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Hartmann, Eugen: Entwicklungs-Geschichte der Posten von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Leipzig, 1868.

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Aber auch in den herrlichen Ländern Vorderasiens und
Nordafrikas verlor sich der Postverkehr mit den Hauptstädten
der damaligen Civilisation gänzlich; Jerusalem, Alexandrien,
Constantinopel -- Plätze, von denen das Licht der Religion
und Wissenschaft sich über die Welt verbreitet hatte, sanken für
die materielle und geistige Entwicklung der Menschheit zur Un-
bedeutendheit herab1).

Es muß eine für die Wechselwirkung des vorher so weit
ausgedehnten Verkehrs furchtbar erschütternde Krisis gewesen
sein, als nach und nach diese großartigen Postanstalten im
abendländischen wie im byzantinischen Reiche in Trümmer
gingen!

Aber die Auflösung des cursus publicus mußte kommen,
sie war eine Folge seiner mangelhaften Organisation; und nicht
bloß die Organisation war verfehlt, sondern das Princip führte
den Todeskeim in sich. Flegler schildert das mit sehr kräftigen
Worten, wenn er sagt:2) "Die polypenartig gestaltete Last des
römischen Postwesens, dieser schmerzvollen Nachgeburt eines un-
förmlichen Finanzsystems, bildete sich krampfhaft zu seiner ge-
waltsamsten Stärke aus, gerade als das Reich mit mächtigen
Schritten seinem Untergange entgegeneilte. --

Der Sturz des römischen Reiches war nicht sowohl das
Werk einer physischen Gewalt, als ein tiefgeistiger Vorgang;
er kam nicht von außen herein, sondern von innen heraus;
er lag nicht in der sittlichen Entnervung des Einzelnen, son-
dern in der verderbten Maschinerie des Ganzen.

1) Deutsche Vierteljahrschrift, Jahrg. 1858. -- Zur Geschichte der
Posten.
2) Flegler, zur Geschichte der Posten, 1858.

Aber auch in den herrlichen Ländern Vorderaſiens und
Nordafrikas verlor ſich der Poſtverkehr mit den Hauptſtädten
der damaligen Civiliſation gänzlich; Jeruſalem, Alexandrien,
Conſtantinopel — Plätze, von denen das Licht der Religion
und Wiſſenſchaft ſich über die Welt verbreitet hatte, ſanken für
die materielle und geiſtige Entwicklung der Menſchheit zur Un-
bedeutendheit herab1).

Es muß eine für die Wechſelwirkung des vorher ſo weit
ausgedehnten Verkehrs furchtbar erſchütternde Kriſis geweſen
ſein, als nach und nach dieſe großartigen Poſtanſtalten im
abendländiſchen wie im byzantiniſchen Reiche in Trümmer
gingen!

Aber die Auflöſung des cursus publicus mußte kommen,
ſie war eine Folge ſeiner mangelhaften Organiſation; und nicht
bloß die Organiſation war verfehlt, ſondern das Princip führte
den Todeskeim in ſich. Flegler ſchildert das mit ſehr kräftigen
Worten, wenn er ſagt:2) „Die polypenartig geſtaltete Laſt des
römiſchen Poſtweſens, dieſer ſchmerzvollen Nachgeburt eines un-
förmlichen Finanzſyſtems, bildete ſich krampfhaft zu ſeiner ge-
waltſamſten Stärke aus, gerade als das Reich mit mächtigen
Schritten ſeinem Untergange entgegeneilte. —

Der Sturz des römiſchen Reiches war nicht ſowohl das
Werk einer phyſiſchen Gewalt, als ein tiefgeiſtiger Vorgang;
er kam nicht von außen herein, ſondern von innen heraus;
er lag nicht in der ſittlichen Entnervung des Einzelnen, ſon-
dern in der verderbten Maſchinerie des Ganzen.

1) Deutſche Vierteljahrſchrift, Jahrg. 1858. — Zur Geſchichte der
Poſten.
2) Flegler, zur Geſchichte der Poſten, 1858.
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[110/0123] Aber auch in den herrlichen Ländern Vorderaſiens und Nordafrikas verlor ſich der Poſtverkehr mit den Hauptſtädten der damaligen Civiliſation gänzlich; Jeruſalem, Alexandrien, Conſtantinopel — Plätze, von denen das Licht der Religion und Wiſſenſchaft ſich über die Welt verbreitet hatte, ſanken für die materielle und geiſtige Entwicklung der Menſchheit zur Un- bedeutendheit herab 1). Es muß eine für die Wechſelwirkung des vorher ſo weit ausgedehnten Verkehrs furchtbar erſchütternde Kriſis geweſen ſein, als nach und nach dieſe großartigen Poſtanſtalten im abendländiſchen wie im byzantiniſchen Reiche in Trümmer gingen! Aber die Auflöſung des cursus publicus mußte kommen, ſie war eine Folge ſeiner mangelhaften Organiſation; und nicht bloß die Organiſation war verfehlt, ſondern das Princip führte den Todeskeim in ſich. Flegler ſchildert das mit ſehr kräftigen Worten, wenn er ſagt: 2) „Die polypenartig geſtaltete Laſt des römiſchen Poſtweſens, dieſer ſchmerzvollen Nachgeburt eines un- förmlichen Finanzſyſtems, bildete ſich krampfhaft zu ſeiner ge- waltſamſten Stärke aus, gerade als das Reich mit mächtigen Schritten ſeinem Untergange entgegeneilte. — Der Sturz des römiſchen Reiches war nicht ſowohl das Werk einer phyſiſchen Gewalt, als ein tiefgeiſtiger Vorgang; er kam nicht von außen herein, ſondern von innen heraus; er lag nicht in der ſittlichen Entnervung des Einzelnen, ſon- dern in der verderbten Maſchinerie des Ganzen. 1) Deutſche Vierteljahrſchrift, Jahrg. 1858. — Zur Geſchichte der Poſten. 2) Flegler, zur Geſchichte der Poſten, 1858.

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Zitationshilfe: Hartmann, Eugen: Entwicklungs-Geschichte der Posten von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. Leipzig, 1868, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartmann_posten_1868/123>, abgerufen am 18.05.2024.