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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 233. Die Formen des völkerrechtlichen Verkehres.
Sache selbst, um Wahrheit und Evidenz, z. B. an dem westphä-
lischen Friedenscongreß, wenn auch in der pedantischen Gestalt von
Doctoren der Rechte; sodann in der britischen Diplomatie, welcher
man, wenigstens seitdem Großbritannien seine freie und unabhän-
gige Stellung eingenommen hat, nicht den Vorwurf machen kann,
daß sie durch Täuschungen ihre Ziele zu erlangen gesucht habe.
Eher konnte man ihr Rücksichtslosigkeit und Derbheit bei einzelnen
Gelegenheiten vorwerfen. Mit dem ganzen Umgestüm des Repu-
blicanismus, oft sogar formlos trat die französische Diplomatie in
der Revolutionsperiode auf. Sie hatte keine andere Basis als die
der Macht und Convenienz. Kein Rechtsverhältniß galt mehr da-
gegen. Dieser Geist der Diplomatie behauptete sich auch unter
Napoleon; nur die Form wurde wieder monarchisch, der Ton aber
schneidend und tödtend. Als ihr Mittelpunct beseitigt war, hatte
die Diplomatie der Höfe vornehmlich nur die Herstellung eines
politischen Gleichgewichts zur Aufgabe. Die Rückkehr zur Basis
war ihr verschlossen; sie mußte über Seelen und Länder wie mit dem
Tranchirmesser verfügen; dann aber hatte sie ihre zum Theil nur will-
kührliche Gestaltung in eine mysteriöse Rechtsmetaphysik zu hüllen,
worin Legitimität der Hauptbegriff war, dessen offener Erklärung
manches Hinderniß entgegen stand.

Ihre jetzige Aufgabe scheint vorzüglich Friede, Handel und In-
dustrialismus zu sein, damit die allgemeine Behaglichkeit und Wohl-
habenheit nicht gestört werde!

Diplomatische Charactere. 1

233. Große diplomatische Charaktere sind zu allen Zeiten eine
Seltenheit gewesen; manche sind wohl selbst der Geschichte unbe-
kannt geblieben; diejenigen vorzüglich, welche nur in untergeordne-
ter Stellung arbeiteten, dennoch aber die Hauptfactoren unter frem-
dem glänzenderen Namen waren. Oft verschweigt auch die Ge-
schichte die Werke der Staatsmänner im diplomatischen Bereich,
denn nicht immer ist es erlaubt gewesen in die Werkstätte zu schauen
und den Schleier zu lüften.

Wir haben hier nicht den Raum, noch weniger den Beruf
eine Geschichte der Diplomatie in den Lebensbildern ihrer Organe
zu schreiben, am wenigsten aus der Gegenwart, deren Geschichte

1 Einzelnes hierzu liefert Wicquefort II, ch. 17.

§. 233. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres.
Sache ſelbſt, um Wahrheit und Evidenz, z. B. an dem weſtphä-
liſchen Friedenscongreß, wenn auch in der pedantiſchen Geſtalt von
Doctoren der Rechte; ſodann in der britiſchen Diplomatie, welcher
man, wenigſtens ſeitdem Großbritannien ſeine freie und unabhän-
gige Stellung eingenommen hat, nicht den Vorwurf machen kann,
daß ſie durch Täuſchungen ihre Ziele zu erlangen geſucht habe.
Eher konnte man ihr Rückſichtsloſigkeit und Derbheit bei einzelnen
Gelegenheiten vorwerfen. Mit dem ganzen Umgeſtüm des Repu-
blicanismus, oft ſogar formlos trat die franzöſiſche Diplomatie in
der Revolutionsperiode auf. Sie hatte keine andere Baſis als die
der Macht und Convenienz. Kein Rechtsverhältniß galt mehr da-
gegen. Dieſer Geiſt der Diplomatie behauptete ſich auch unter
Napoleon; nur die Form wurde wieder monarchiſch, der Ton aber
ſchneidend und tödtend. Als ihr Mittelpunct beſeitigt war, hatte
die Diplomatie der Höfe vornehmlich nur die Herſtellung eines
politiſchen Gleichgewichts zur Aufgabe. Die Rückkehr zur Baſis
war ihr verſchloſſen; ſie mußte über Seelen und Länder wie mit dem
Tranchirmeſſer verfügen; dann aber hatte ſie ihre zum Theil nur will-
kührliche Geſtaltung in eine myſteriöſe Rechtsmetaphyſik zu hüllen,
worin Legitimität der Hauptbegriff war, deſſen offener Erklärung
manches Hinderniß entgegen ſtand.

Ihre jetzige Aufgabe ſcheint vorzüglich Friede, Handel und In-
duſtrialismus zu ſein, damit die allgemeine Behaglichkeit und Wohl-
habenheit nicht geſtört werde!

Diplomatiſche Charactere. 1

233. Große diplomatiſche Charaktere ſind zu allen Zeiten eine
Seltenheit geweſen; manche ſind wohl ſelbſt der Geſchichte unbe-
kannt geblieben; diejenigen vorzüglich, welche nur in untergeordne-
ter Stellung arbeiteten, dennoch aber die Hauptfactoren unter frem-
dem glänzenderen Namen waren. Oft verſchweigt auch die Ge-
ſchichte die Werke der Staatsmänner im diplomatiſchen Bereich,
denn nicht immer iſt es erlaubt geweſen in die Werkſtätte zu ſchauen
und den Schleier zu lüften.

Wir haben hier nicht den Raum, noch weniger den Beruf
eine Geſchichte der Diplomatie in den Lebensbildern ihrer Organe
zu ſchreiben, am wenigſten aus der Gegenwart, deren Geſchichte

1 Einzelnes hierzu liefert Wicquefort II, ch. 17.
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[377/0401] §. 233. Die Formen des voͤlkerrechtlichen Verkehres. Sache ſelbſt, um Wahrheit und Evidenz, z. B. an dem weſtphä- liſchen Friedenscongreß, wenn auch in der pedantiſchen Geſtalt von Doctoren der Rechte; ſodann in der britiſchen Diplomatie, welcher man, wenigſtens ſeitdem Großbritannien ſeine freie und unabhän- gige Stellung eingenommen hat, nicht den Vorwurf machen kann, daß ſie durch Täuſchungen ihre Ziele zu erlangen geſucht habe. Eher konnte man ihr Rückſichtsloſigkeit und Derbheit bei einzelnen Gelegenheiten vorwerfen. Mit dem ganzen Umgeſtüm des Repu- blicanismus, oft ſogar formlos trat die franzöſiſche Diplomatie in der Revolutionsperiode auf. Sie hatte keine andere Baſis als die der Macht und Convenienz. Kein Rechtsverhältniß galt mehr da- gegen. Dieſer Geiſt der Diplomatie behauptete ſich auch unter Napoleon; nur die Form wurde wieder monarchiſch, der Ton aber ſchneidend und tödtend. Als ihr Mittelpunct beſeitigt war, hatte die Diplomatie der Höfe vornehmlich nur die Herſtellung eines politiſchen Gleichgewichts zur Aufgabe. Die Rückkehr zur Baſis war ihr verſchloſſen; ſie mußte über Seelen und Länder wie mit dem Tranchirmeſſer verfügen; dann aber hatte ſie ihre zum Theil nur will- kührliche Geſtaltung in eine myſteriöſe Rechtsmetaphyſik zu hüllen, worin Legitimität der Hauptbegriff war, deſſen offener Erklärung manches Hinderniß entgegen ſtand. Ihre jetzige Aufgabe ſcheint vorzüglich Friede, Handel und In- duſtrialismus zu ſein, damit die allgemeine Behaglichkeit und Wohl- habenheit nicht geſtört werde! Diplomatiſche Charactere. 1 233. Große diplomatiſche Charaktere ſind zu allen Zeiten eine Seltenheit geweſen; manche ſind wohl ſelbſt der Geſchichte unbe- kannt geblieben; diejenigen vorzüglich, welche nur in untergeordne- ter Stellung arbeiteten, dennoch aber die Hauptfactoren unter frem- dem glänzenderen Namen waren. Oft verſchweigt auch die Ge- ſchichte die Werke der Staatsmänner im diplomatiſchen Bereich, denn nicht immer iſt es erlaubt geweſen in die Werkſtätte zu ſchauen und den Schleier zu lüften. Wir haben hier nicht den Raum, noch weniger den Beruf eine Geſchichte der Diplomatie in den Lebensbildern ihrer Organe zu ſchreiben, am wenigſten aus der Gegenwart, deren Geſchichte 1 Einzelnes hierzu liefert Wicquefort II, ch. 17.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/401>, abgerufen am 27.11.2024.