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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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gewaltigen Bildern zeigen, wie die bisher nicht
durchaus in einem lebendigen Organismus gesättigt
aufgegangenen, sondern zum Theil nur in einem
Scheinkörper erstarrt gewesenen und durch die letzte
große Geschichts-Bewegung entfesselten Elemente,
durcheinander fluthend und sich gegenseitig bekäm-
pfend, die neue Form der Menschheit, in welcher
Alles wieder an seine Stelle treten, in welcher das
Weib dem Mann wieder gegenüber stehen wird, wie
dieser der Gesellschaft, und wie die Gesellschaft der
Idee, erzeugen. Damit ist nun freilich der Uebel-
stand verknüpft, daß die dramatische Kunst sich auf
Bedenkliches und Bedenklichstes einlassen muß, da
das Brechen der Weltzustände ja nur in der Ge-
brochenheit der individuellen erscheinen kann, und
da ein Erdbeben sich nicht anders darstellen läßt,
als durch das Zusammenstürzen der Kirchen und
Häuser und die ungebändigt hereindringenden Flu-
then des Meers. Ich nenne es natürlich nur mit
Rücksicht auf die harmlosen Seelen, die ein Trauer-
spiel
und ein Kartenspiel unbewußt auf einen
und denselben Zweck
reduciren, einen Uebelstand,
denn diesen wird unheimlich zu Muth, wenn Spa-

gewaltigen Bildern zeigen, wie die bisher nicht
durchaus in einem lebendigen Organismus geſättigt
aufgegangenen, ſondern zum Theil nur in einem
Scheinkörper erſtarrt geweſenen und durch die letzte
große Geſchichts-Bewegung entfeſſelten Elemente,
durcheinander fluthend und ſich gegenſeitig bekäm-
pfend, die neue Form der Menſchheit, in welcher
Alles wieder an ſeine Stelle treten, in welcher das
Weib dem Mann wieder gegenüber ſtehen wird, wie
dieſer der Geſellſchaft, und wie die Geſellſchaft der
Idee, erzeugen. Damit iſt nun freilich der Uebel-
ſtand verknüpft, daß die dramatiſche Kunſt ſich auf
Bedenkliches und Bedenklichſtes einlaſſen muß, da
das Brechen der Weltzuſtände ja nur in der Ge-
brochenheit der individuellen erſcheinen kann, und
da ein Erdbeben ſich nicht anders darſtellen läßt,
als durch das Zuſammenſtürzen der Kirchen und
Häuſer und die ungebändigt hereindringenden Flu-
then des Meers. Ich nenne es natürlich nur mit
Rückſicht auf die harmloſen Seelen, die ein Trauer-
ſpiel
und ein Kartenſpiel unbewußt auf einen
und denſelben Zweck
reduciren, einen Uebelſtand,
denn dieſen wird unheimlich zu Muth, wenn Spa-

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[IX/0029] gewaltigen Bildern zeigen, wie die bisher nicht durchaus in einem lebendigen Organismus geſättigt aufgegangenen, ſondern zum Theil nur in einem Scheinkörper erſtarrt geweſenen und durch die letzte große Geſchichts-Bewegung entfeſſelten Elemente, durcheinander fluthend und ſich gegenſeitig bekäm- pfend, die neue Form der Menſchheit, in welcher Alles wieder an ſeine Stelle treten, in welcher das Weib dem Mann wieder gegenüber ſtehen wird, wie dieſer der Geſellſchaft, und wie die Geſellſchaft der Idee, erzeugen. Damit iſt nun freilich der Uebel- ſtand verknüpft, daß die dramatiſche Kunſt ſich auf Bedenkliches und Bedenklichſtes einlaſſen muß, da das Brechen der Weltzuſtände ja nur in der Ge- brochenheit der individuellen erſcheinen kann, und da ein Erdbeben ſich nicht anders darſtellen läßt, als durch das Zuſammenſtürzen der Kirchen und Häuſer und die ungebändigt hereindringenden Flu- then des Meers. Ich nenne es natürlich nur mit Rückſicht auf die harmloſen Seelen, die ein Trauer- ſpiel und ein Kartenſpiel unbewußt auf einen und denſelben Zweck reduciren, einen Uebelſtand, denn dieſen wird unheimlich zu Muth, wenn Spa-

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/29>, abgerufen am 26.04.2024.