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Hanssen, Petrus: Achtzig erläuterte Grund-Fragen. Lübeck u. a., 1731.

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lich bestätige/ daß die Handlungen
der Menschen gröstentheils dem
göttlichen Gesetz/ auch wie es von
blosser Vernunft erkant wird/ zu-
wider/ folglich böse und lasterhaft?

Erläuterung.

Die meisten Begriffe/ welche sich von selbst
in der Seelen zeugen/ sind falsch und irrig/ und
der gröste Theil der Menschlichen Empfindungen
und Gemühts-Neigungen lasterhafft: nach die-
sen aber richtet sich das Thun und Lassen der
Menschen. Die Natur treibt niemahls zum gu-
ten. Man findet auch bey denen Menschen so
gar keinen Vorsatz und Eyfer/ diesen Trieben zu
widerstehen und solche durch tugendhaffte Ent-
schliessungen zu überwinden; daß sie vielmehr grö-
sten theis lediglich nach dem Gefühl ihrer Sin-
nen handeln und auf nichts weniger/ als die
Wahl des besten gedencken. Dieses ist so of-
fenbar/ daß diejenige/ welche nur eine mäßige
Aufmercksamkeit auf die menschlichen Dinge ge-
wandt/ es bald haben einsehen und erkennen kön-
nen. Horatius hält den für den besten/ der die
wenigsten Laster hat: welches ein Beweiß/ daß
seine Meynug von den menschlichen Tugenden
überaus klein müsse gewest seyn.

vitiis nemo fine nascitur: optimus ille est,
qui minimis urgetur. Serm. L, I. Sat. III.

Se-


lich beſtaͤtige/ daß die Handlungen
der Menſchen groͤſtentheils dem
goͤttlichen Geſetz/ auch wie es von
bloſſer Vernunft erkant wird/ zu-
wider/ folglich boͤſe und laſterhaft?

Erlaͤuterung.

Die meiſten Begriffe/ welche ſich von ſelbſt
in der Seelen zeugen/ ſind falſch und irrig/ und
der groͤſte Theil der Menſchlichen Empfindungen
und Gemuͤhts-Neigungen laſterhafft: nach die-
ſen aber richtet ſich das Thun und Laſſen der
Menſchen. Die Natur treibt niemahls zum gu-
ten. Man findet auch bey denen Menſchen ſo
gar keinen Vorſatz und Eyfer/ dieſen Trieben zu
widerſtehen und ſolche durch tugendhaffte Ent-
ſchlieſſungen zu uͤberwinden; daß ſie vielmehr groͤ-
ſten theis lediglich nach dem Gefuͤhl ihrer Sin-
nen handeln und auf nichts weniger/ als die
Wahl des beſten gedencken. Dieſes iſt ſo of-
fenbar/ daß diejenige/ welche nur eine maͤßige
Aufmerckſamkeit auf die menſchlichen Dinge ge-
wandt/ es bald haben einſehen und erkennen koͤn-
nen. Horatius haͤlt den fuͤr den beſten/ der die
wenigſten Laſter hat: welches ein Beweiß/ daß
ſeine Meynug von den menſchlichen Tugenden
uͤberaus klein muͤſſe geweſt ſeyn.

vitiis nemo fine naſcitur: optimus ille eſt,
qui minimis urgetur. Serm. L, I. Sat. III.

Se-
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[63/0115] lich beſtaͤtige/ daß die Handlungen der Menſchen groͤſtentheils dem goͤttlichen Geſetz/ auch wie es von bloſſer Vernunft erkant wird/ zu- wider/ folglich boͤſe und laſterhaft? Erlaͤuterung. Die meiſten Begriffe/ welche ſich von ſelbſt in der Seelen zeugen/ ſind falſch und irrig/ und der groͤſte Theil der Menſchlichen Empfindungen und Gemuͤhts-Neigungen laſterhafft: nach die- ſen aber richtet ſich das Thun und Laſſen der Menſchen. Die Natur treibt niemahls zum gu- ten. Man findet auch bey denen Menſchen ſo gar keinen Vorſatz und Eyfer/ dieſen Trieben zu widerſtehen und ſolche durch tugendhaffte Ent- ſchlieſſungen zu uͤberwinden; daß ſie vielmehr groͤ- ſten theis lediglich nach dem Gefuͤhl ihrer Sin- nen handeln und auf nichts weniger/ als die Wahl des beſten gedencken. Dieſes iſt ſo of- fenbar/ daß diejenige/ welche nur eine maͤßige Aufmerckſamkeit auf die menſchlichen Dinge ge- wandt/ es bald haben einſehen und erkennen koͤn- nen. Horatius haͤlt den fuͤr den beſten/ der die wenigſten Laſter hat: welches ein Beweiß/ daß ſeine Meynug von den menſchlichen Tugenden uͤberaus klein muͤſſe geweſt ſeyn. vitiis nemo fine naſcitur: optimus ille eſt, qui minimis urgetur. Serm. L, I. Sat. III. Se-

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Zitationshilfe: Hanssen, Petrus: Achtzig erläuterte Grund-Fragen. Lübeck u. a., 1731, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hanssen_grundfragen_1731/115>, abgerufen am 21.11.2024.