſem eine altſlavi-
ſche Grenze zu verſchaffen, wenn beiden eine ſolche gegenſeitige An-
näherung erwünſcht ſcheinen könnte, wenn Frankreich thöricht ge-
nug ſein wollte, für die Folge ſich ſelbſt, ſo wie Italien den An-
griffen des Slavismus und Rom der griechiſchen Kirche Preis zu
geben. Und ſelbſt wider ein derartiges Compromiß hätte Deutſch-
land Kräfte genug, wenn der Bund fortfährt ſich militäriſch zu ent-
wickeln, die in der Staatenzerſplitterung ſchlummernde National-
kraft für das große Ganze heranzuziehen, ſeine Grenzen, darunter
auch künftig die Seegrenze, gehörig zu ſichern. Bundesgenoſſen
germaniſcher Brudervölker würden in ſolchem Kampfe um das Herz
Europas nicht fehlen.



Eine völlige Umkehr oder Zerſtörung aller oder einzelner na-
tionaler Verhältniſſe iſt vorerſt nicht abſehbar. Keine der Groß-
mächte, welche eine erobernde Tendenz haben, iſt ſtark genug um
eine andere geſchloſſene Nation niederzuſchlagen und zu vernichten;
keine unter ihnen giebt es, deren Joch nicht auf die Dauer uner-
träglich ſein würde. Hier Knechtſchaft; dort Geiz und Uebermuth.



Bisher haben wir die Dinge nur aus dem Standpunct der
gemeinen oder Alltagspolitik betrachtet. Erheben wir uns auf ei-
nen höheren Standpunct: ſollte dereinſt den Leitern der Politik es

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[407/0431] Anhang. denn noch iſt ein großer, herrlicher Küſtenſtrich der gemeinſamen Benutzung verſchloſſen; es hat darum ſelbſt an Mitteln gefehlt, von einem fremden Miſchlingsvolk, dem der deutſche Sinn ſeine Liebe zugewendet und viel geopfert hatte, Genugthuung für den Hohn zu fordern, womit es Deutſchlands Söhne nackt und elend wieder von ſich geſtoßen hat. Zunächſt wird immerhin das Daſein zweier Großmächte, welche Deutſchland ſelbſt nur theilweiſe angehören, im Bunde mit den rein deutſchen Subſtanzen das Ganze, wie es iſt, aufrecht erhalten. Ein anderer Zuſtand wird ſich nur durch dereinſtige gewaltige Er- ſchütterungen von außen her, vielleicht auch durch einzelne freiwillige Selbſtaufopferungen und Zufälligkeiten geſtalten. Aber auch wie es iſt, hat es kein Untergehen im Kampfe mit anderen Nationen zu befürchten, mit ſeiner Genügſamkeit, Ausdauer und geiſtigen Be- wegung. Seine gefährlichſte Lage wäre ein Compromiß Frank- reichs und Rußlands, jenem die Rheingrenze, dieſem eine altſlavi- ſche Grenze zu verſchaffen, wenn beiden eine ſolche gegenſeitige An- näherung erwünſcht ſcheinen könnte, wenn Frankreich thöricht ge- nug ſein wollte, für die Folge ſich ſelbſt, ſo wie Italien den An- griffen des Slavismus und Rom der griechiſchen Kirche Preis zu geben. Und ſelbſt wider ein derartiges Compromiß hätte Deutſch- land Kräfte genug, wenn der Bund fortfährt ſich militäriſch zu ent- wickeln, die in der Staatenzerſplitterung ſchlummernde National- kraft für das große Ganze heranzuziehen, ſeine Grenzen, darunter auch künftig die Seegrenze, gehörig zu ſichern. Bundesgenoſſen germaniſcher Brudervölker würden in ſolchem Kampfe um das Herz Europas nicht fehlen. Eine völlige Umkehr oder Zerſtörung aller oder einzelner na- tionaler Verhältniſſe iſt vorerſt nicht abſehbar. Keine der Groß- mächte, welche eine erobernde Tendenz haben, iſt ſtark genug um eine andere geſchloſſene Nation niederzuſchlagen und zu vernichten; keine unter ihnen giebt es, deren Joch nicht auf die Dauer uner- träglich ſein würde. Hier Knechtſchaft; dort Geiz und Uebermuth. Bisher haben wir die Dinge nur aus dem Standpunct der gemeinen oder Alltagspolitik betrachtet. Erheben wir uns auf ei- nen höheren Standpunct: ſollte dereinſt den Leitern der Politik es

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/431>, abgerufen am 04.05.2024.