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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Anhang.
auch eine Rechtsverletzung. Ein wahres Gleichgewicht zwischen
Kirche und Staat besteht nur dann, wenn jener den Cultus der
Wissenschaft und nationalen Tugend zu seiner Religion macht, die
Kirche aber sich auf ihre einfache, ursprüngliche Amtsverfassung
beschränkt, und sich an Freiheit ihres Religionscultus so wie ihrer
Lehre begnügen läßt; sie erlangt aber ein gefährliches Uebergewicht,
wenn sie eigene geistliche Milizen ausrüsten darf und diese den
Amtskreis ihrer ordentlichen Beamten theilen, ja die Familien und
den Staat selbst dadurch umgarnen läßt.

Es war und bleibt alle Zeit eine anziehende Idee, einen Mit-
telpunct der ganzen Christenheit, wenigstens der abendländischen,
zu haben. Gewiß ein Weg zum ewigen Frieden! Aber die Be-
dingungen könnten seit der freien Entwickelung des Gedankens
nur sein:

Wiederherstellung der vormaligen kirchlichen Repräsentativver-
fassung, welche die Kirche selbst auch dem Staate vorbildlich
gelehrt hat; sodann
Achtung der Nationalitäten.

Nur durch maaßlose ultramontane Ausspinnung des obersten Hir-
tenamts zum Absolutismus hat sich die Kirche die Wunden ge-
schlagen, woran sie noch blutet.



Fassen wir die weltlichen Staaten Europas ins Auge: das
Jahrhundert hat ihnen die Lehre gebracht, daß der Staat auf Na-
tionalität gegründet allein haltbar sei, Kosmopolitismus aber, den
man sonst empfahl, ohne jene Grundlage zum Verderben führe.
Es hat ferner mit den Segnungen des Friedens größere Bürger-
freiheit und Thätigkeit gebracht, freilich aber auch zugleich Egois-
mus und Verweichlichung. Die Welt ist merkantilisch geworden;
der Staat soll eine Glückseligkeitsmaschine für die Einzelnen sein,
ohne daß er wagen darf den schneidenden Gegensatz des Reich-
thums und der Armuth aufzuheben. Innere Einheit ist selten.

Nicht gebessert ist die äußere politische Stellung der Völker.
Es ist wahr, die Regierungen arbeiten für den Frieden und theils
wahrhaft, theils scheinbar zu einem gegenseitigen Einverständniß.
Allein in der That bleibt es mehr nur bei höflicher Form; nur
die allgemeine egoistische Richtung der Zeit hindert und sichert,
daß das Wort "Krieg" nicht leichtsinnig ausgesprochen wird.


Anhang.
auch eine Rechtsverletzung. Ein wahres Gleichgewicht zwiſchen
Kirche und Staat beſteht nur dann, wenn jener den Cultus der
Wiſſenſchaft und nationalen Tugend zu ſeiner Religion macht, die
Kirche aber ſich auf ihre einfache, urſprüngliche Amtsverfaſſung
beſchränkt, und ſich an Freiheit ihres Religionscultus ſo wie ihrer
Lehre begnügen läßt; ſie erlangt aber ein gefährliches Uebergewicht,
wenn ſie eigene geiſtliche Milizen ausrüſten darf und dieſe den
Amtskreis ihrer ordentlichen Beamten theilen, ja die Familien und
den Staat ſelbſt dadurch umgarnen läßt.

Es war und bleibt alle Zeit eine anziehende Idee, einen Mit-
telpunct der ganzen Chriſtenheit, wenigſtens der abendländiſchen,
zu haben. Gewiß ein Weg zum ewigen Frieden! Aber die Be-
dingungen könnten ſeit der freien Entwickelung des Gedankens
nur ſein:

Wiederherſtellung der vormaligen kirchlichen Repräſentativver-
faſſung, welche die Kirche ſelbſt auch dem Staate vorbildlich
gelehrt hat; ſodann
Achtung der Nationalitäten.

Nur durch maaßloſe ultramontane Ausſpinnung des oberſten Hir-
tenamts zum Abſolutismus hat ſich die Kirche die Wunden ge-
ſchlagen, woran ſie noch blutet.



Faſſen wir die weltlichen Staaten Europas ins Auge: das
Jahrhundert hat ihnen die Lehre gebracht, daß der Staat auf Na-
tionalität gegründet allein haltbar ſei, Kosmopolitismus aber, den
man ſonſt empfahl, ohne jene Grundlage zum Verderben führe.
Es hat ferner mit den Segnungen des Friedens größere Bürger-
freiheit und Thätigkeit gebracht, freilich aber auch zugleich Egois-
mus und Verweichlichung. Die Welt iſt merkantiliſch geworden;
der Staat ſoll eine Glückſeligkeitsmaſchine für die Einzelnen ſein,
ohne daß er wagen darf den ſchneidenden Gegenſatz des Reich-
thums und der Armuth aufzuheben. Innere Einheit iſt ſelten.

Nicht gebeſſert iſt die äußere politiſche Stellung der Völker.
Es iſt wahr, die Regierungen arbeiten für den Frieden und theils
wahrhaft, theils ſcheinbar zu einem gegenſeitigen Einverſtändniß.
Allein in der That bleibt es mehr nur bei höflicher Form; nur
die allgemeine egoiſtiſche Richtung der Zeit hindert und ſichert,
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[404/0428] Anhang. auch eine Rechtsverletzung. Ein wahres Gleichgewicht zwiſchen Kirche und Staat beſteht nur dann, wenn jener den Cultus der Wiſſenſchaft und nationalen Tugend zu ſeiner Religion macht, die Kirche aber ſich auf ihre einfache, urſprüngliche Amtsverfaſſung beſchränkt, und ſich an Freiheit ihres Religionscultus ſo wie ihrer Lehre begnügen läßt; ſie erlangt aber ein gefährliches Uebergewicht, wenn ſie eigene geiſtliche Milizen ausrüſten darf und dieſe den Amtskreis ihrer ordentlichen Beamten theilen, ja die Familien und den Staat ſelbſt dadurch umgarnen läßt. Es war und bleibt alle Zeit eine anziehende Idee, einen Mit- telpunct der ganzen Chriſtenheit, wenigſtens der abendländiſchen, zu haben. Gewiß ein Weg zum ewigen Frieden! Aber die Be- dingungen könnten ſeit der freien Entwickelung des Gedankens nur ſein: Wiederherſtellung der vormaligen kirchlichen Repräſentativver- faſſung, welche die Kirche ſelbſt auch dem Staate vorbildlich gelehrt hat; ſodann Achtung der Nationalitäten. Nur durch maaßloſe ultramontane Ausſpinnung des oberſten Hir- tenamts zum Abſolutismus hat ſich die Kirche die Wunden ge- ſchlagen, woran ſie noch blutet. Faſſen wir die weltlichen Staaten Europas ins Auge: das Jahrhundert hat ihnen die Lehre gebracht, daß der Staat auf Na- tionalität gegründet allein haltbar ſei, Kosmopolitismus aber, den man ſonſt empfahl, ohne jene Grundlage zum Verderben führe. Es hat ferner mit den Segnungen des Friedens größere Bürger- freiheit und Thätigkeit gebracht, freilich aber auch zugleich Egois- mus und Verweichlichung. Die Welt iſt merkantiliſch geworden; der Staat ſoll eine Glückſeligkeitsmaſchine für die Einzelnen ſein, ohne daß er wagen darf den ſchneidenden Gegenſatz des Reich- thums und der Armuth aufzuheben. Innere Einheit iſt ſelten. Nicht gebeſſert iſt die äußere politiſche Stellung der Völker. Es iſt wahr, die Regierungen arbeiten für den Frieden und theils wahrhaft, theils ſcheinbar zu einem gegenſeitigen Einverſtändniß. Allein in der That bleibt es mehr nur bei höflicher Form; nur die allgemeine egoiſtiſche Richtung der Zeit hindert und ſichert, daß das Wort „Krieg“ nicht leichtſinnig ausgeſprochen wird.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/428>, abgerufen am 03.05.2024.