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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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bare Dialectik seiner Charactere, die, so weit sie
Männer der That sind, alles Lebendige um sich her
durch ungemessenste Ausdehnung verdrängen, und
so weit sie im Gedanken leben, wie Hamlet, in
eben so ungemessener Vertiefung in sich selbst durch
die kühnsten entsetzlichsten Fragen Gott aus der Welt,
wie aus einer Pfuscherei, herausjagen mögten.

Nach Shakspeare hat zuerst Goethe im Faust
und in den mit Recht dramatisch genannten Wahl-
verwandtschaften
wieder zu einem großen Drama
den Grundstein gelegt, und zwar hat er gethan,
oder vielmehr zu thun angefangen, was allein noch
übrig blieb, er hat die Dialectik unmittelbar in
die Idee selbst hinein geworfen, er hat den Wider-
spruch, den Shakspeare nur noch im Ich aufzeigt,
in dem Centrum, um das das Ich sich herum be-
wegt, d. h. in der diesem erfaßbaren Seite desselben,
aufzuzeigen, und so den Punct, auf den die gerade,
wie die krumme Linie zurück zu führen schien, in
zwei Hälften zu theilen gesucht. Es muß Niemand
wundern, daß ich Calderon, dem Manche einen
gleichen Rang anweisen, übergehe, denn das Cal-
deronsche Drama ist allerdings bewunderungswürdig

bare Dialectik ſeiner Charactere, die, ſo weit ſie
Männer der That ſind, alles Lebendige um ſich her
durch ungemeſſenſte Ausdehnung verdrängen, und
ſo weit ſie im Gedanken leben, wie Hamlet, in
eben ſo ungemeſſener Vertiefung in ſich ſelbſt durch
die kühnſten entſetzlichſten Fragen Gott aus der Welt,
wie aus einer Pfuſcherei, herausjagen mögten.

Nach Shakſpeare hat zuerſt Goethe im Fauſt
und in den mit Recht dramatiſch genannten Wahl-
verwandtſchaften
wieder zu einem großen Drama
den Grundſtein gelegt, und zwar hat er gethan,
oder vielmehr zu thun angefangen, was allein noch
übrig blieb, er hat die Dialectik unmittelbar in
die Idee ſelbſt hinein geworfen, er hat den Wider-
ſpruch, den Shakſpeare nur noch im Ich aufzeigt,
in dem Centrum, um das das Ich ſich herum be-
wegt, d. h. in der dieſem erfaßbaren Seite deſſelben,
aufzuzeigen, und ſo den Punct, auf den die gerade,
wie die krumme Linie zurück zu führen ſchien, in
zwei Hälften zu theilen geſucht. Es muß Niemand
wundern, daß ich Calderon, dem Manche einen
gleichen Rang anweiſen, übergehe, denn das Cal-
deronſche Drama iſt allerdings bewunderungswürdig

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[IV/0024] bare Dialectik ſeiner Charactere, die, ſo weit ſie Männer der That ſind, alles Lebendige um ſich her durch ungemeſſenſte Ausdehnung verdrängen, und ſo weit ſie im Gedanken leben, wie Hamlet, in eben ſo ungemeſſener Vertiefung in ſich ſelbſt durch die kühnſten entſetzlichſten Fragen Gott aus der Welt, wie aus einer Pfuſcherei, herausjagen mögten. Nach Shakſpeare hat zuerſt Goethe im Fauſt und in den mit Recht dramatiſch genannten Wahl- verwandtſchaften wieder zu einem großen Drama den Grundſtein gelegt, und zwar hat er gethan, oder vielmehr zu thun angefangen, was allein noch übrig blieb, er hat die Dialectik unmittelbar in die Idee ſelbſt hinein geworfen, er hat den Wider- ſpruch, den Shakſpeare nur noch im Ich aufzeigt, in dem Centrum, um das das Ich ſich herum be- wegt, d. h. in der dieſem erfaßbaren Seite deſſelben, aufzuzeigen, und ſo den Punct, auf den die gerade, wie die krumme Linie zurück zu führen ſchien, in zwei Hälften zu theilen geſucht. Es muß Niemand wundern, daß ich Calderon, dem Manche einen gleichen Rang anweiſen, übergehe, denn das Cal- deronſche Drama iſt allerdings bewunderungswürdig

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/24>, abgerufen am 23.04.2024.