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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648.

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Die siebende Stund.
Von der Poeterey Ei-
genschaft.

OBwol der Redner fast alle Zierlich-
keit des Poeten gebraucht/ so ist doch
seine Kunst gegen jenen zu achten/
als das Gehen gegen dem Dantzen;
zu welchem/ wie in der Vorrede gedacht/ eine
natürliche Fähigkeit und gleichsam angeborne
Geschicklichkeit vonnöhten ist. Es ist bekant/ daß
vortreffliche Redner keine gute Poeten/ und hin-
wiederüm die Poeten selten gute Redner geben.
Virgilius sol wenig Wort gemacht haben/ und
hat sich auf Befragen/ mit dem Lob des niebereu-
ten Stillschweigens entschuldiget/ sich/ gleich vie-
len andern/ belustigend seinen Gedanken nachzu-
hangen. Demosthenes und Cicero haben kei-
nen Vers schreiben können und ist der erste unter
diesen beeden/ wider alles Verhoffen durch grosse
Mühe/ zu vollkommener Wolredenheit gelanget/
in dem er gleichsam die natürliche Vngeschiklich-

keit/


Die ſiebende Stund.
Von der Poeterey Ei-
genſchaft.

OBwol der Redner faſt alle Zierlich-
keit des Poeten gebraucht/ ſo iſt doch
ſeine Kunſt gegen jenen zu achten/
als das Gehen gegen dem Dantzen;
zu welchem/ wie in der Vorrede gedacht/ eine
natuͤrliche Faͤhigkeit und gleichſam angeborne
Geſchicklichkeit vonnoͤhten iſt. Es iſt bekant/ daß
vortreffliche Redner keine gute Poeten/ und hin-
wiederuͤm die Poeten ſelten gute Redner geben.
Virgilius ſol wenig Wort gemacht haben/ und
hat ſich auf Befragen/ mit dem Lob des niebereu-
ten Stillſchweigens entſchuldiget/ ſich/ gleich vie-
len andern/ beluſtigend ſeinen Gedanken nachzu-
hangen. Demoſthenes und Cicero haben kei-
nen Vers ſchreiben koͤnnen und iſt der erſte unter
dieſen beeden/ wider alles Verhoffen durch groſſe
Muͤhe/ zu vollkommener Wolredenheit gelanget/
in dem er gleichſam die natuͤrliche Vngeſchiklich-

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[1/0015] Die ſiebende Stund. Von der Poeterey Ei- genſchaft. OBwol der Redner faſt alle Zierlich- keit des Poeten gebraucht/ ſo iſt doch ſeine Kunſt gegen jenen zu achten/ als das Gehen gegen dem Dantzen; zu welchem/ wie in der Vorrede gedacht/ eine natuͤrliche Faͤhigkeit und gleichſam angeborne Geſchicklichkeit vonnoͤhten iſt. Es iſt bekant/ daß vortreffliche Redner keine gute Poeten/ und hin- wiederuͤm die Poeten ſelten gute Redner geben. Virgilius ſol wenig Wort gemacht haben/ und hat ſich auf Befragen/ mit dem Lob des niebereu- ten Stillſchweigens entſchuldiget/ ſich/ gleich vie- len andern/ beluſtigend ſeinen Gedanken nachzu- hangen. Demoſthenes und Cicero haben kei- nen Vers ſchreiben koͤnnen und iſt der erſte unter dieſen beeden/ wider alles Verhoffen durch groſſe Muͤhe/ zu vollkommener Wolredenheit gelanget/ in dem er gleichſam die natuͤrliche Vngeſchiklich- keit/

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648/15>, abgerufen am 25.11.2024.