Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.§. 232. Die Formen des völkerrechtlichen Verkehres. als Voraussetzung diplomatischer Thätigkeit, nämlich in einer gründ-lichen Auffassung der Geschichte und gegebenen Verhältnisse, nicht etwa um blos Beispiele daraus für das eigene Handeln oder eine Prognose zu erhalten, sondern um das Wirkliche und Nothwendige in den gegebenen Verhältnissen selbst zu erkennen; Aufgabe der Kunst ist es hiernächst, darauf das fernere Verhalten für das Recht und das Wohl des Staates zu bauen, auf sittlichem Wege das Schlechte und Schädliche zu bekämpfen, bis zum letzten Augenblicke endlich die Ehre des Staates aufrecht zu erhalten. 1 Falsch aber ist es, wenn die Diplomatie sich blos zur Dienerin einer einseitigen Ansicht, ei- ner Castenrichtung hingiebt; wenn das System, welches sie verthei- digen und durchführen will, nicht aus der Nothwendigkeit hervor- geht, nicht in der Geschichte und der Bewegung des Weltgeistes begründet ist; denn alsdann hat sie das Schicksal, und gewiß nicht verdienter Weise, daß sie ihre Zwecke nicht nur nicht erreicht, son- dern eher zu einem entgegengesetzten Ziele durch ihre einseitigen Be- strebungen mitwirkt. Ist demnach Wahrheit der Grund und das Ziel der diplomatischen Entstehung und Ausbildung der diplomatischen Kunst. 232. Vermöge der eben angedeuteten Verwandtschaft zwischen 1 Sehr gute Bemerkungen in diesem Sinne s. schon bei Mably, principes
des negociations chap. 2., womit auch noch Macchiavelli del Principe cap. 25. verglichen werden kann. §. 232. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres. als Vorausſetzung diplomatiſcher Thätigkeit, nämlich in einer gründ-lichen Auffaſſung der Geſchichte und gegebenen Verhältniſſe, nicht etwa um blos Beiſpiele daraus für das eigene Handeln oder eine Prognoſe zu erhalten, ſondern um das Wirkliche und Nothwendige in den gegebenen Verhältniſſen ſelbſt zu erkennen; Aufgabe der Kunſt iſt es hiernächſt, darauf das fernere Verhalten für das Recht und das Wohl des Staates zu bauen, auf ſittlichem Wege das Schlechte und Schädliche zu bekämpfen, bis zum letzten Augenblicke endlich die Ehre des Staates aufrecht zu erhalten. 1 Falſch aber iſt es, wenn die Diplomatie ſich blos zur Dienerin einer einſeitigen Anſicht, ei- ner Caſtenrichtung hingiebt; wenn das Syſtem, welches ſie verthei- digen und durchführen will, nicht aus der Nothwendigkeit hervor- geht, nicht in der Geſchichte und der Bewegung des Weltgeiſtes begründet iſt; denn alsdann hat ſie das Schickſal, und gewiß nicht verdienter Weiſe, daß ſie ihre Zwecke nicht nur nicht erreicht, ſon- dern eher zu einem entgegengeſetzten Ziele durch ihre einſeitigen Be- ſtrebungen mitwirkt. Iſt demnach Wahrheit der Grund und das Ziel der diplomatiſchen Entſtehung und Ausbildung der diplomatiſchen Kunſt. 232. Vermöge der eben angedeuteten Verwandtſchaft zwiſchen 1 Sehr gute Bemerkungen in dieſem Sinne ſ. ſchon bei Mably, principes
des negociations chap. 2., womit auch noch Macchiavelli del Principe cap. 25. verglichen werden kann. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0399" n="375"/><fw place="top" type="header">§. 232. <hi rendition="#g">Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres</hi>.</fw><lb/> als Vorausſetzung diplomatiſcher Thätigkeit, nämlich in einer gründ-<lb/> lichen Auffaſſung der Geſchichte und gegebenen Verhältniſſe, nicht<lb/> etwa um blos Beiſpiele daraus für das eigene Handeln oder eine<lb/> Prognoſe zu erhalten, ſondern um das Wirkliche und Nothwendige<lb/> in den gegebenen Verhältniſſen ſelbſt zu erkennen; Aufgabe der Kunſt<lb/> iſt es hiernächſt, darauf das fernere Verhalten für das Recht und<lb/> das Wohl des Staates zu bauen, auf ſittlichem Wege das Schlechte<lb/> und Schädliche zu bekämpfen, bis zum letzten Augenblicke endlich die<lb/> Ehre des Staates aufrecht zu erhalten. <note place="foot" n="1">Sehr gute Bemerkungen in dieſem Sinne ſ. ſchon bei Mably, <hi rendition="#aq">principes<lb/> des negociations chap. 2.,</hi> womit auch noch Macchiavelli <hi rendition="#aq">del Principe cap.</hi> 25.<lb/> verglichen werden kann.</note> Falſch aber iſt es, wenn<lb/> die Diplomatie ſich blos zur Dienerin einer einſeitigen Anſicht, ei-<lb/> ner Caſtenrichtung hingiebt; wenn das Syſtem, welches ſie verthei-<lb/> digen und durchführen will, nicht aus der Nothwendigkeit hervor-<lb/> geht, nicht in der Geſchichte und der Bewegung des Weltgeiſtes<lb/> begründet iſt; denn alsdann hat ſie das Schickſal, und gewiß nicht<lb/> verdienter Weiſe, daß ſie ihre Zwecke nicht nur nicht erreicht, ſon-<lb/> dern eher zu einem entgegengeſetzten Ziele durch ihre einſeitigen Be-<lb/> ſtrebungen mitwirkt.</p><lb/> <p>Iſt demnach Wahrheit der Grund und das Ziel der diplomatiſchen<lb/> Kunſt, ſo dürfen auch ihre Mittel nur der Wahrheit entſprechen: ſie<lb/> darf keine Kunſt des Truges ſein. Darin hat ſie, wie in manchen<lb/> anderen Stücken, Aehnlichkeit und Berührungen mit der Redekunſt.<lb/> Auch die Redekunſt findet ihr eigentliches Feld in der Wahrheit,<lb/> ihr künſtleriſcher Zweck kann nur ſein, von nicht gekannten oder<lb/> noch unklaren Wahrheiten zu überzeugen; ſie entartet, wenn ſie ſich<lb/> zu unmoraliſchen oder widerrechtlichen Zwecken gebrauchen läßt.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head>Entſtehung und Ausbildung der diplomatiſchen Kunſt.</head><lb/> <p>232. Vermöge der eben angedeuteten Verwandtſchaft zwiſchen<lb/> Rede- und politiſcher Kunſt, ſehen wir im Alterthum auch die Füh-<lb/> rung der Staatenverhandlungen meiſtens in den Händen oder in<lb/> dem Munde bedeutender Redner. Redner und Staatsmann und<lb/> Geſandter waren daher meiſt Eine Perſönlichkeit; als beſonderer<lb/> Gegenſtand der politiſchen Wiſſenſchaft tritt die Diplomatie noch<lb/> nicht hervor, ſo ausgezeichnete Diplomaten ſich auch ſchon im Al-<lb/> terthum nachweiſen laſſen.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [375/0399]
§. 232. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
als Vorausſetzung diplomatiſcher Thätigkeit, nämlich in einer gründ-
lichen Auffaſſung der Geſchichte und gegebenen Verhältniſſe, nicht
etwa um blos Beiſpiele daraus für das eigene Handeln oder eine
Prognoſe zu erhalten, ſondern um das Wirkliche und Nothwendige
in den gegebenen Verhältniſſen ſelbſt zu erkennen; Aufgabe der Kunſt
iſt es hiernächſt, darauf das fernere Verhalten für das Recht und
das Wohl des Staates zu bauen, auf ſittlichem Wege das Schlechte
und Schädliche zu bekämpfen, bis zum letzten Augenblicke endlich die
Ehre des Staates aufrecht zu erhalten. 1 Falſch aber iſt es, wenn
die Diplomatie ſich blos zur Dienerin einer einſeitigen Anſicht, ei-
ner Caſtenrichtung hingiebt; wenn das Syſtem, welches ſie verthei-
digen und durchführen will, nicht aus der Nothwendigkeit hervor-
geht, nicht in der Geſchichte und der Bewegung des Weltgeiſtes
begründet iſt; denn alsdann hat ſie das Schickſal, und gewiß nicht
verdienter Weiſe, daß ſie ihre Zwecke nicht nur nicht erreicht, ſon-
dern eher zu einem entgegengeſetzten Ziele durch ihre einſeitigen Be-
ſtrebungen mitwirkt.
Iſt demnach Wahrheit der Grund und das Ziel der diplomatiſchen
Kunſt, ſo dürfen auch ihre Mittel nur der Wahrheit entſprechen: ſie
darf keine Kunſt des Truges ſein. Darin hat ſie, wie in manchen
anderen Stücken, Aehnlichkeit und Berührungen mit der Redekunſt.
Auch die Redekunſt findet ihr eigentliches Feld in der Wahrheit,
ihr künſtleriſcher Zweck kann nur ſein, von nicht gekannten oder
noch unklaren Wahrheiten zu überzeugen; ſie entartet, wenn ſie ſich
zu unmoraliſchen oder widerrechtlichen Zwecken gebrauchen läßt.
Entſtehung und Ausbildung der diplomatiſchen Kunſt.
232. Vermöge der eben angedeuteten Verwandtſchaft zwiſchen
Rede- und politiſcher Kunſt, ſehen wir im Alterthum auch die Füh-
rung der Staatenverhandlungen meiſtens in den Händen oder in
dem Munde bedeutender Redner. Redner und Staatsmann und
Geſandter waren daher meiſt Eine Perſönlichkeit; als beſonderer
Gegenſtand der politiſchen Wiſſenſchaft tritt die Diplomatie noch
nicht hervor, ſo ausgezeichnete Diplomaten ſich auch ſchon im Al-
terthum nachweiſen laſſen.
1 Sehr gute Bemerkungen in dieſem Sinne ſ. ſchon bei Mably, principes
des negociations chap. 2., womit auch noch Macchiavelli del Principe cap. 25.
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