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Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847.

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Der Sprachunterricht in der Volksschule hat nicht bloß den äußer-
lichen Zweck, nothdürftige Fertigkeit im Lesen und Schreiben hervor-
zubringen; er soll den Gedankenkreis der Schüler ordnen, berichtigen,
erweitern; er soll sie mit dem Sprachschatz, so weit er dem Leben des
Volkes angehört, bekannt machen; er soll sie in sicherer und schneller
Auffassung des Gelesenen oder Gehörten und in klarer, sprachrichtiger
Darstellung eigener und gegebener Gedanken üben, und diesen Zweck
nicht sowohl durch Aufstellung grammatischer Regeln als durch Bildung
des Sprachgefühls und vielseitige Uebung zu erreichen suchen. Es
leuchtet ein, daß für diesen Zweck ein von den übrigen Lehrstunden
abgesonderter grammatischer Unterricht nicht ausreicht, und daß der
letztere nur eines von den Mitteln für den angegebenen Zweck ist, und
nur in Verbindung mit einer durch alle Lehrstunden fortgesetzten Uebung
von Erfolg sein kann.

Wenn gleichwohl viele Lehrer bei der oben erwähnten unfrucht-
baren und für die Schüler unerquicklichen Behandlung des Sprach-
unterrichts beharren, so können wir den Grund dieser unerfreulichen
Wahrnehmung nur in zwei Umständen finden, in der Unbekanntschaft
mit den zu einer lebendigen Sprachkenntniß führenden Uebungen und
in der Bequemlichkeit der hergebrachten Weise des Sprachunterrichts.
Es ist unstreitig leichter, mit den Schülern einen Leitfaden der Gram-
matik durchzugehen und sie die darin vorgeschriebenen Uebungen anstellen
zu lassen, als sich mit den Schülern in einen geistigen Verkehr zu
setzen, der alle die oben angegebenen Zwecke in freierer Weise und
dennoch nach einem sichern Plane verfolgt. Es ist uns nicht ent-
gangen, welchen Einfluß diese letztere Rücksicht auf die Ansichten vieler
Lehrer gehabthat, und wie die meisten Bedenken, die man gegen eine freiere
Behandlung des Sprachunterrichts aufgestellt hat, großentheils ausgehen
von der Abneigung, den gewohnten Weg zu verlassen, und einer wenig
begründeten Meinung von den Vorzügen der bisher befolgten Methode.

Wir müssen es den Herren Superintendenten und Schulinspectoren
überlassen, diejenigen Lehrer, welche in dem letztern Irrthum befangen
sein möchten, durch bestimmte Hinweisung auf die mangelhaften Er-
folge ihres Sprachunterrichts eines Bessern zu belehren; diejenigen
Lehrer aber, denen es bloß an der Kenntniß einer besseren Methode
fehlt, auf die nachstehenden Andeutungen zu einer fruchtbaren Be-
handlung des Sprachunterrichts hinzuweisen.

Der Sprachunterricht in der Volksſchule hat nicht bloß den äußer-
lichen Zweck, nothdürftige Fertigkeit im Leſen und Schreiben hervor-
zubringen; er ſoll den Gedankenkreis der Schüler ordnen, berichtigen,
erweitern; er ſoll ſie mit dem Sprachſchatz, ſo weit er dem Leben des
Volkes angehört, bekannt machen; er ſoll ſie in ſicherer und ſchneller
Auffaſſung des Geleſenen oder Gehörten und in klarer, ſprachrichtiger
Darſtellung eigener und gegebener Gedanken üben, und dieſen Zweck
nicht ſowohl durch Aufſtellung grammatiſcher Regeln als durch Bildung
des Sprachgefühls und vielſeitige Uebung zu erreichen ſuchen. Es
leuchtet ein, daß für dieſen Zweck ein von den übrigen Lehrſtunden
abgeſonderter grammatiſcher Unterricht nicht ausreicht, und daß der
letztere nur eines von den Mitteln für den angegebenen Zweck iſt, und
nur in Verbindung mit einer durch alle Lehrſtunden fortgeſetzten Uebung
von Erfolg ſein kann.

Wenn gleichwohl viele Lehrer bei der oben erwähnten unfrucht-
baren und für die Schüler unerquicklichen Behandlung des Sprach-
unterrichts beharren, ſo können wir den Grund dieſer unerfreulichen
Wahrnehmung nur in zwei Umſtänden finden, in der Unbekanntſchaft
mit den zu einer lebendigen Sprachkenntniß führenden Uebungen und
in der Bequemlichkeit der hergebrachten Weiſe des Sprachunterrichts.
Es iſt unſtreitig leichter, mit den Schülern einen Leitfaden der Gram-
matik durchzugehen und ſie die darin vorgeſchriebenen Uebungen anſtellen
zu laſſen, als ſich mit den Schülern in einen geiſtigen Verkehr zu
ſetzen, der alle die oben angegebenen Zwecke in freierer Weiſe und
dennoch nach einem ſichern Plane verfolgt. Es iſt uns nicht ent-
gangen, welchen Einfluß dieſe letztere Rückſicht auf die Anſichten vieler
Lehrer gehabthat, und wie die meiſten Bedenken, die man gegen eine freiere
Behandlung des Sprachunterrichts aufgeſtellt hat, großentheils ausgehen
von der Abneigung, den gewohnten Weg zu verlaſſen, und einer wenig
begründeten Meinung von den Vorzügen der bisher befolgten Methode.

Wir müſſen es den Herren Superintendenten und Schulinſpectoren
überlaſſen, diejenigen Lehrer, welche in dem letztern Irrthum befangen
ſein möchten, durch beſtimmte Hinweiſung auf die mangelhaften Er-
folge ihres Sprachunterrichts eines Beſſern zu belehren; diejenigen
Lehrer aber, denen es bloß an der Kenntniß einer beſſeren Methode
fehlt, auf die nachſtehenden Andeutungen zu einer fruchtbaren Be-
handlung des Sprachunterrichts hinzuweiſen.

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[170/0184] Der Sprachunterricht in der Volksſchule hat nicht bloß den äußer- lichen Zweck, nothdürftige Fertigkeit im Leſen und Schreiben hervor- zubringen; er ſoll den Gedankenkreis der Schüler ordnen, berichtigen, erweitern; er ſoll ſie mit dem Sprachſchatz, ſo weit er dem Leben des Volkes angehört, bekannt machen; er ſoll ſie in ſicherer und ſchneller Auffaſſung des Geleſenen oder Gehörten und in klarer, ſprachrichtiger Darſtellung eigener und gegebener Gedanken üben, und dieſen Zweck nicht ſowohl durch Aufſtellung grammatiſcher Regeln als durch Bildung des Sprachgefühls und vielſeitige Uebung zu erreichen ſuchen. Es leuchtet ein, daß für dieſen Zweck ein von den übrigen Lehrſtunden abgeſonderter grammatiſcher Unterricht nicht ausreicht, und daß der letztere nur eines von den Mitteln für den angegebenen Zweck iſt, und nur in Verbindung mit einer durch alle Lehrſtunden fortgeſetzten Uebung von Erfolg ſein kann. Wenn gleichwohl viele Lehrer bei der oben erwähnten unfrucht- baren und für die Schüler unerquicklichen Behandlung des Sprach- unterrichts beharren, ſo können wir den Grund dieſer unerfreulichen Wahrnehmung nur in zwei Umſtänden finden, in der Unbekanntſchaft mit den zu einer lebendigen Sprachkenntniß führenden Uebungen und in der Bequemlichkeit der hergebrachten Weiſe des Sprachunterrichts. Es iſt unſtreitig leichter, mit den Schülern einen Leitfaden der Gram- matik durchzugehen und ſie die darin vorgeſchriebenen Uebungen anſtellen zu laſſen, als ſich mit den Schülern in einen geiſtigen Verkehr zu ſetzen, der alle die oben angegebenen Zwecke in freierer Weiſe und dennoch nach einem ſichern Plane verfolgt. Es iſt uns nicht ent- gangen, welchen Einfluß dieſe letztere Rückſicht auf die Anſichten vieler Lehrer gehabthat, und wie die meiſten Bedenken, die man gegen eine freiere Behandlung des Sprachunterrichts aufgeſtellt hat, großentheils ausgehen von der Abneigung, den gewohnten Weg zu verlaſſen, und einer wenig begründeten Meinung von den Vorzügen der bisher befolgten Methode. Wir müſſen es den Herren Superintendenten und Schulinſpectoren überlaſſen, diejenigen Lehrer, welche in dem letztern Irrthum befangen ſein möchten, durch beſtimmte Hinweiſung auf die mangelhaften Er- folge ihres Sprachunterrichts eines Beſſern zu belehren; diejenigen Lehrer aber, denen es bloß an der Kenntniß einer beſſeren Methode fehlt, auf die nachſtehenden Andeutungen zu einer fruchtbaren Be- handlung des Sprachunterrichts hinzuweiſen.

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Zitationshilfe: Heckert, Adolph (Hrsg.): Handbuch der Schulgesetzgebung Preußens. Berlin, 1847, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heckert_schulgesetzgebung_1847/184>, abgerufen am 24.11.2024.