Im Mittelalter war, wie so vieles Andere, die Diplomatie theils in den Händen der unterrichteten Geistlichkeit, theils besorgten sie die Männer vom Degen; kurz, einfach, kunstlos. Mit der Unter- drückung der Volksfreiheiten und Corporationen, mit dem Ueber- gang des Lehnsstaates zum absoluten Regierungsstaat wuchs auch eine der bereits oben (S. 8.) geschilderten Politik mit gleicher Fär- bung dienende Diplomatie auf. Es war im Allgemeinen eine Lü- gendiplomatie, wie man selbst kein Bedenken hatte, einzugestehen; die Kunst der Verstellung im positiven Gewande der Lüge: Qui nescit dissimulare nescit regnare, und: Lügen mit Lügen gelten, war der Wahlspruch. Kein Mittel galt dabei für unerlaubt, am wenigsten Bestechung. Ludwig XI. von Frankreich und Ferdinand der Katholische waren die Hauptrepräsentanten dieser Richtung. 1
Die größere Verfeinerung der Sitte und bessere Erziehung, auch der Einfluß der Wissenschaft in ihrer lebendigen Verbreitung mit dem Ausgang des 15ten Jahrhunderts, brachte wenigstens einen Schein von gutem Glauben und Recht in die Diplomatie, wenn gleich das Geheimniß, List und künstliche Prätexte ihre Hauptwerk- zeuge blieben. So zur Zeit Carls V. und Philipps II.2 Wei- terhin umringte sie sich mit einem Nimibus von Galanterie, feinem Weltton und Aeußerlichkeiten aller Art, sie ward das Spiel der Höfe und Hofintriguen; den Culminationspunct bildet das Zeital- ter Ludwigs XIV. Der Hof von Versailles war gleichsam der Parnaß der Diplomatie, welchem man mit wenig Ausnahmen wäh- rend des ganzen vorigen Jahrhunderts huldigte. Neben dem Ge- heimniß und einer geschmeidigen Verhandlungsweise war es doch im- mer ein Schein des Rechtes, den man allen Ansprüchen und Forde- rungen anzukleben suchte. Welche Mühe gab sich nicht die französische Diplomatie, um mit Rechtsgründen darzuthun, daß das Testament Carls II. von Spanien dem früher abgeschlossenen Theilungsver- trage vorgehen müsse 3; welch ein Hohn des Rechts waren die französischen Reunionskammern, und wie schwach die ersten und letzten Prätexte der Theilung Polens?
Nur hin und wieder taucht in dieser Periode der französischen Hofdiplomatie ein redlicherer Character auf, ein Bestreben um die
1 M. s. Flassan, histoire de la dipl. fr. I, 235. 246. 247. 306.
2 Mably a. a. O. chap. IV, p. 37. Flassan p. 372.
3Lamberty hist. du siecle I, p. 221. 243.
Drittes Buch. §. 232.
Im Mittelalter war, wie ſo vieles Andere, die Diplomatie theils in den Händen der unterrichteten Geiſtlichkeit, theils beſorgten ſie die Männer vom Degen; kurz, einfach, kunſtlos. Mit der Unter- drückung der Volksfreiheiten und Corporationen, mit dem Ueber- gang des Lehnsſtaates zum abſoluten Regierungsſtaat wuchs auch eine der bereits oben (S. 8.) geſchilderten Politik mit gleicher Fär- bung dienende Diplomatie auf. Es war im Allgemeinen eine Lü- gendiplomatie, wie man ſelbſt kein Bedenken hatte, einzugeſtehen; die Kunſt der Verſtellung im poſitiven Gewande der Lüge: Qui nescit dissimulare nescit regnare, und: Lügen mit Lügen gelten, war der Wahlſpruch. Kein Mittel galt dabei für unerlaubt, am wenigſten Beſtechung. Ludwig XI. von Frankreich und Ferdinand der Katholiſche waren die Hauptrepräſentanten dieſer Richtung. 1
Die größere Verfeinerung der Sitte und beſſere Erziehung, auch der Einfluß der Wiſſenſchaft in ihrer lebendigen Verbreitung mit dem Ausgang des 15ten Jahrhunderts, brachte wenigſtens einen Schein von gutem Glauben und Recht in die Diplomatie, wenn gleich das Geheimniß, Liſt und künſtliche Prätexte ihre Hauptwerk- zeuge blieben. So zur Zeit Carls V. und Philipps II.2 Wei- terhin umringte ſie ſich mit einem Nimibus von Galanterie, feinem Weltton und Aeußerlichkeiten aller Art, ſie ward das Spiel der Höfe und Hofintriguen; den Culminationspunct bildet das Zeital- ter Ludwigs XIV. Der Hof von Verſailles war gleichſam der Parnaß der Diplomatie, welchem man mit wenig Ausnahmen wäh- rend des ganzen vorigen Jahrhunderts huldigte. Neben dem Ge- heimniß und einer geſchmeidigen Verhandlungsweiſe war es doch im- mer ein Schein des Rechtes, den man allen Anſprüchen und Forde- rungen anzukleben ſuchte. Welche Mühe gab ſich nicht die franzöſiſche Diplomatie, um mit Rechtsgründen darzuthun, daß das Teſtament Carls II. von Spanien dem früher abgeſchloſſenen Theilungsver- trage vorgehen müſſe 3; welch ein Hohn des Rechts waren die franzöſiſchen Reunionskammern, und wie ſchwach die erſten und letzten Prätexte der Theilung Polens?
Nur hin und wieder taucht in dieſer Periode der franzöſiſchen Hofdiplomatie ein redlicherer Character auf, ein Beſtreben um die
1 M. ſ. Flassan, histoire de la dipl. fr. I, 235. 246. 247. 306.
2 Mably a. a. O. chap. IV, p. 37. Flassan p. 372.
3Lamberty hist. du siècle I, p. 221. 243.
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Drittes Buch. §. 232.
Im Mittelalter war, wie ſo vieles Andere, die Diplomatie theils
in den Händen der unterrichteten Geiſtlichkeit, theils beſorgten ſie
die Männer vom Degen; kurz, einfach, kunſtlos. Mit der Unter-
drückung der Volksfreiheiten und Corporationen, mit dem Ueber-
gang des Lehnsſtaates zum abſoluten Regierungsſtaat wuchs auch
eine der bereits oben (S. 8.) geſchilderten Politik mit gleicher Fär-
bung dienende Diplomatie auf. Es war im Allgemeinen eine Lü-
gendiplomatie, wie man ſelbſt kein Bedenken hatte, einzugeſtehen;
die Kunſt der Verſtellung im poſitiven Gewande der Lüge: Qui
nescit dissimulare nescit regnare, und: Lügen mit Lügen gelten,
war der Wahlſpruch. Kein Mittel galt dabei für unerlaubt, am
wenigſten Beſtechung. Ludwig XI. von Frankreich und Ferdinand
der Katholiſche waren die Hauptrepräſentanten dieſer Richtung. 1
Die größere Verfeinerung der Sitte und beſſere Erziehung, auch
der Einfluß der Wiſſenſchaft in ihrer lebendigen Verbreitung mit
dem Ausgang des 15ten Jahrhunderts, brachte wenigſtens einen
Schein von gutem Glauben und Recht in die Diplomatie, wenn
gleich das Geheimniß, Liſt und künſtliche Prätexte ihre Hauptwerk-
zeuge blieben. So zur Zeit Carls V. und Philipps II. 2 Wei-
terhin umringte ſie ſich mit einem Nimibus von Galanterie, feinem
Weltton und Aeußerlichkeiten aller Art, ſie ward das Spiel der
Höfe und Hofintriguen; den Culminationspunct bildet das Zeital-
ter Ludwigs XIV. Der Hof von Verſailles war gleichſam der
Parnaß der Diplomatie, welchem man mit wenig Ausnahmen wäh-
rend des ganzen vorigen Jahrhunderts huldigte. Neben dem Ge-
heimniß und einer geſchmeidigen Verhandlungsweiſe war es doch im-
mer ein Schein des Rechtes, den man allen Anſprüchen und Forde-
rungen anzukleben ſuchte. Welche Mühe gab ſich nicht die franzöſiſche
Diplomatie, um mit Rechtsgründen darzuthun, daß das Teſtament
Carls II. von Spanien dem früher abgeſchloſſenen Theilungsver-
trage vorgehen müſſe 3; welch ein Hohn des Rechts waren die
franzöſiſchen Reunionskammern, und wie ſchwach die erſten und
letzten Prätexte der Theilung Polens?
Nur hin und wieder taucht in dieſer Periode der franzöſiſchen
Hofdiplomatie ein redlicherer Character auf, ein Beſtreben um die
1 M. ſ. Flassan, histoire de la dipl. fr. I, 235. 246. 247. 306.
2 Mably a. a. O. chap. IV, p. 37. Flassan p. 372.
3 Lamberty hist. du siècle I, p. 221. 243.
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/400>, abgerufen am 16.07.2024.
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