Hanssen, Petrus: Achtzig erläuterte Grund-Fragen. Lübeck u. a., 1731.Jch nehme auch aus dem andern an/ daß wir in dem Stande der Unschuld durch die Liebe Gottes und des Nechsten uns in dem Genuß der seligen Empfindungen nicht nur würden erhalten; son- dern auch mehr und mehr gewonnen haben: ich glaube aber dabey/ daß diese Liebe in der Bestim- mung unserer freyen Handlungen nach dem Sit- ten-Gesetz/ so GOtt nicht nur dem Menschen ins Hertz geschrieben/ sondern auch besonders durch Mosen in zehn Haupt-Geboten geoffenbaret: sonst aber in göttlicher Schrift dem innerlichen Sinn nach weitläuftig erkläret/ ausgeübet wird. Jch gründe mich hierin auf das Zeugnüß des Heylan- des Matth. XXII. 37-40. und frage J. C. Dippel selbst/ ob er sich auf eine einzige Lebens-Pflicht be- sinnen könne/ die nicht darin verfaßt/ oder ob er ausser diesen einen Begriff kan nahmhaft machen/ der in der Notion der Liebe enthalten seyn solte/ und nicht auch in dem Gesetz des Allerhöchsten ausgedrucket wäre. Daher folgt/ daß/ wenn man ja die wunderliche Redens-Arten/ der Mensch habe in der Creatur durch den Abfall ein fal- sches Futter gesucht/ will dulden; doch nichts anders darunter könne verstanden werden/ als daß der Mensch seine freye Handlungen nach de- nen Neigungen des Fleisches bestimme/ folglich von Gottes Gebot abweiche. Was aber die ü- brigen No. 4. 5. und 6. angezeigte Sätze betrift/ so sind solche überall falsch und irrig. Eine Frey- heit haben/ die verkehrte Liebe von sich selbst und de-
Jch nehme auch aus dem andern an/ daß wir in dem Stande der Unſchuld durch die Liebe Gottes und des Nechſten uns in dem Genuß der ſeligen Empfindungen nicht nur wuͤrden erhalten; ſon- dern auch mehr und mehr gewonnen haben: ich glaube aber dabey/ daß dieſe Liebe in der Beſtim- mung unſerer freyen Handlungen nach dem Sit- ten-Geſetz/ ſo GOtt nicht nur dem Menſchen ins Hertz geſchrieben/ ſondern auch beſonders durch Moſen in zehn Haupt-Geboten geoffenbaret: ſonſt aber in goͤttlicher Schrift dem innerlichen Sinn nach weitlaͤuftig erklaͤret/ ausgeuͤbet wird. Jch gruͤnde mich hierin auf das Zeugnuͤß des Heylan- des Matth. XXII. 37-40. und frage J. C. Dippel ſelbſt/ ob er ſich auf eine einzige Lebens-Pflicht be- ſinnen koͤnne/ die nicht darin verfaßt/ oder ob er auſſer dieſen einen Begriff kan nahmhaft machen/ der in der Notion der Liebe enthalten ſeyn ſolte/ und nicht auch in dem Geſetz des Allerhoͤchſten ausgedrucket waͤre. Daher folgt/ daß/ wenn man ja die wunderliche Redens-Arten/ der Menſch habe in der Creatur durch den Abfall ein fal- ſches Futter geſucht/ will dulden; doch nichts anders darunter koͤnne verſtanden werden/ als daß der Menſch ſeine freye Handlungen nach de- nen Neigungen des Fleiſches beſtimme/ folglich von Gottes Gebot abweiche. Was aber die uͤ- brigen No. 4. 5. und 6. angezeigte Saͤtze betrift/ ſo ſind ſolche uͤberall falſch und irrig. Eine Frey- heit haben/ die verkehrte Liebe von ſich ſelbſt und de-
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Jch nehme auch aus dem andern an/ daß wir in
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glaube aber dabey/ daß dieſe Liebe in der Beſtim-
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ten-Geſetz/ ſo GOtt nicht nur dem Menſchen ins
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Moſen in zehn Haupt-Geboten geoffenbaret: ſonſt
aber in goͤttlicher Schrift dem innerlichen Sinn
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gruͤnde mich hierin auf das Zeugnuͤß des Heylan-
des Matth. XXII. 37-40. und frage J. C. Dippel
ſelbſt/ ob er ſich auf eine einzige Lebens-Pflicht be-
ſinnen koͤnne/ die nicht darin verfaßt/ oder ob er
auſſer dieſen einen Begriff kan nahmhaft machen/
der in der Notion der Liebe enthalten ſeyn ſolte/
und nicht auch in dem Geſetz des Allerhoͤchſten
ausgedrucket waͤre. Daher folgt/ daß/ wenn man
ja die wunderliche Redens-Arten/ der Menſch
habe in der Creatur durch den Abfall ein fal-
ſches Futter geſucht/ will dulden; doch nichts
anders darunter koͤnne verſtanden werden/ als
daß der Menſch ſeine freye Handlungen nach de-
nen Neigungen des Fleiſches beſtimme/ folglich
von Gottes Gebot abweiche. Was aber die uͤ-
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ſind ſolche uͤberall falſch und irrig. Eine Frey-
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