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Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Fenster, so will ich gerade das Gegentheil russischer Fellraßler machen und vom Fortissimo abwärts trommeln und piano und im leisen Adagiowirbel ihr zuflüstern: "ich liebe dich". Ein berühmter Mensch möchte ich sein, nur daß sie von mir hörte und stolz zu sich sagte: "Der hat dich einst geliebt"; aber leider reden die Leute nicht von mir, höchstens wird man ihr morgen sagen: "Gestern Nacht ist er auch wieder bis Mitternacht im Weinkeller gelegen!" Und wenn ich vollends ein Schuster oder Schneider wäre! Doch dies ist ein gemeiner Gedanke und deiner unwürdig, Adelgunde! --

Jetzt wacht wohl Keiner mehr, als der Höchste und Niedrigste dieser Stadt, nämlich der Thurmwächter hoch oben auf der Domkirche und ich tief unten im Rathskeller. Wär' ich doch Der auf dem Thurme! in jeder Stunde wollte ich ein Sprachrohr ansetzen und dir ein Lied hinabsingen ins Schlafkämmerlein: doch nein! das würde ja den süßen Engel aus seinem Schlummer wecken, aus seinen holden lieblichen Träumen. Doch hier unten hört mich Niemand, da will ich eins singen. Seele! komme ich mir denn nicht gerade vor, wie ein Soldat auf dem Posten, dem das Heimweh recht schwer und tief im Herzen liegt? Und hat nicht einer meiner Freunde dieß Lied gedichtet?

Steh' ich in finstrer Mitternacht
So einsam auf der fernen Wacht,
Dann denk' ich an mein fernes Lieb,
Ob es mir treu und hold verblieb.

Fenster, so will ich gerade das Gegentheil russischer Fellraßler machen und vom Fortissimo abwärts trommeln und piano und im leisen Adagiowirbel ihr zuflüstern: „ich liebe dich“. Ein berühmter Mensch möchte ich sein, nur daß sie von mir hörte und stolz zu sich sagte: „Der hat dich einst geliebt“; aber leider reden die Leute nicht von mir, höchstens wird man ihr morgen sagen: „Gestern Nacht ist er auch wieder bis Mitternacht im Weinkeller gelegen!“ Und wenn ich vollends ein Schuster oder Schneider wäre! Doch dies ist ein gemeiner Gedanke und deiner unwürdig, Adelgunde! —

Jetzt wacht wohl Keiner mehr, als der Höchste und Niedrigste dieser Stadt, nämlich der Thurmwächter hoch oben auf der Domkirche und ich tief unten im Rathskeller. Wär' ich doch Der auf dem Thurme! in jeder Stunde wollte ich ein Sprachrohr ansetzen und dir ein Lied hinabsingen ins Schlafkämmerlein: doch nein! das würde ja den süßen Engel aus seinem Schlummer wecken, aus seinen holden lieblichen Träumen. Doch hier unten hört mich Niemand, da will ich eins singen. Seele! komme ich mir denn nicht gerade vor, wie ein Soldat auf dem Posten, dem das Heimweh recht schwer und tief im Herzen liegt? Und hat nicht einer meiner Freunde dieß Lied gedichtet?

Steh' ich in finstrer Mitternacht
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Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910/30>, abgerufen am 28.03.2024.