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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Leiter der kirchlichen Zwecke hingewiesen, seitdem man sie von einer
offenen Theilnahme an den weltlichen Angelegenheiten der Völker
entfernt hat.

Abstrahiren wir von dem freilich in Europa auf sich selbst be-
schränkten Islam, so sind es nicht mehr bloß, wie sonst, zwei Cul-
tussysteme, welche gegen einander streiten und auch die Staaten
gegen einander selbst schon aufgeregt haben, nämlich:
der römische Katholicismus oder die Incarnation des Geistes
in der Hierarchie mit bloß dialektischer Bewegung,

und
der Protestantismus oder die Befreiung des Geistes von einer
äußerlichen Glaubensgewalt;

eine dritte Kirche, die man erstarrt glaubte und ohne Regsamkeit,
die griechische, abgeschlossen und unbeweglich in ihrem orthodoxen
Glauben, hat sich in einen Bund mit dem Slavismus begeben;
mit ihm drängt sie sich immer mehr nach dem Herzen Europas.

So hat Rom nun zwei Gegner zu bekämpfen. Gegen den
neubelebten scheint es noch rathlos. Wider den Protestantismus
und den mit ihm verbundenen, wenigstens toleranten Staat ge-
braucht es von neuem die alten Geschütze des Vaticans und sendet
es seine Heerschaaren aus; die Hierarchie sucht sich eine politi-
sche Stellung wiederzuerkämpfen. Der Protestantismus, unorga-
nisch in sich selbst, hat derweile nichts entgegenzusetzen als die par-
ticuläre Hülfe einzelner Staaten. Er kämpft nur für seine Erhal-
tung und Vertheidigung; nur erst ganz neuerlich ist auch in ihm der
Gedanke lebendig geworden, von einer neuen Welt her dem Gegner
an das Herz zu greifen, gleich als wären auch für ihn hölzerne
Mauern und der Dreizack eine letzte Rettung.

Demnach ist der Religionspunct in Beziehung auf das Staa-
tenleben noch zu keinem Frieden gebracht, im Gegentheil steht es
damit schlimmer als in den Zeiten, wo sich die Gegensätze ent-
wickelten; denn damals war es ein Principienkampf, ein Kampf um
die Wahrheit. Jetzt ist alle confessionelle Topik erschöpft; die Reli-
gion, das Confessionelle ist lediglich Sache des Willens und des
Rechts.

Es bedarf hoher Weisheit der Regierungen auf diesem vulka-
nischen Boden. Jede Parteinahme für eine Confession mit Zu-
rücksetzung der übrigen, die bereits bestehen, ist gefahrvvll, meistens

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Leiter der kirchlichen Zwecke hingewieſen, ſeitdem man ſie von einer
offenen Theilnahme an den weltlichen Angelegenheiten der Völker
entfernt hat.

Abſtrahiren wir von dem freilich in Europa auf ſich ſelbſt be-
ſchränkten Islam, ſo ſind es nicht mehr bloß, wie ſonſt, zwei Cul-
tusſyſteme, welche gegen einander ſtreiten und auch die Staaten
gegen einander ſelbſt ſchon aufgeregt haben, nämlich:
der römiſche Katholicismus oder die Incarnation des Geiſtes
in der Hierarchie mit bloß dialektiſcher Bewegung,

und
der Proteſtantismus oder die Befreiung des Geiſtes von einer
äußerlichen Glaubensgewalt;

eine dritte Kirche, die man erſtarrt glaubte und ohne Regſamkeit,
die griechiſche, abgeſchloſſen und unbeweglich in ihrem orthodoxen
Glauben, hat ſich in einen Bund mit dem Slavismus begeben;
mit ihm drängt ſie ſich immer mehr nach dem Herzen Europas.

So hat Rom nun zwei Gegner zu bekämpfen. Gegen den
neubelebten ſcheint es noch rathlos. Wider den Proteſtantismus
und den mit ihm verbundenen, wenigſtens toleranten Staat ge-
braucht es von neuem die alten Geſchütze des Vaticans und ſendet
es ſeine Heerſchaaren aus; die Hierarchie ſucht ſich eine politi-
ſche Stellung wiederzuerkämpfen. Der Proteſtantismus, unorga-
niſch in ſich ſelbſt, hat derweile nichts entgegenzuſetzen als die par-
ticuläre Hülfe einzelner Staaten. Er kämpft nur für ſeine Erhal-
tung und Vertheidigung; nur erſt ganz neuerlich iſt auch in ihm der
Gedanke lebendig geworden, von einer neuen Welt her dem Gegner
an das Herz zu greifen, gleich als wären auch für ihn hölzerne
Mauern und der Dreizack eine letzte Rettung.

Demnach iſt der Religionspunct in Beziehung auf das Staa-
tenleben noch zu keinem Frieden gebracht, im Gegentheil ſteht es
damit ſchlimmer als in den Zeiten, wo ſich die Gegenſätze ent-
wickelten; denn damals war es ein Principienkampf, ein Kampf um
die Wahrheit. Jetzt iſt alle confeſſionelle Topik erſchöpft; die Reli-
gion, das Confeſſionelle iſt lediglich Sache des Willens und des
Rechts.

Es bedarf hoher Weisheit der Regierungen auf dieſem vulka-
niſchen Boden. Jede Parteinahme für eine Confeſſion mit Zu-
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[403/0427] Anhang. Leiter der kirchlichen Zwecke hingewieſen, ſeitdem man ſie von einer offenen Theilnahme an den weltlichen Angelegenheiten der Völker entfernt hat. Abſtrahiren wir von dem freilich in Europa auf ſich ſelbſt be- ſchränkten Islam, ſo ſind es nicht mehr bloß, wie ſonſt, zwei Cul- tusſyſteme, welche gegen einander ſtreiten und auch die Staaten gegen einander ſelbſt ſchon aufgeregt haben, nämlich: der römiſche Katholicismus oder die Incarnation des Geiſtes in der Hierarchie mit bloß dialektiſcher Bewegung, und der Proteſtantismus oder die Befreiung des Geiſtes von einer äußerlichen Glaubensgewalt; eine dritte Kirche, die man erſtarrt glaubte und ohne Regſamkeit, die griechiſche, abgeſchloſſen und unbeweglich in ihrem orthodoxen Glauben, hat ſich in einen Bund mit dem Slavismus begeben; mit ihm drängt ſie ſich immer mehr nach dem Herzen Europas. So hat Rom nun zwei Gegner zu bekämpfen. Gegen den neubelebten ſcheint es noch rathlos. Wider den Proteſtantismus und den mit ihm verbundenen, wenigſtens toleranten Staat ge- braucht es von neuem die alten Geſchütze des Vaticans und ſendet es ſeine Heerſchaaren aus; die Hierarchie ſucht ſich eine politi- ſche Stellung wiederzuerkämpfen. Der Proteſtantismus, unorga- niſch in ſich ſelbſt, hat derweile nichts entgegenzuſetzen als die par- ticuläre Hülfe einzelner Staaten. Er kämpft nur für ſeine Erhal- tung und Vertheidigung; nur erſt ganz neuerlich iſt auch in ihm der Gedanke lebendig geworden, von einer neuen Welt her dem Gegner an das Herz zu greifen, gleich als wären auch für ihn hölzerne Mauern und der Dreizack eine letzte Rettung. Demnach iſt der Religionspunct in Beziehung auf das Staa- tenleben noch zu keinem Frieden gebracht, im Gegentheil ſteht es damit ſchlimmer als in den Zeiten, wo ſich die Gegenſätze ent- wickelten; denn damals war es ein Principienkampf, ein Kampf um die Wahrheit. Jetzt iſt alle confeſſionelle Topik erſchöpft; die Reli- gion, das Confeſſionelle iſt lediglich Sache des Willens und des Rechts. Es bedarf hoher Weisheit der Regierungen auf dieſem vulka- niſchen Boden. Jede Parteinahme für eine Confeſſion mit Zu- rückſetzung der übrigen, die bereits beſtehen, iſt gefahrvvll, meiſtens 26*

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/427>, abgerufen am 22.12.2024.