Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

so ist sie doch nur der fruchtbare Boden, auf dem
eine sorgfältige moralische Erziehung fortbauen soll.

Einer der ersten Grundsätze muß sein, die Furcht
im Kinde nicht aufkommen zu lassen, Furcht vor
der Dunkelheit, Furcht vor Gespenstern, Furcht vor
dem Gewitter. Man denke sich ein Kind, das beim
Schlafengehen schnell unter die Bettdecke kriecht, weil
es in der Dunkelheit irgend ein schreckliches Fantom
zu sehen fürchtet. Die Zeit der Nacht, für einen
jeden andern die schönste Ruhezeit, ist für den armen
Kleinen das Signal der peinlichsten Unruhe. Wäh-
rend andere einen erquickenden Schlaf genießen, treibt
ihm der geringste Laut den Angstschweiß aus, und
nur dann schläft es ein, wenn übergroße Müdig-
keit der Furcht die Wage hält. Der nachtheilige Ein-
fluß dieses Zustandes bedarf keines Beweises.

Die Furcht ist ein beständiger Krampf; sie schnürt
alle kleinen Gefäße zusammen, die ganze Haut wird
kalt, blaß, und die Ausdünstung völlig gehemmt.
Alles Blut sammelt sich in den inneren Theilen,
der Pulsschlag stockt, die Circulation wird gestört.

Die Furcht ist also ein sehr deprimirender Affect,
der die allgemeine Sensibilität, und folglich die Ab-
hängigkeit von allen äußern Einflüssen bedeutend
erhöht. Wie schützen wir das Kind gegen diese
entnervende Leidenschaft? Am Besten dadurch, daß

ſo iſt ſie doch nur der fruchtbare Boden, auf dem
eine ſorgfaͤltige moraliſche Erziehung fortbauen ſoll.

Einer der erſten Grundſaͤtze muß ſein, die Furcht
im Kinde nicht aufkommen zu laſſen, Furcht vor
der Dunkelheit, Furcht vor Geſpenſtern, Furcht vor
dem Gewitter. Man denke ſich ein Kind, das beim
Schlafengehen ſchnell unter die Bettdecke kriecht, weil
es in der Dunkelheit irgend ein ſchreckliches Fantom
zu ſehen fuͤrchtet. Die Zeit der Nacht, fuͤr einen
jeden andern die ſchoͤnſte Ruhezeit, iſt fuͤr den armen
Kleinen das Signal der peinlichſten Unruhe. Waͤh-
rend andere einen erquickenden Schlaf genießen, treibt
ihm der geringſte Laut den Angſtſchweiß aus, und
nur dann ſchlaͤft es ein, wenn uͤbergroße Muͤdig-
keit der Furcht die Wage haͤlt. Der nachtheilige Ein-
fluß dieſes Zuſtandes bedarf keines Beweiſes.

Die Furcht iſt ein beſtaͤndiger Krampf; ſie ſchnuͤrt
alle kleinen Gefaͤße zuſammen, die ganze Haut wird
kalt, blaß, und die Ausduͤnſtung voͤllig gehemmt.
Alles Blut ſammelt ſich in den inneren Theilen,
der Pulsſchlag ſtockt, die Circulation wird geſtoͤrt.

Die Furcht iſt alſo ein ſehr deprimirender Affect,
der die allgemeine Senſibilitaͤt, und folglich die Ab-
haͤngigkeit von allen aͤußern Einfluͤſſen bedeutend
erhoͤht. Wie ſchuͤtzen wir das Kind gegen dieſe
entnervende Leidenſchaft? Am Beſten dadurch, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0114" n="104"/>
&#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie doch nur der fruchtbare Boden, auf dem<lb/>
eine &#x017F;orgfa&#x0364;ltige morali&#x017F;che Erziehung fortbauen &#x017F;oll.</p><lb/>
        <p>Einer der er&#x017F;ten Grund&#x017F;a&#x0364;tze muß &#x017F;ein, die Furcht<lb/>
im Kinde nicht aufkommen zu la&#x017F;&#x017F;en, Furcht vor<lb/>
der Dunkelheit, Furcht vor Ge&#x017F;pen&#x017F;tern, Furcht vor<lb/>
dem Gewitter. Man denke &#x017F;ich ein Kind, das beim<lb/>
Schlafengehen &#x017F;chnell unter die Bettdecke kriecht, weil<lb/>
es in der Dunkelheit irgend ein &#x017F;chreckliches Fantom<lb/>
zu &#x017F;ehen fu&#x0364;rchtet. Die Zeit der Nacht, fu&#x0364;r einen<lb/>
jeden andern die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Ruhezeit, i&#x017F;t fu&#x0364;r den armen<lb/>
Kleinen das Signal der peinlich&#x017F;ten Unruhe. Wa&#x0364;h-<lb/>
rend andere einen erquickenden Schlaf genießen, treibt<lb/>
ihm der gering&#x017F;te Laut den Ang&#x017F;t&#x017F;chweiß aus, und<lb/>
nur dann &#x017F;chla&#x0364;ft es ein, wenn u&#x0364;bergroße Mu&#x0364;dig-<lb/>
keit der Furcht die Wage ha&#x0364;lt. Der nachtheilige Ein-<lb/>
fluß die&#x017F;es Zu&#x017F;tandes bedarf keines Bewei&#x017F;es.</p><lb/>
        <p>Die Furcht i&#x017F;t ein be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Krampf; &#x017F;ie &#x017F;chnu&#x0364;rt<lb/>
alle kleinen Gefa&#x0364;ße zu&#x017F;ammen, die ganze Haut wird<lb/>
kalt, blaß, und die Ausdu&#x0364;n&#x017F;tung vo&#x0364;llig gehemmt.<lb/>
Alles Blut &#x017F;ammelt &#x017F;ich in den inneren Theilen,<lb/>
der Puls&#x017F;chlag &#x017F;tockt, die Circulation wird ge&#x017F;to&#x0364;rt.</p><lb/>
        <p>Die Furcht i&#x017F;t al&#x017F;o ein &#x017F;ehr deprimirender Affect,<lb/>
der die allgemeine Sen&#x017F;ibilita&#x0364;t, und folglich die Ab-<lb/>
ha&#x0364;ngigkeit von allen a&#x0364;ußern Einflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en bedeutend<lb/>
erho&#x0364;ht. Wie &#x017F;chu&#x0364;tzen wir das Kind gegen die&#x017F;e<lb/>
entnervende Leiden&#x017F;chaft? Am Be&#x017F;ten dadurch, daß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0114] ſo iſt ſie doch nur der fruchtbare Boden, auf dem eine ſorgfaͤltige moraliſche Erziehung fortbauen ſoll. Einer der erſten Grundſaͤtze muß ſein, die Furcht im Kinde nicht aufkommen zu laſſen, Furcht vor der Dunkelheit, Furcht vor Geſpenſtern, Furcht vor dem Gewitter. Man denke ſich ein Kind, das beim Schlafengehen ſchnell unter die Bettdecke kriecht, weil es in der Dunkelheit irgend ein ſchreckliches Fantom zu ſehen fuͤrchtet. Die Zeit der Nacht, fuͤr einen jeden andern die ſchoͤnſte Ruhezeit, iſt fuͤr den armen Kleinen das Signal der peinlichſten Unruhe. Waͤh- rend andere einen erquickenden Schlaf genießen, treibt ihm der geringſte Laut den Angſtſchweiß aus, und nur dann ſchlaͤft es ein, wenn uͤbergroße Muͤdig- keit der Furcht die Wage haͤlt. Der nachtheilige Ein- fluß dieſes Zuſtandes bedarf keines Beweiſes. Die Furcht iſt ein beſtaͤndiger Krampf; ſie ſchnuͤrt alle kleinen Gefaͤße zuſammen, die ganze Haut wird kalt, blaß, und die Ausduͤnſtung voͤllig gehemmt. Alles Blut ſammelt ſich in den inneren Theilen, der Pulsſchlag ſtockt, die Circulation wird geſtoͤrt. Die Furcht iſt alſo ein ſehr deprimirender Affect, der die allgemeine Senſibilitaͤt, und folglich die Ab- haͤngigkeit von allen aͤußern Einfluͤſſen bedeutend erhoͤht. Wie ſchuͤtzen wir das Kind gegen dieſe entnervende Leidenſchaft? Am Beſten dadurch, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/114
Zitationshilfe: Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/114>, abgerufen am 27.04.2024.