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Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827.

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du nicht, daß dieses dreizehenjährige Herz auch
den Werther und sogar etwas von Clauren gelesen
haben kann, und Liebe für dich fühlt? Aber die
Scene ändert sich. Sey mir gegrüßt, Du Fel¬
senthal der Alb! Du blauer Strom, an wel¬
chem ich drei lange Jahre hauste. Die Jahre
lebte, die den Knaben zum Jüngling machen.
Sey mir gegrüßt, du klösterliches Dach, du
Kreuzgang mit den Bildern verstorbener Aebte,
du Kirche mit dem wundervollen Hochaltar,
ihr Bilder alle in schönes Gold des Morgen¬
roths getaucht! Seyd mir gegrüßt, ihr Schlößer
auf den Felsen, ihr Höhlen, ihr Thäler, ihr
grünen Wälder. Jene Thäler, jene Kloster¬
mauern waren das enge Nest, das uns aufzog,
bis wir flügge waren, und ihrer rauhen Albluft
danken wir es, daß wir nicht verweichlichten.

Ich komme ans fünfte Glas, ins fünfte
Seculum unseres Lebens. Ich schlürfe euch
ein, lieblichen Erinnerungen, wie ich dieß Glas

du nicht, daß dieſes dreizehenjaͤhrige Herz auch
den Werther und ſogar etwas von Clauren geleſen
haben kann, und Liebe fuͤr dich fuͤhlt? Aber die
Scene aͤndert ſich. Sey mir gegruͤßt, Du Fel¬
ſenthal der Alb! Du blauer Strom, an wel¬
chem ich drei lange Jahre hauste. Die Jahre
lebte, die den Knaben zum Juͤngling machen.
Sey mir gegruͤßt, du kloͤſterliches Dach, du
Kreuzgang mit den Bildern verſtorbener Aebte,
du Kirche mit dem wundervollen Hochaltar,
ihr Bilder alle in ſchoͤnes Gold des Morgen¬
roths getaucht! Seyd mir gegruͤßt, ihr Schloͤßer
auf den Felſen, ihr Hoͤhlen, ihr Thaͤler, ihr
gruͤnen Waͤlder. Jene Thaͤler, jene Kloſter¬
mauern waren das enge Neſt, das uns aufzog,
bis wir fluͤgge waren, und ihrer rauhen Albluft
danken wir es, daß wir nicht verweichlichten.

Ich komme ans fuͤnfte Glas, ins fuͤnfte
Seculum unſeres Lebens. Ich ſchluͤrfe euch
ein, lieblichen Erinnerungen, wie ich dieß Glas

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[40/0046] du nicht, daß dieſes dreizehenjaͤhrige Herz auch den Werther und ſogar etwas von Clauren geleſen haben kann, und Liebe fuͤr dich fuͤhlt? Aber die Scene aͤndert ſich. Sey mir gegruͤßt, Du Fel¬ ſenthal der Alb! Du blauer Strom, an wel¬ chem ich drei lange Jahre hauste. Die Jahre lebte, die den Knaben zum Juͤngling machen. Sey mir gegruͤßt, du kloͤſterliches Dach, du Kreuzgang mit den Bildern verſtorbener Aebte, du Kirche mit dem wundervollen Hochaltar, ihr Bilder alle in ſchoͤnes Gold des Morgen¬ roths getaucht! Seyd mir gegruͤßt, ihr Schloͤßer auf den Felſen, ihr Hoͤhlen, ihr Thaͤler, ihr gruͤnen Waͤlder. Jene Thaͤler, jene Kloſter¬ mauern waren das enge Neſt, das uns aufzog, bis wir fluͤgge waren, und ihrer rauhen Albluft danken wir es, daß wir nicht verweichlichten. Ich komme ans fuͤnfte Glas, ins fuͤnfte Seculum unſeres Lebens. Ich ſchluͤrfe euch ein, lieblichen Erinnerungen, wie ich dieß Glas

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Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart, 1827, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_phantasien_1827/46>, abgerufen am 29.03.2024.