Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648.Die siebende Stund. als wann etwan ein Kind einen Last aufheben sol-te/ welches einen starken Mann leicht zu thun seyn würde. Was nun dem Leser/ aus Vnwis- senheit schwer vorkommet/ daran hat sich der Poet nicht zu kehren/ wann er daran nicht Vrsacher ist/ welches auf zweyerley Weise geschehen kan. I. Wann er fremde Wort aus den noch ungeteutschten Wissenschaften gebrauchet/ deren Verstand we- nig bekant/ und derselben lateinische Deutung nicht an den Rand beysetzet/ wie er thun solte. II. Wann er sich durch das Reimgebänd verleiten lässet/ daß sich die Wörter nicht nach ihrer richti- gen Ordnung fügen/ und die Meinung unlauter machen; und dieses ist des Poeten Vngeschick- lichkeit zuzuschreiben. III. Wann er gar zu hohe und subtile Gedanken/ welche der Lieblichkeit des Gedichts zuwider sind/ ausdrucken wil. 6. Wann aber die Einfälle tiefsinnig und Ver- vorfügen
Die ſiebende Stund. als wann etwan ein Kind einen Laſt aufheben ſol-te/ welches einen ſtarken Mann leicht zu thun ſeyn wuͤrde. Was nun dem Leſer/ aus Vnwiſ- ſenheit ſchwer vorkommet/ daran hat ſich der Poet nicht zu kehren/ wann er daran nicht Vrſacher iſt/ welches auf zweyerley Weiſe geſchehẽ kan. I. Wañ er fremde Wort aus den noch ungeteutſchten Wiſſenſchaften gebrauchet/ deren Verſtand we- nig bekant/ und derſelben lateiniſche Deutung nicht an den Rand beyſetzet/ wie er thun ſolte. II. Wann er ſich durch das Reimgebaͤnd verleiten laͤſſet/ daß ſich die Woͤrter nicht nach ihrer richti- gen Ordnung fuͤgen/ und die Meinung unlauter machen; und dieſes iſt des Poeten Vngeſchick- lichkeit zuzuſchreiben. III. Wann er gar zu hohe und ſubtile Gedanken/ welche der Lieblichkeit des Gedichts zuwider ſind/ ausdrucken wil. 6. Wann aber die Einfaͤlle tiefſinnig und Ver- vorfuͤgen
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Die ſiebende Stund.
als wann etwan ein Kind einen Laſt aufheben ſol-
te/ welches einen ſtarken Mann leicht zu thun
ſeyn wuͤrde. Was nun dem Leſer/ aus Vnwiſ-
ſenheit ſchwer vorkommet/ daran hat ſich der Poet
nicht zu kehren/ wann er daran nicht Vrſacher iſt/
welches auf zweyerley Weiſe geſchehẽ kan. I. Wañ
er fremde Wort aus den noch ungeteutſchten
Wiſſenſchaften gebrauchet/ deren Verſtand we-
nig bekant/ und derſelben lateiniſche Deutung
nicht an den Rand beyſetzet/ wie er thun ſolte. II.
Wann er ſich durch das Reimgebaͤnd verleiten
laͤſſet/ daß ſich die Woͤrter nicht nach ihrer richti-
gen Ordnung fuͤgen/ und die Meinung unlauter
machen; und dieſes iſt des Poeten Vngeſchick-
lichkeit zuzuſchreiben. III. Wann er gar zu hohe
und ſubtile Gedanken/ welche der Lieblichkeit des
Gedichts zuwider ſind/ ausdrucken wil.
6. Wann aber die Einfaͤlle tiefſinnig und Ver-
ſtandrichtig/ hat er dreyerley Mittel ſich voͤllig zu
erklaͤren: I. Kan er das Gemaͤhl zierlich zu Huͤlffe
nemen/ maſſen man mehr bilden/ als ſchreiben
und ausreden kan. II. Die Obſchrift/ oder den
Titel des Gedichts/ dardurch des Leſers Sinn/
auf den Anfangs unbekanten Zweck gerichtet
wird/ und in wenigen Worten beſtehen ſol. Jſt
aber ſolches nicht genug/ kan er II. die kurtze Ver-
faſſung ſeiner Gedanken in ungebundener Rede
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