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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085-1106).
lieferung der Reichsinsignien. Aber man betrog ihn auch jetzt;
nur die Anhänger des Königs, die allerdings die Mehrheit aus-
machten, kamen nach dem nahen Ingelheim, wohin man den Kaiser
geschafft hatte, und dort folgten weitere entsetzliche Szenen. Am
Boden liegend, erflehte der gealterte Herrscher vergebens die Recht-
fertigung vor allen Fürsten. Wie einst Ludwig der Fromme, ward
er im Beisein des Sohnes und päpstlicher Legaten gezwungen, ein
lächerliches Sündenbekenntnis abzulesen, das unter seinen Vergehen
selbst die Anbetung von Götzen aufzählte und bestimmt war, ihn
moralisch zu vernichten. Endlich erpreßte man von ihm "vi et
arte", wie er selbst schreibt, -- wir dürfen übersetzen: "mit groß'
Macht und viel List" -- zum Teil unter direkter Bedrohung mit
dem Tode nicht nur die Abdankung, die schon in der Übersen-
dung der Reichsinsignien gesehen wurde, sondern auch den Ver-
zicht auf seine sämtlichen Besitzungen im Reiche. Während er
dann in der Haft zurückblieb, vollzog man in Mainz die Krönung
Heinrichs V. nicht ohne bestätigende Mitwirkung der päpstlichen
Legaten und einschränkenden Vorbehalt der Fürsten.

Aber die Krone wurde dem neuen Herrscher noch einmal in
Frage gestellt. Der Kaiser entkam aus Ingelheim und entfaltete
zum letzten Male seine seltene Kunst, eine Sache, die unrettbar
verloren schien, herzustellen. Von Köln, wo er zu Schiff gelandet,
wandte er sich nach Lüttich, unterwegs durch eine barfuß zurück-
gelegte Pilgerfahrt nach Aachen seinen kirchlichen Eifer beweisend.
Und dort in Niederlothringen gelang es ihm in der Tat, eine Partei
zusammenzubringen und Truppen zu werben. Schreiben mit rühren-
den Darstellungen der letzten Vorgänge ergingen an den König
von Frankreich und an Abt Hugo von Cluny, der noch einmal die
Aussöhnung mit der Kurie in die Hand nehmen solle, aber auch
jetzt noch "vorbehaltlich unsrer Ehre".

Als Heinrich V. eilig gegen Niederlothringen vordrang, erlitt er eine
Schlappe, mußte zurückweichen, verlor Zeit und Kraft an einer ver-
geblichen Belagerung des kaisertreuen Köln, rückte nach erfolglosen
Verhandlungen aufs neue dem Vater entgegen, eine Entscheidung
im offnen Felde stand unmittelbar bevor, -- da ist Heinrich IV.
in Lüttich nach kurzer Krankheit allen weiteren Kämpfen durch den
Tod entrückt worden. Noch sterbend sandte er Schwert und Ring
dem Sohne, erbat für seine Anhänger Verzeihung und für sich selbst
einen Platz im Dome zu Speyer. Der ist dann freilich erst nach
unduldsamen Aussperrungen dem gebannten Toten, dem aber in
der rührenden Liebe der Bürger von Lüttich und Speyer reichster
Ersatz ward, zuteil geworden, als auch der Sohn in neuen Kampf
mit der Kurie geraten war.

§ 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085‒1106).
lieferung der Reichsinsignien. Aber man betrog ihn auch jetzt;
nur die Anhänger des Königs, die allerdings die Mehrheit aus-
machten, kamen nach dem nahen Ingelheim, wohin man den Kaiser
geschafft hatte, und dort folgten weitere entsetzliche Szenen. Am
Boden liegend, erflehte der gealterte Herrscher vergebens die Recht-
fertigung vor allen Fürsten. Wie einst Ludwig der Fromme, ward
er im Beisein des Sohnes und päpstlicher Legaten gezwungen, ein
lächerliches Sündenbekenntnis abzulesen, das unter seinen Vergehen
selbst die Anbetung von Götzen aufzählte und bestimmt war, ihn
moralisch zu vernichten. Endlich erpreßte man von ihm „vi et
arte“, wie er selbst schreibt, — wir dürfen übersetzen: „mit groß'
Macht und viel List“ — zum Teil unter direkter Bedrohung mit
dem Tode nicht nur die Abdankung, die schon in der Übersen-
dung der Reichsinsignien gesehen wurde, sondern auch den Ver-
zicht auf seine sämtlichen Besitzungen im Reiche. Während er
dann in der Haft zurückblieb, vollzog man in Mainz die Krönung
Heinrichs V. nicht ohne bestätigende Mitwirkung der päpstlichen
Legaten und einschränkenden Vorbehalt der Fürsten.

Aber die Krone wurde dem neuen Herrscher noch einmal in
Frage gestellt. Der Kaiser entkam aus Ingelheim und entfaltete
zum letzten Male seine seltene Kunst, eine Sache, die unrettbar
verloren schien, herzustellen. Von Köln, wo er zu Schiff gelandet,
wandte er sich nach Lüttich, unterwegs durch eine barfuß zurück-
gelegte Pilgerfahrt nach Aachen seinen kirchlichen Eifer beweisend.
Und dort in Niederlothringen gelang es ihm in der Tat, eine Partei
zusammenzubringen und Truppen zu werben. Schreiben mit rühren-
den Darstellungen der letzten Vorgänge ergingen an den König
von Frankreich und an Abt Hugo von Cluny, der noch einmal die
Aussöhnung mit der Kurie in die Hand nehmen solle, aber auch
jetzt noch „vorbehaltlich unsrer Ehre“.

Als Heinrich V. eilig gegen Niederlothringen vordrang, erlitt er eine
Schlappe, mußte zurückweichen, verlor Zeit und Kraft an einer ver-
geblichen Belagerung des kaisertreuen Köln, rückte nach erfolglosen
Verhandlungen aufs neue dem Vater entgegen, eine Entscheidung
im offnen Felde stand unmittelbar bevor, — da ist Heinrich IV.
in Lüttich nach kurzer Krankheit allen weiteren Kämpfen durch den
Tod entrückt worden. Noch sterbend sandte er Schwert und Ring
dem Sohne, erbat für seine Anhänger Verzeihung und für sich selbst
einen Platz im Dome zu Speyer. Der ist dann freilich erst nach
unduldsamen Aussperrungen dem gebannten Toten, dem aber in
der rührenden Liebe der Bürger von Lüttich und Speyer reichster
Ersatz ward, zuteil geworden, als auch der Sohn in neuen Kampf
mit der Kurie geraten war.

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[71/0079] § 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085‒1106). lieferung der Reichsinsignien. Aber man betrog ihn auch jetzt; nur die Anhänger des Königs, die allerdings die Mehrheit aus- machten, kamen nach dem nahen Ingelheim, wohin man den Kaiser geschafft hatte, und dort folgten weitere entsetzliche Szenen. Am Boden liegend, erflehte der gealterte Herrscher vergebens die Recht- fertigung vor allen Fürsten. Wie einst Ludwig der Fromme, ward er im Beisein des Sohnes und päpstlicher Legaten gezwungen, ein lächerliches Sündenbekenntnis abzulesen, das unter seinen Vergehen selbst die Anbetung von Götzen aufzählte und bestimmt war, ihn moralisch zu vernichten. Endlich erpreßte man von ihm „vi et arte“, wie er selbst schreibt, — wir dürfen übersetzen: „mit groß' Macht und viel List“ — zum Teil unter direkter Bedrohung mit dem Tode nicht nur die Abdankung, die schon in der Übersen- dung der Reichsinsignien gesehen wurde, sondern auch den Ver- zicht auf seine sämtlichen Besitzungen im Reiche. Während er dann in der Haft zurückblieb, vollzog man in Mainz die Krönung Heinrichs V. nicht ohne bestätigende Mitwirkung der päpstlichen Legaten und einschränkenden Vorbehalt der Fürsten. Aber die Krone wurde dem neuen Herrscher noch einmal in Frage gestellt. Der Kaiser entkam aus Ingelheim und entfaltete zum letzten Male seine seltene Kunst, eine Sache, die unrettbar verloren schien, herzustellen. Von Köln, wo er zu Schiff gelandet, wandte er sich nach Lüttich, unterwegs durch eine barfuß zurück- gelegte Pilgerfahrt nach Aachen seinen kirchlichen Eifer beweisend. Und dort in Niederlothringen gelang es ihm in der Tat, eine Partei zusammenzubringen und Truppen zu werben. Schreiben mit rühren- den Darstellungen der letzten Vorgänge ergingen an den König von Frankreich und an Abt Hugo von Cluny, der noch einmal die Aussöhnung mit der Kurie in die Hand nehmen solle, aber auch jetzt noch „vorbehaltlich unsrer Ehre“. Als Heinrich V. eilig gegen Niederlothringen vordrang, erlitt er eine Schlappe, mußte zurückweichen, verlor Zeit und Kraft an einer ver- geblichen Belagerung des kaisertreuen Köln, rückte nach erfolglosen Verhandlungen aufs neue dem Vater entgegen, eine Entscheidung im offnen Felde stand unmittelbar bevor, — da ist Heinrich IV. in Lüttich nach kurzer Krankheit allen weiteren Kämpfen durch den Tod entrückt worden. Noch sterbend sandte er Schwert und Ring dem Sohne, erbat für seine Anhänger Verzeihung und für sich selbst einen Platz im Dome zu Speyer. Der ist dann freilich erst nach unduldsamen Aussperrungen dem gebannten Toten, dem aber in der rührenden Liebe der Bürger von Lüttich und Speyer reichster Ersatz ward, zuteil geworden, als auch der Sohn in neuen Kampf mit der Kurie geraten war.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/79>, abgerufen am 01.05.2024.