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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648.

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Die siebende Stund.
Verse sind folgende Sätze zu beobachten. I. lau-
tet sehr übel/ wenn zwo gleiche Vor- oder Nachsyl-
ben in eine Reimzeil gesetzet werden/ als in den Vor-
sylben be.

Hört/ jederman beginnt die Rauber zu beklagen.
Jn der Nachsylben er und en.
Der HErr erhört die Seinen/ entfernet nicht
die Gnad/ etc.

Hingegen klingt es wol/ wann die Stammwörter
aufeinander treffen. Also:

Die Liebe liebet selbst die vielbelobte Kunst/
Der Lust ist ohne Lust/ so bald die List erkannt.

II. Sollen in einem vollkommenen Gedicht
zween verwandte Buchstaben nicht aufeinander
treffen/ als da sind t und d/ g und k/ b und p/ wie
auch w/ v und b/ etc. dieweil hierdurch die Wör-
ter gleichsam zusammenfliessen. Vbel klingt es in
poetischen Ohren/ wann ich setze:

Die Bitt dich solt erweichen für
Die Bitte solt erweichen
dich/ O mein HErr und Gott.

Hier ist auch nicht zu vergessen/ was unser Mind
render
in der Vorrede seines singenden Jsaja ver-
meldet: Es ist/ sagt er/ bey vielen eingeführet/ daß
wir das E in der ungebundnen Rede gar nicht/
oder wenig aussprechen/ als: im Zorn/ dem
Gott/ dem Heil/
etc. da es nach der Sprach-

lehre/
B iiij

Die ſiebende Stund.
Verſe ſind folgende Saͤtze zu beobachten. I. lau-
tet ſehr uͤbel/ wenn zwo gleiche Vor- oder Nachſyl-
ben in eine Reimzeil geſetzet werden/ als in den Vor-
ſylben be.

Hoͤrt/ jederman beginnt die Rauber zu beklagen.
Jn der Nachſylben er und en.
Der HErr erhoͤrt die Seinen/ entfernet nicht
die Gnad/ etc.

Hingegen klingt es wol/ wann die Stammwoͤrter
aufeinander treffen. Alſo:

Die Liebe liebet ſelbſt die vielbelobte Kunſt/
Der Luſt iſt ohne Luſt/ ſo bald die Liſt erkannt.

II. Sollen in einem vollkommenen Gedicht
zween verwandte Buchſtaben nicht aufeinander
treffen/ als da ſind t und d/ g und k/ b und p/ wie
auch w/ v und b/ ꝛc. dieweil hierdurch die Woͤr-
ter gleichſam zuſammenflieſſen. Vbel klingt es in
poetiſchen Ohren/ wann ich ſetze:

Die Bitt dich ſolt erweichen fuͤr
Die Bitte ſolt erweichen
dich/ O mein HErr und Gott.

Hier iſt auch nicht zu vergeſſen/ was unſer Mind
render
in der Vorrede ſeines ſingendẽ Jſaja ver-
meldet: Es iſt/ ſagt er/ bey vielen eingefuͤhret/ daß
wir das E in der ungebundnen Rede gar nicht/
oder wenig ausſprechen/ als: im Zorn/ dem
Gott/ dem Heil/
etc. da es nach der Sprach-

lehre/
B iiij
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[9/0023] Die ſiebende Stund. Verſe ſind folgende Saͤtze zu beobachten. I. lau- tet ſehr uͤbel/ wenn zwo gleiche Vor- oder Nachſyl- ben in eine Reimzeil geſetzet werden/ als in den Vor- ſylben be. Hoͤrt/ jederman beginnt die Rauber zu beklagen. Jn der Nachſylben er und en. Der HErr erhoͤrt die Seinen/ entfernet nicht die Gnad/ etc. Hingegen klingt es wol/ wann die Stammwoͤrter aufeinander treffen. Alſo: Die Liebe liebet ſelbſt die vielbelobte Kunſt/ Der Luſt iſt ohne Luſt/ ſo bald die Liſt erkannt. II. Sollen in einem vollkommenen Gedicht zween verwandte Buchſtaben nicht aufeinander treffen/ als da ſind t und d/ g und k/ b und p/ wie auch w/ v und b/ ꝛc. dieweil hierdurch die Woͤr- ter gleichſam zuſammenflieſſen. Vbel klingt es in poetiſchen Ohren/ wann ich ſetze: Die Bitt dich ſolt erweichen fuͤr Die Bitte ſolt erweichen dich/ O mein HErr und Gott. Hier iſt auch nicht zu vergeſſen/ was unſer Mind render in der Vorrede ſeines ſingendẽ Jſaja ver- meldet: Es iſt/ ſagt er/ bey vielen eingefuͤhret/ daß wir das E in der ungebundnen Rede gar nicht/ oder wenig ausſprechen/ als: im Zorn/ dem Gott/ dem Heil/ etc. da es nach der Sprach- lehre/ B iiij

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648/23>, abgerufen am 29.03.2024.