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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Anhang.
die Römer der modernen Zeit. Wir wollen aus dieser Analogie
keine Folgerungen auf künftige Schicksale ziehen. Die Situationen
sind zu verschieden; kein Volk, kein Schicksal ist dem Andern völ-
lig gleich, so wenig als ein Mensch dem andern. Aber die Ana-
logie der Politik, gegründet auf das größeste Kapital, auf den con-
sequentesten Willen, auf ein practisches Talent ohne Leidenschaft,
auf Gleichartigkeit des Characters ist unverkennbar; die Verschie-
denheit liegt nur in dem germanisch-christlichen Typus Altenglands.
Auf dieses aber concentrirt sich die Macht und Einheit. Einzeln
gegen einzelne feindselige Elemente, womit es umringt ist, wird es
nie unterliegen, selbst nicht in der Vertheidigung gegen die Verei-
nigung Aller. Sein größester Feind im Innern ist der religiöse Po-
sitivismus, ohne die Leichtigkeit der französischen Nation, mit dem
positiven Kirchenthum ein Compromiß zu schließen und ohne die
philosophische Selbstopferung der Norddeutschen; jene Zugänglich-
keit der Hochkirche für den Romanismus, so wie die alte Hinnei-
gung eines Theiles der Aristokratie zu Rom auf der einen Seite,
der othodoxe Protestantismus auf der anderen Seite. Eine Er-
neuerung des alten Kampfes ist für die Folgen keinesweges aus-
geschlossen. Von außen her bleibt England nur durch allseitige
Verstopfung seines Handels und seiner Capitalien zu bekämpfen.



Dich aber, deutsches Vaterland, welche Zukunft erwartet Dich?
Wir gern sähe ich in Dir den Erben der größesten Zukunft, wie
Du langsam harrend Deine Geschicke ertragen und bekämpft hast.
Wohl kannst auch Du als eine Großmacht in die Schranken tre-
ten. Auch Du hast Deine Heroen gehabt, und kein deutscher Mann
darf an Deinem Volke verzweifeln. Seine Gebrechen, wer kennt sie
nicht? Aber sie wurzeln auf einem Rechtsboden, den es anzutasten
sich immer gescheuet hat, obgleich man hier zuerst wagte, sich von
einer geistlichen Herrschaft loszusagen und mit Gott ohne das Mit-
tel eines Priesterthums in Gemeinschaft zu treten. Nirgends aber
eine vollendete Einheit! Auf der einen Seite wuchtet protestantische
Freiheit, dort eine innige Neigung zu Rom, dessen mittelalterliche
Politik so viel zur Vernichtung der Staatseinheit beigetragen hat;
die meiste Einheit besteht noch in Gesittung, in gleichem Rechts-
gefühl und in ehrenhaftem Widerstand gegen das Unrecht. Aber
nicht einmal das ganze Land gehört schon der Volksthätigkeit an;

Anhang.
die Römer der modernen Zeit. Wir wollen aus dieſer Analogie
keine Folgerungen auf künftige Schickſale ziehen. Die Situationen
ſind zu verſchieden; kein Volk, kein Schickſal iſt dem Andern völ-
lig gleich, ſo wenig als ein Menſch dem andern. Aber die Ana-
logie der Politik, gegründet auf das größeſte Kapital, auf den con-
ſequenteſten Willen, auf ein practiſches Talent ohne Leidenſchaft,
auf Gleichartigkeit des Characters iſt unverkennbar; die Verſchie-
denheit liegt nur in dem germaniſch-chriſtlichen Typus Altenglands.
Auf dieſes aber concentrirt ſich die Macht und Einheit. Einzeln
gegen einzelne feindſelige Elemente, womit es umringt iſt, wird es
nie unterliegen, ſelbſt nicht in der Vertheidigung gegen die Verei-
nigung Aller. Sein größeſter Feind im Innern iſt der religiöſe Po-
ſitivismus, ohne die Leichtigkeit der franzöſiſchen Nation, mit dem
poſitiven Kirchenthum ein Compromiß zu ſchließen und ohne die
philoſophiſche Selbſtopferung der Norddeutſchen; jene Zugänglich-
keit der Hochkirche für den Romanismus, ſo wie die alte Hinnei-
gung eines Theiles der Ariſtokratie zu Rom auf der einen Seite,
der othodoxe Proteſtantismus auf der anderen Seite. Eine Er-
neuerung des alten Kampfes iſt für die Folgen keinesweges aus-
geſchloſſen. Von außen her bleibt England nur durch allſeitige
Verſtopfung ſeines Handels und ſeiner Capitalien zu bekämpfen.



Dich aber, deutſches Vaterland, welche Zukunft erwartet Dich?
Wir gern ſähe ich in Dir den Erben der größeſten Zukunft, wie
Du langſam harrend Deine Geſchicke ertragen und bekämpft haſt.
Wohl kannſt auch Du als eine Großmacht in die Schranken tre-
ten. Auch Du haſt Deine Heroen gehabt, und kein deutſcher Mann
darf an Deinem Volke verzweifeln. Seine Gebrechen, wer kennt ſie
nicht? Aber ſie wurzeln auf einem Rechtsboden, den es anzutaſten
ſich immer geſcheuet hat, obgleich man hier zuerſt wagte, ſich von
einer geiſtlichen Herrſchaft loszuſagen und mit Gott ohne das Mit-
tel eines Prieſterthums in Gemeinſchaft zu treten. Nirgends aber
eine vollendete Einheit! Auf der einen Seite wuchtet proteſtantiſche
Freiheit, dort eine innige Neigung zu Rom, deſſen mittelalterliche
Politik ſo viel zur Vernichtung der Staatseinheit beigetragen hat;
die meiſte Einheit beſteht noch in Geſittung, in gleichem Rechts-
gefühl und in ehrenhaftem Widerſtand gegen das Unrecht. Aber
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[406/0430] Anhang. die Römer der modernen Zeit. Wir wollen aus dieſer Analogie keine Folgerungen auf künftige Schickſale ziehen. Die Situationen ſind zu verſchieden; kein Volk, kein Schickſal iſt dem Andern völ- lig gleich, ſo wenig als ein Menſch dem andern. Aber die Ana- logie der Politik, gegründet auf das größeſte Kapital, auf den con- ſequenteſten Willen, auf ein practiſches Talent ohne Leidenſchaft, auf Gleichartigkeit des Characters iſt unverkennbar; die Verſchie- denheit liegt nur in dem germaniſch-chriſtlichen Typus Altenglands. Auf dieſes aber concentrirt ſich die Macht und Einheit. Einzeln gegen einzelne feindſelige Elemente, womit es umringt iſt, wird es nie unterliegen, ſelbſt nicht in der Vertheidigung gegen die Verei- nigung Aller. Sein größeſter Feind im Innern iſt der religiöſe Po- ſitivismus, ohne die Leichtigkeit der franzöſiſchen Nation, mit dem poſitiven Kirchenthum ein Compromiß zu ſchließen und ohne die philoſophiſche Selbſtopferung der Norddeutſchen; jene Zugänglich- keit der Hochkirche für den Romanismus, ſo wie die alte Hinnei- gung eines Theiles der Ariſtokratie zu Rom auf der einen Seite, der othodoxe Proteſtantismus auf der anderen Seite. Eine Er- neuerung des alten Kampfes iſt für die Folgen keinesweges aus- geſchloſſen. Von außen her bleibt England nur durch allſeitige Verſtopfung ſeines Handels und ſeiner Capitalien zu bekämpfen. Dich aber, deutſches Vaterland, welche Zukunft erwartet Dich? Wir gern ſähe ich in Dir den Erben der größeſten Zukunft, wie Du langſam harrend Deine Geſchicke ertragen und bekämpft haſt. Wohl kannſt auch Du als eine Großmacht in die Schranken tre- ten. Auch Du haſt Deine Heroen gehabt, und kein deutſcher Mann darf an Deinem Volke verzweifeln. Seine Gebrechen, wer kennt ſie nicht? Aber ſie wurzeln auf einem Rechtsboden, den es anzutaſten ſich immer geſcheuet hat, obgleich man hier zuerſt wagte, ſich von einer geiſtlichen Herrſchaft loszuſagen und mit Gott ohne das Mit- tel eines Prieſterthums in Gemeinſchaft zu treten. Nirgends aber eine vollendete Einheit! Auf der einen Seite wuchtet proteſtantiſche Freiheit, dort eine innige Neigung zu Rom, deſſen mittelalterliche Politik ſo viel zur Vernichtung der Staatseinheit beigetragen hat; die meiſte Einheit beſteht noch in Geſittung, in gleichem Rechts- gefühl und in ehrenhaftem Widerſtand gegen das Unrecht. Aber nicht einmal das ganze Land gehört ſchon der Volksthätigkeit an;

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/430>, abgerufen am 09.11.2024.