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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648.

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Die siebende Stund.
auch wol jedes Gedicht etliche Tage liegen lassen/
und als dann mit guten Nachsinnen widerüm ü-
berlesen/ und bey sich darvon/ als von eines frem-
den Werke urtheilen.

4. Wie nun die Kunstgedichte den Verstand
des gemeinen Pövels weit übertreffen/ und die
Perlen nicht für die Säue zu werffen; so hat man
sich an der Vngelehrten Vrtheil so wenig/ als des
Esels Anschreien zu kehren. Es ist eine grosse
Bescheidenheit/ wann solche unpoetische Leser sa-
gen: Jch verstehe es nicht/ und kan deswe-
gen auch nicht darvon urtheilen.
Die
meinsten aber übereilen sich mit einem gantz un-
zeitigen Ausspruch/ und werffen sich aus sch wül-
stiger und ruhmsüchtiger Nichtigkeit/ zu Richtern
auf/ in solchen Sachen/ so sie die Zeit ihres Lebens
noch gelernet/ noch zu lernen begehren. Man
muß aber in dem Poetisiren absonderlich auf die
Beschaffenheit der Personen sehen/ welche man
darmit zu ehren vermeinet; allermassen niemand
das wolgefallen kan/ was er nicht verstehet/ und
ihm gleichsam seine Vnwissenheit aufrükket: Jn
welchem Fall ins gemein schlechter Dank darvon
zu gewarten.

5. Es ist aber eine Sache schwer/ entweder an
sich selbsten/ also ist nichts schwerers/ als das Gold/
oder aus Vnvermögen dessen/ der sie erheben soll/

als
B

Die ſiebende Stund.
auch wol jedes Gedicht etliche Tage liegen laſſen/
und als dann mit guten Nachſinnen wideruͤm uͤ-
berleſen/ und bey ſich darvon/ als von eines frem-
den Werke urtheilen.

4. Wie nun die Kunſtgedichte den Verſtand
des gemeinen Poͤvels weit uͤbertreffen/ und die
Perlen nicht fuͤr die Saͤue zu werffen; ſo hat man
ſich an der Vngelehrten Vrtheil ſo wenig/ als des
Eſels Anſchreien zu kehren. Es iſt eine groſſe
Beſcheidenheit/ wann ſolche unpoetiſche Leſer ſa-
gen: Jch verſtehe es nicht/ und kan deswe-
gen auch nicht darvon urtheilen.
Die
meinſten aber uͤbereilen ſich mit einem gantz un-
zeitigen Ausſpruch/ und werffen ſich aus ſch wuͤl-
ſtiger und ruhmſuͤchtiger Nichtigkeit/ zu Richtern
auf/ in ſolchen Sachen/ ſo ſie die Zeit ihres Lebens
noch gelernet/ noch zu lernen begehren. Man
muß aber in dem Poetiſiren abſonderlich auf die
Beſchaffenheit der Perſonen ſehen/ welche man
darmit zu ehren vermeinet; allermaſſen niemand
das wolgefallen kan/ was er nicht verſtehet/ und
ihm gleichſam ſeine Vnwiſſenheit aufruͤkket: Jn
welchem Fall ins gemein ſchlechter Dank darvon
zu gewarten.

5. Es iſt aber eine Sache ſchwer/ entweder an
ſich ſelbſtẽ/ alſo iſt nichts ſchwerers/ als das Gold/
oder aus Vnvermoͤgen deſſen/ der ſie erheben ſoll/

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B
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[3/0017] Die ſiebende Stund. auch wol jedes Gedicht etliche Tage liegen laſſen/ und als dann mit guten Nachſinnen wideruͤm uͤ- berleſen/ und bey ſich darvon/ als von eines frem- den Werke urtheilen. 4. Wie nun die Kunſtgedichte den Verſtand des gemeinen Poͤvels weit uͤbertreffen/ und die Perlen nicht fuͤr die Saͤue zu werffen; ſo hat man ſich an der Vngelehrten Vrtheil ſo wenig/ als des Eſels Anſchreien zu kehren. Es iſt eine groſſe Beſcheidenheit/ wann ſolche unpoetiſche Leſer ſa- gen: Jch verſtehe es nicht/ und kan deswe- gen auch nicht darvon urtheilen. Die meinſten aber uͤbereilen ſich mit einem gantz un- zeitigen Ausſpruch/ und werffen ſich aus ſch wuͤl- ſtiger und ruhmſuͤchtiger Nichtigkeit/ zu Richtern auf/ in ſolchen Sachen/ ſo ſie die Zeit ihres Lebens noch gelernet/ noch zu lernen begehren. Man muß aber in dem Poetiſiren abſonderlich auf die Beſchaffenheit der Perſonen ſehen/ welche man darmit zu ehren vermeinet; allermaſſen niemand das wolgefallen kan/ was er nicht verſtehet/ und ihm gleichſam ſeine Vnwiſſenheit aufruͤkket: Jn welchem Fall ins gemein ſchlechter Dank darvon zu gewarten. 5. Es iſt aber eine Sache ſchwer/ entweder an ſich ſelbſtẽ/ alſo iſt nichts ſchwerers/ als das Gold/ oder aus Vnvermoͤgen deſſen/ der ſie erheben ſoll/ als B

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648/17>, abgerufen am 18.04.2024.