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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits. (1106-1125).
die mit dem wesensverwandten Erzbischof Adalbert von Mainz, der
früher als Kanzler der vertrauteste Mitwisser und Förderer seiner
geheimsten Pläne gewesen war, dann aber als Kirchenfürst -- ein
Vorläufer des Thomas Becket -- unter der Maske kirchlicher Be-
strebungen seinen eigenen ehrgeizigen Wünschen nachjagte und vom
Kaiser Jahre hindurch im Kerker gehalten wurde, vermehrten die
Zahl der Gegner. Auf einem besonderen Brette endlich stand, wie
in den Tagen Heinrichs IV., der ungebrochene sächsische Stammes-
partikularismus, jetzt noch um so gefährlicher, als nach dem Zu-
sammenbruch der bremischen Macht und dem Aussterben des billungi-
schen Hauses (1106) der neue Herzog Lothar von Supplinburg, der
mit seinen Erbgütern in der Gegend von Helmstädt durch Familien-
verbindungen die ausgedehnten billungischen, nordheimschen und
braunschweigischen Besitzungen verband, die Gesamtkraft des Stammes
viel wuchtiger verkörperte, als es bisher möglich gewesen war. Er
wurde Heinrichs mächtigster und zähester Gegner. Diese inneren
Kämpfe im einzelnen zu verfolgen, lohnt sich kaum. Ein un-
glücklicher Umstand für den Kaiser war immerhin, daß er, der
öfter kränkelte, ohne kriegerische Neigung und Feldherrngabe war
und die Führung daher gelegentlich anderen überließ. Bedenklich
wurde seine Lage erst, als die Kaiserlichen kurz nacheinander
(Ende 1114 und Anfang 1115) am Rhein und in Sachsen Nieder-
lagen erlitten, eine Erhebung der Mainzer die Entlassung ihres Erz-
bischofs erwirkte (1115), und die kirchlichen Einwirkungen nun auch
an Boden gewannen und die Mehrheit der Bischöfe zum Abfall
veranlaßten. Trotzdem hat Heinrich es gewagt, gerade in diesem
Momente den deutschen Boden zu verlassen, weil ihn eine wich-
tige Entscheidung nach Italien rief.

Nach dem eben erfolgten Tode der Gräfin Mathilde (1115)
galt es nicht nur ihre Reichslehen einzuziehen, sondern auch auf
ihre gewaltig ausgedehnten Eigengüter die Hand zu legen. Denn
deren 1102 noch einmal wiederholte Schenkung zu Obereigentum
an die römische Kirche hatte eine freie Verfügung Mathildens darüber
keineswegs ausgeschlossen, und auf Grund einer vermutlich im
Jahre 1111 getroffenen geheimen Vereinbarung trat Heinrich jetzt als
Privaterbe der Gräfin auf. Ohne Heeresmacht eilte er nach Italien
(1116) und indem er in kluger Freigebigkeit durch umfassende
Verleihungen Adlige und Städte ringsum zu Mitgenießern machte,
gelang es ihm in der Tat, seine Ansprüche zur Geltung zu bringen
und so die Macht des Reiches in Ober- und Mittelitalien bedeutend
zu verstärken. Unter dem Eindruck dieser Erfolge vermochte sich
Paschalis in dem aufständischen Rom nicht zu halten und floh zu
den Normannen, Heinrich aber ließ sich und seine junge Gemahlin

§ 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits. (1106‒1125).
die mit dem wesensverwandten Erzbischof Adalbert von Mainz, der
früher als Kanzler der vertrauteste Mitwisser und Förderer seiner
geheimsten Pläne gewesen war, dann aber als Kirchenfürst — ein
Vorläufer des Thomas Becket — unter der Maske kirchlicher Be-
strebungen seinen eigenen ehrgeizigen Wünschen nachjagte und vom
Kaiser Jahre hindurch im Kerker gehalten wurde, vermehrten die
Zahl der Gegner. Auf einem besonderen Brette endlich stand, wie
in den Tagen Heinrichs IV., der ungebrochene sächsische Stammes-
partikularismus, jetzt noch um so gefährlicher, als nach dem Zu-
sammenbruch der bremischen Macht und dem Aussterben des billungi-
schen Hauses (1106) der neue Herzog Lothar von Supplinburg, der
mit seinen Erbgütern in der Gegend von Helmstädt durch Familien-
verbindungen die ausgedehnten billungischen, nordheimschen und
braunschweigischen Besitzungen verband, die Gesamtkraft des Stammes
viel wuchtiger verkörperte, als es bisher möglich gewesen war. Er
wurde Heinrichs mächtigster und zähester Gegner. Diese inneren
Kämpfe im einzelnen zu verfolgen, lohnt sich kaum. Ein un-
glücklicher Umstand für den Kaiser war immerhin, daß er, der
öfter kränkelte, ohne kriegerische Neigung und Feldherrngabe war
und die Führung daher gelegentlich anderen überließ. Bedenklich
wurde seine Lage erst, als die Kaiserlichen kurz nacheinander
(Ende 1114 und Anfang 1115) am Rhein und in Sachsen Nieder-
lagen erlitten, eine Erhebung der Mainzer die Entlassung ihres Erz-
bischofs erwirkte (1115), und die kirchlichen Einwirkungen nun auch
an Boden gewannen und die Mehrheit der Bischöfe zum Abfall
veranlaßten. Trotzdem hat Heinrich es gewagt, gerade in diesem
Momente den deutschen Boden zu verlassen, weil ihn eine wich-
tige Entscheidung nach Italien rief.

Nach dem eben erfolgten Tode der Gräfin Mathilde (1115)
galt es nicht nur ihre Reichslehen einzuziehen, sondern auch auf
ihre gewaltig ausgedehnten Eigengüter die Hand zu legen. Denn
deren 1102 noch einmal wiederholte Schenkung zu Obereigentum
an die römische Kirche hatte eine freie Verfügung Mathildens darüber
keineswegs ausgeschlossen, und auf Grund einer vermutlich im
Jahre 1111 getroffenen geheimen Vereinbarung trat Heinrich jetzt als
Privaterbe der Gräfin auf. Ohne Heeresmacht eilte er nach Italien
(1116) und indem er in kluger Freigebigkeit durch umfassende
Verleihungen Adlige und Städte ringsum zu Mitgenießern machte,
gelang es ihm in der Tat, seine Ansprüche zur Geltung zu bringen
und so die Macht des Reiches in Ober- und Mittelitalien bedeutend
zu verstärken. Unter dem Eindruck dieser Erfolge vermochte sich
Paschalis in dem aufständischen Rom nicht zu halten und floh zu
den Normannen, Heinrich aber ließ sich und seine junge Gemahlin

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[77/0085] § 7. Heinrich V. und das Ende des Investiturstreits. (1106‒1125). die mit dem wesensverwandten Erzbischof Adalbert von Mainz, der früher als Kanzler der vertrauteste Mitwisser und Förderer seiner geheimsten Pläne gewesen war, dann aber als Kirchenfürst — ein Vorläufer des Thomas Becket — unter der Maske kirchlicher Be- strebungen seinen eigenen ehrgeizigen Wünschen nachjagte und vom Kaiser Jahre hindurch im Kerker gehalten wurde, vermehrten die Zahl der Gegner. Auf einem besonderen Brette endlich stand, wie in den Tagen Heinrichs IV., der ungebrochene sächsische Stammes- partikularismus, jetzt noch um so gefährlicher, als nach dem Zu- sammenbruch der bremischen Macht und dem Aussterben des billungi- schen Hauses (1106) der neue Herzog Lothar von Supplinburg, der mit seinen Erbgütern in der Gegend von Helmstädt durch Familien- verbindungen die ausgedehnten billungischen, nordheimschen und braunschweigischen Besitzungen verband, die Gesamtkraft des Stammes viel wuchtiger verkörperte, als es bisher möglich gewesen war. Er wurde Heinrichs mächtigster und zähester Gegner. Diese inneren Kämpfe im einzelnen zu verfolgen, lohnt sich kaum. Ein un- glücklicher Umstand für den Kaiser war immerhin, daß er, der öfter kränkelte, ohne kriegerische Neigung und Feldherrngabe war und die Führung daher gelegentlich anderen überließ. Bedenklich wurde seine Lage erst, als die Kaiserlichen kurz nacheinander (Ende 1114 und Anfang 1115) am Rhein und in Sachsen Nieder- lagen erlitten, eine Erhebung der Mainzer die Entlassung ihres Erz- bischofs erwirkte (1115), und die kirchlichen Einwirkungen nun auch an Boden gewannen und die Mehrheit der Bischöfe zum Abfall veranlaßten. Trotzdem hat Heinrich es gewagt, gerade in diesem Momente den deutschen Boden zu verlassen, weil ihn eine wich- tige Entscheidung nach Italien rief. Nach dem eben erfolgten Tode der Gräfin Mathilde (1115) galt es nicht nur ihre Reichslehen einzuziehen, sondern auch auf ihre gewaltig ausgedehnten Eigengüter die Hand zu legen. Denn deren 1102 noch einmal wiederholte Schenkung zu Obereigentum an die römische Kirche hatte eine freie Verfügung Mathildens darüber keineswegs ausgeschlossen, und auf Grund einer vermutlich im Jahre 1111 getroffenen geheimen Vereinbarung trat Heinrich jetzt als Privaterbe der Gräfin auf. Ohne Heeresmacht eilte er nach Italien (1116) und indem er in kluger Freigebigkeit durch umfassende Verleihungen Adlige und Städte ringsum zu Mitgenießern machte, gelang es ihm in der Tat, seine Ansprüche zur Geltung zu bringen und so die Macht des Reiches in Ober- und Mittelitalien bedeutend zu verstärken. Unter dem Eindruck dieser Erfolge vermochte sich Paschalis in dem aufständischen Rom nicht zu halten und floh zu den Normannen, Heinrich aber ließ sich und seine junge Gemahlin

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/85>, abgerufen am 30.04.2024.