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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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daß er die Leinewand, aus der auch Siebbeutel ge-
macht werden könnten, bemalt, auch verlacht man
ihn noch nicht, wenn man sieht, daß er auf die
Composition seines Gemäldes Mühe und Fleiß ver-
wendet, daß er die Farben, die ja doch auch schon
an sich dem Auge schmeicheln, auf Gestalten, und
die Gestalten wieder auf einen inneren, für den
bloßen Gaffer nicht vorhandenen Mittelpunkt bezieht,
statt das Farbenbrett selbst mit dem eingerührten
Blau, Gelb und Roth, für das Gemälde zu geben,
oder doch den bunten Gestalten- und Figuren-Tanz;
aber jene Kunst, die, wie alles Höchste, nur dann
überhaupt etwas ist, wenn sie das, was sie seyn
soll, ganz ist, muß sich jetzt, wie über eine Narr-
heit, darüber hudeln lassen, daß sie ihre einzige,
ihre erste und letzte Aufgabe, im Auge behält, statt
es sich bequem zu machen und für den Karfunkel
den Kiesel zu bieten, für ein tiefsinniges und un-
ergründliches Lebens-Symbol ein gemeines Le-
bens-Räthsel
, das mit der gelös'ten Spannung
in's Nichts zerplatzt, und, außer Stande, auch nur
die dürftigste Seele für einen Moment zu sättigen,
Nichts erweckt, als den Hungerruf: was Neues!

daß er die Leinewand, aus der auch Siebbeutel ge-
macht werden könnten, bemalt, auch verlacht man
ihn noch nicht, wenn man ſieht, daß er auf die
Compoſition ſeines Gemäldes Mühe und Fleiß ver-
wendet, daß er die Farben, die ja doch auch ſchon
an ſich dem Auge ſchmeicheln, auf Geſtalten, und
die Geſtalten wieder auf einen inneren, für den
bloßen Gaffer nicht vorhandenen Mittelpunkt bezieht,
ſtatt das Farbenbrett ſelbſt mit dem eingerührten
Blau, Gelb und Roth, für das Gemälde zu geben,
oder doch den bunten Geſtalten- und Figuren-Tanz;
aber jene Kunſt, die, wie alles Höchſte, nur dann
überhaupt etwas iſt, wenn ſie das, was ſie ſeyn
ſoll, ganz iſt, muß ſich jetzt, wie über eine Narr-
heit, darüber hudeln laſſen, daß ſie ihre einzige,
ihre erſte und letzte Aufgabe, im Auge behält, ſtatt
es ſich bequem zu machen und für den Karfunkel
den Kieſel zu bieten, für ein tiefſinniges und un-
ergründliches Lebens-Symbol ein gemeines Le-
bens-Räthſel
, das mit der gelöſ’ten Spannung
in’s Nichts zerplatzt, und, außer Stande, auch nur
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[XI/0031] daß er die Leinewand, aus der auch Siebbeutel ge- macht werden könnten, bemalt, auch verlacht man ihn noch nicht, wenn man ſieht, daß er auf die Compoſition ſeines Gemäldes Mühe und Fleiß ver- wendet, daß er die Farben, die ja doch auch ſchon an ſich dem Auge ſchmeicheln, auf Geſtalten, und die Geſtalten wieder auf einen inneren, für den bloßen Gaffer nicht vorhandenen Mittelpunkt bezieht, ſtatt das Farbenbrett ſelbſt mit dem eingerührten Blau, Gelb und Roth, für das Gemälde zu geben, oder doch den bunten Geſtalten- und Figuren-Tanz; aber jene Kunſt, die, wie alles Höchſte, nur dann überhaupt etwas iſt, wenn ſie das, was ſie ſeyn ſoll, ganz iſt, muß ſich jetzt, wie über eine Narr- heit, darüber hudeln laſſen, daß ſie ihre einzige, ihre erſte und letzte Aufgabe, im Auge behält, ſtatt es ſich bequem zu machen und für den Karfunkel den Kieſel zu bieten, für ein tiefſinniges und un- ergründliches Lebens-Symbol ein gemeines Le- bens-Räthſel, das mit der gelöſ’ten Spannung in’s Nichts zerplatzt, und, außer Stande, auch nur die dürftigſte Seele für einen Moment zu ſättigen, Nichts erweckt, als den Hungerruf: was Neues!

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/31>, abgerufen am 25.04.2024.