durch die hier erpreßte Anerkennung des kaiserlichen Investiturrechts trotz der folgenden Widerrufe doch erheblich zur Schwächung der Gegenpartei beigetragen.
Die Durchführung des Privilegs freilich erwies sich bald ge- nug als völlig unmöglich. Weniger zunächst in Deutschland, als in Italien und noch mehr in Frankreich entlud sich von Seiten der Gregorianer ein Unwetter der Entrüstung über dem Haupte des "ketzerischen" Papstes, der trotz mancher sophistischen Vorbehalte und Halbheiten einen Schritt nach dem andern zurücktun mußte, wenn er nicht Gehorsamsaufkündigung und Absetzung heraufbe- schwören wollte. Auf den beiden Synoden im Lateran und in Vienne (1112) wurde das päpstliche Privileg als ein "pravilegium", statt eines Gnadenbriefes ein Schandbrief, für null und nichtig er- klärt, und gegen den einen Verzicht darauf natürlich verweigernden Kaiser der Bann geschleudert, ohne daß Paschalis indes ihn selbst verkündet und die persönlichen Beziehungen abgebrochen hätte. So begann der Investiturstreit nach kurzer Unterbrechung von neuem. Für Heinrich wurde er erst dadurch gefahrvoll, daß sich mit dieser kirchlichen Gegnerschaft abermals wie unter seinem Vater, eine deutsche Fürstenopposition zusammenschloß.
Diese ist nicht aus einheitlicher Wurzel erwachsen. Schwer- lich läßt sie sich auf die einfache Formel von Nitzsch bringen, der meint, eine planmäßige Wiederaufnahme der väterlichen Städtebe- günstigung und Territorialpolitik mit Verlegung des Schwerpunktes vom Harz nach der oberrheinischen Tiefebene habe die feindliche Verbindung der Fürsten als Gegenschlag hervorgerufen, wenn auch Heinrichs V. große Privilegien für Speyer und Worms (1111-14) in der Entwicklung der deutschen Stadtfreiheit epochemachend ge- worden sind, und das oberrheinische Königsgut unzweifelhaft mit Hilfe der schwäbischen Reichsministerialen kräftig ausgebaut und durch einen Kranz von Burgen gesichert wurde. Auch sonst suchte Heinrich die Lücken, welche der jahrzehntelange Kampf in den königlichen Besitz gerissen hatte, nach Möglichkeit auszufüllen und war karg mit neuen Vergabungen. Die Habsucht, die ihm die Chronisten vorwarfen, war unter dem politischen Gesichtspunkte nur ein Lob, wie dieser moralisch so minderwertige Herrscher über- haupt eine Fülle bedeutender Regenteneigenschaften: Machtsinn, Überlegung, Kühnheit und Willenskraft besaß. Indes die rück- sichtslose Härte, mit der er allenthalben durch Gütereinziehung und Gefangennahme seinem Vorteil nachging, seine ganze rechnerische, verschlagene, unzuverlässige, unedle Natur erweckten ihm ringsum Feindschaften, die unabhängig voneinander erwuchsen, aber leicht den Zusammenschluß fanden. Rein persönliche Entzweiungen, wie
I. Die Zeit der Salier.
durch die hier erpreßte Anerkennung des kaiserlichen Investiturrechts trotz der folgenden Widerrufe doch erheblich zur Schwächung der Gegenpartei beigetragen.
Die Durchführung des Privilegs freilich erwies sich bald ge- nug als völlig unmöglich. Weniger zunächst in Deutschland, als in Italien und noch mehr in Frankreich entlud sich von Seiten der Gregorianer ein Unwetter der Entrüstung über dem Haupte des „ketzerischen“ Papstes, der trotz mancher sophistischen Vorbehalte und Halbheiten einen Schritt nach dem andern zurücktun mußte, wenn er nicht Gehorsamsaufkündigung und Absetzung heraufbe- schwören wollte. Auf den beiden Synoden im Lateran und in Vienne (1112) wurde das päpstliche Privileg als ein „pravilegium“, statt eines Gnadenbriefes ein Schandbrief, für null und nichtig er- klärt, und gegen den einen Verzicht darauf natürlich verweigernden Kaiser der Bann geschleudert, ohne daß Paschalis indes ihn selbst verkündet und die persönlichen Beziehungen abgebrochen hätte. So begann der Investiturstreit nach kurzer Unterbrechung von neuem. Für Heinrich wurde er erst dadurch gefahrvoll, daß sich mit dieser kirchlichen Gegnerschaft abermals wie unter seinem Vater, eine deutsche Fürstenopposition zusammenschloß.
Diese ist nicht aus einheitlicher Wurzel erwachsen. Schwer- lich läßt sie sich auf die einfache Formel von Nitzsch bringen, der meint, eine planmäßige Wiederaufnahme der väterlichen Städtebe- günstigung und Territorialpolitik mit Verlegung des Schwerpunktes vom Harz nach der oberrheinischen Tiefebene habe die feindliche Verbindung der Fürsten als Gegenschlag hervorgerufen, wenn auch Heinrichs V. große Privilegien für Speyer und Worms (1111‒14) in der Entwicklung der deutschen Stadtfreiheit epochemachend ge- worden sind, und das oberrheinische Königsgut unzweifelhaft mit Hilfe der schwäbischen Reichsministerialen kräftig ausgebaut und durch einen Kranz von Burgen gesichert wurde. Auch sonst suchte Heinrich die Lücken, welche der jahrzehntelange Kampf in den königlichen Besitz gerissen hatte, nach Möglichkeit auszufüllen und war karg mit neuen Vergabungen. Die Habsucht, die ihm die Chronisten vorwarfen, war unter dem politischen Gesichtspunkte nur ein Lob, wie dieser moralisch so minderwertige Herrscher über- haupt eine Fülle bedeutender Regenteneigenschaften: Machtsinn, Überlegung, Kühnheit und Willenskraft besaß. Indes die rück- sichtslose Härte, mit der er allenthalben durch Gütereinziehung und Gefangennahme seinem Vorteil nachging, seine ganze rechnerische, verschlagene, unzuverlässige, unedle Natur erweckten ihm ringsum Feindschaften, die unabhängig voneinander erwuchsen, aber leicht den Zusammenschluß fanden. Rein persönliche Entzweiungen, wie
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I. Die Zeit der Salier.
durch die hier erpreßte Anerkennung des kaiserlichen Investiturrechts
trotz der folgenden Widerrufe doch erheblich zur Schwächung der
Gegenpartei beigetragen.
Die Durchführung des Privilegs freilich erwies sich bald ge-
nug als völlig unmöglich. Weniger zunächst in Deutschland, als
in Italien und noch mehr in Frankreich entlud sich von Seiten der
Gregorianer ein Unwetter der Entrüstung über dem Haupte des
„ketzerischen“ Papstes, der trotz mancher sophistischen Vorbehalte
und Halbheiten einen Schritt nach dem andern zurücktun mußte,
wenn er nicht Gehorsamsaufkündigung und Absetzung heraufbe-
schwören wollte. Auf den beiden Synoden im Lateran und in
Vienne (1112) wurde das päpstliche Privileg als ein „pravilegium“,
statt eines Gnadenbriefes ein Schandbrief, für null und nichtig er-
klärt, und gegen den einen Verzicht darauf natürlich verweigernden
Kaiser der Bann geschleudert, ohne daß Paschalis indes ihn selbst
verkündet und die persönlichen Beziehungen abgebrochen hätte. So
begann der Investiturstreit nach kurzer Unterbrechung von neuem.
Für Heinrich wurde er erst dadurch gefahrvoll, daß sich mit dieser
kirchlichen Gegnerschaft abermals wie unter seinem Vater, eine
deutsche Fürstenopposition zusammenschloß.
Diese ist nicht aus einheitlicher Wurzel erwachsen. Schwer-
lich läßt sie sich auf die einfache Formel von Nitzsch bringen, der
meint, eine planmäßige Wiederaufnahme der väterlichen Städtebe-
günstigung und Territorialpolitik mit Verlegung des Schwerpunktes
vom Harz nach der oberrheinischen Tiefebene habe die feindliche
Verbindung der Fürsten als Gegenschlag hervorgerufen, wenn auch
Heinrichs V. große Privilegien für Speyer und Worms (1111‒14)
in der Entwicklung der deutschen Stadtfreiheit epochemachend ge-
worden sind, und das oberrheinische Königsgut unzweifelhaft mit
Hilfe der schwäbischen Reichsministerialen kräftig ausgebaut und
durch einen Kranz von Burgen gesichert wurde. Auch sonst suchte
Heinrich die Lücken, welche der jahrzehntelange Kampf in den
königlichen Besitz gerissen hatte, nach Möglichkeit auszufüllen und
war karg mit neuen Vergabungen. Die Habsucht, die ihm die
Chronisten vorwarfen, war unter dem politischen Gesichtspunkte
nur ein Lob, wie dieser moralisch so minderwertige Herrscher über-
haupt eine Fülle bedeutender Regenteneigenschaften: Machtsinn,
Überlegung, Kühnheit und Willenskraft besaß. Indes die rück-
sichtslose Härte, mit der er allenthalben durch Gütereinziehung und
Gefangennahme seinem Vorteil nachging, seine ganze rechnerische,
verschlagene, unzuverlässige, unedle Natur erweckten ihm ringsum
Feindschaften, die unabhängig voneinander erwuchsen, aber leicht
den Zusammenschluß fanden. Rein persönliche Entzweiungen, wie
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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/84>, abgerufen am 16.07.2024.
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