So seien denn diese Zeilen nur eine Hineintragung des Ge- dankens aus dem Boden der Gegenwart in dasjenige, was sie schon in ihrem Schooße trägt, ein eigenes politisches Fortleben und eine Votivtafel dem künftigen Geschlecht, am meisten dem Va- terlande.
Weltweise und Mensch enfreunde haben dem Menschengeschlecht dereinst einen ewigen Frieden in Aussicht gestellt und seine Möglich- keit, seine Bedingungen darzuthun gesucht. Andere haben die Mög- lichkeit bestritten. Wir glauben gern an sie, aber ihre wesentliche Bedingung wäre, daß nur noch Einzelne, nicht die Völker, nicht die Staaten selbst noch sündigten. Wie weit ist man noch von diesem Ziele. Das Testament, welches dazu den Weg zeigt, liegt schon längst aufgeschlagen vor den Völkern. Aber noch immer sind es die Fehler und Leidenschaften der Einzelnen, welche auch in dem Staate herrschen. Sie gesellen sich oft zu dem vielgewoll- ten Guten; oft wecken sie dasselbe erst zur Energie, aber selten oder nie lassen sie es ganz rein zur Erscheinung gelangen. -- --
Eine dauernde Geschichte haben nur Völkerfamilien, worin eine geistige Einheit mit Bewegung und in organischer Vermittlung bei Selbstgenugsamkeit besteht. Je mehr Motiven und Richtungen jene Einheit in sich aufnimmt, je großartiger ihre Ziele sind, desto be- ständiger und ruhmvoller wird auch das Leben eines Volkes sein. Je einseitiger die Uebereinstimmung und bornirter das Ziel: desto unsicherer ist das Bestehen einer Volksfamilie.
Alle Schwankungen, Vor- und Rückgänge der Staatenschick- sale haben ihren Grund in dem Einflußübergewicht, welches mo- ralische oder sinnliche Interessen auf den Character eines Staates ausüben. Diese Interessen sind vorzüglich die Religion, die Ehre, die Lebensgenüsse, und nur diese.
Auch in der Gegenwart finden sich noch immer dieselben Mo- tiven und Agentien in der Staatenpolitik.
Vergebens hatte man geglaubt, die religiösen Interessen seien wenigstens der äußeren Politik entfremdet worden, wie sie sich im Innern der Staaten unter der Toleranz zur Ruhe begeben hatten. Allein wer sieht nicht, daß sie wiederum eine gewaltige Positivität und Regsamkeit angenommen haben; sie sind um so mächtiger, je geheimnißvoller sie einwirken; und gerade auf eine solche geheim- nißvolle Einwirkung hat die Politik der weltlichen Staaten die
Anhang.
So ſeien denn dieſe Zeilen nur eine Hineintragung des Ge- dankens aus dem Boden der Gegenwart in dasjenige, was ſie ſchon in ihrem Schooße trägt, ein eigenes politiſches Fortleben und eine Votivtafel dem künftigen Geſchlecht, am meiſten dem Va- terlande.
Weltweiſe und Menſch enfreunde haben dem Menſchengeſchlecht dereinſt einen ewigen Frieden in Ausſicht geſtellt und ſeine Möglich- keit, ſeine Bedingungen darzuthun geſucht. Andere haben die Mög- lichkeit beſtritten. Wir glauben gern an ſie, aber ihre weſentliche Bedingung wäre, daß nur noch Einzelne, nicht die Völker, nicht die Staaten ſelbſt noch ſündigten. Wie weit iſt man noch von dieſem Ziele. Das Teſtament, welches dazu den Weg zeigt, liegt ſchon längſt aufgeſchlagen vor den Völkern. Aber noch immer ſind es die Fehler und Leidenſchaften der Einzelnen, welche auch in dem Staate herrſchen. Sie geſellen ſich oft zu dem vielgewoll- ten Guten; oft wecken ſie daſſelbe erſt zur Energie, aber ſelten oder nie laſſen ſie es ganz rein zur Erſcheinung gelangen. — —
Eine dauernde Geſchichte haben nur Völkerfamilien, worin eine geiſtige Einheit mit Bewegung und in organiſcher Vermittlung bei Selbſtgenugſamkeit beſteht. Je mehr Motiven und Richtungen jene Einheit in ſich aufnimmt, je großartiger ihre Ziele ſind, deſto be- ſtändiger und ruhmvoller wird auch das Leben eines Volkes ſein. Je einſeitiger die Uebereinſtimmung und bornirter das Ziel: deſto unſicherer iſt das Beſtehen einer Volksfamilie.
Alle Schwankungen, Vor- und Rückgänge der Staatenſchick- ſale haben ihren Grund in dem Einflußübergewicht, welches mo- raliſche oder ſinnliche Intereſſen auf den Character eines Staates ausüben. Dieſe Intereſſen ſind vorzüglich die Religion, die Ehre, die Lebensgenüſſe, und nur dieſe.
Auch in der Gegenwart finden ſich noch immer dieſelben Mo- tiven und Agentien in der Staatenpolitik.
Vergebens hatte man geglaubt, die religiöſen Intereſſen ſeien wenigſtens der äußeren Politik entfremdet worden, wie ſie ſich im Innern der Staaten unter der Toleranz zur Ruhe begeben hatten. Allein wer ſieht nicht, daß ſie wiederum eine gewaltige Poſitivität und Regſamkeit angenommen haben; ſie ſind um ſo mächtiger, je geheimnißvoller ſie einwirken; und gerade auf eine ſolche geheim- nißvolle Einwirkung hat die Politik der weltlichen Staaten die
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Anhang.
So ſeien denn dieſe Zeilen nur eine Hineintragung des Ge-
dankens aus dem Boden der Gegenwart in dasjenige, was ſie
ſchon in ihrem Schooße trägt, ein eigenes politiſches Fortleben
und eine Votivtafel dem künftigen Geſchlecht, am meiſten dem Va-
terlande.
Weltweiſe und Menſch enfreunde haben dem Menſchengeſchlecht
dereinſt einen ewigen Frieden in Ausſicht geſtellt und ſeine Möglich-
keit, ſeine Bedingungen darzuthun geſucht. Andere haben die Mög-
lichkeit beſtritten. Wir glauben gern an ſie, aber ihre weſentliche
Bedingung wäre, daß nur noch Einzelne, nicht die Völker, nicht
die Staaten ſelbſt noch ſündigten. Wie weit iſt man noch von
dieſem Ziele. Das Teſtament, welches dazu den Weg zeigt, liegt
ſchon längſt aufgeſchlagen vor den Völkern. Aber noch immer
ſind es die Fehler und Leidenſchaften der Einzelnen, welche auch
in dem Staate herrſchen. Sie geſellen ſich oft zu dem vielgewoll-
ten Guten; oft wecken ſie daſſelbe erſt zur Energie, aber ſelten oder
nie laſſen ſie es ganz rein zur Erſcheinung gelangen. — —
Eine dauernde Geſchichte haben nur Völkerfamilien, worin eine
geiſtige Einheit mit Bewegung und in organiſcher Vermittlung bei
Selbſtgenugſamkeit beſteht. Je mehr Motiven und Richtungen jene
Einheit in ſich aufnimmt, je großartiger ihre Ziele ſind, deſto be-
ſtändiger und ruhmvoller wird auch das Leben eines Volkes ſein.
Je einſeitiger die Uebereinſtimmung und bornirter das Ziel: deſto
unſicherer iſt das Beſtehen einer Volksfamilie.
Alle Schwankungen, Vor- und Rückgänge der Staatenſchick-
ſale haben ihren Grund in dem Einflußübergewicht, welches mo-
raliſche oder ſinnliche Intereſſen auf den Character eines Staates
ausüben. Dieſe Intereſſen ſind vorzüglich die Religion, die Ehre,
die Lebensgenüſſe, und nur dieſe.
Auch in der Gegenwart finden ſich noch immer dieſelben Mo-
tiven und Agentien in der Staatenpolitik.
Vergebens hatte man geglaubt, die religiöſen Intereſſen ſeien
wenigſtens der äußeren Politik entfremdet worden, wie ſie ſich im
Innern der Staaten unter der Toleranz zur Ruhe begeben hatten.
Allein wer ſieht nicht, daß ſie wiederum eine gewaltige Poſitivität
und Regſamkeit angenommen haben; ſie ſind um ſo mächtiger, je
geheimnißvoller ſie einwirken; und gerade auf eine ſolche geheim-
nißvolle Einwirkung hat die Politik der weltlichen Staaten die
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/426>, abgerufen am 01.02.2025.
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