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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085-1106).
und der aus der ravennatischen Rechtsschule hervorgegangene Jurist Petrus
Crassus
, der das deutsche Kaisertum mit Sätzen des römischen Privatrechts
verteidigte und für die Erblichkeit der Krone eintrat, war als Laie in diesem
ganzen Kreise eine einzigartige Erscheinung.

Noch reihten diese Publizisten vielfach Bibelstelle an Bibelstelle, gaben
Bilder und Spitzfindigkeiten statt logischer Beweise; aber die Notwendigkeit,
zwischen widersprechenden Quellenbelegen selbständig Stellung zu nehmen,
erschütterte den Autoritätsglauben und schärfte die Urteilskraft. Manche dieser
Schriften verrieten doch bereits Spuren der befreienden Wirkung, die dies
gewaltige Ringen, wie jeder frische Kampf der Geister, ausübte. --

Heinrich IV. stand damals im besten Mannesalter, auf der
Höhe seiner Erfolge. Mit rastloser Tatkraft und erstaunlichem
Geschick hatte er sich aus den widrigsten Verhältnissen empor-
gerungen zu fast allgemeiner Anerkennung. Aber wieder, wie nach
dem Sachsensiege, versagte ihm das Geschick ruhige Befestigung;
aufs neue riß es ihn in den Strudel des Kampfes und traf ihn
nun mit noch viel furchtbareren Schlägen.

Ein überaus gefährlicher Gegner war ihm in dem neuen Papste
Urban II. (1088-99)1) erwachsen, einem Nordfranzosen, der lange
Jahre als Mönch in Cluny gelebt hatte, dann von Gregor zum
Kardinalbischof von Ostia erhoben war. Sofort verkündete er der
Welt seine völlige Übereinstimmung mit der Richtung seines großen
Vorgängers, doch wich er in der Taktik erheblich von ihm ab; ge-
schmeidiger und realpolitischer, ohne Gregors starren Idealismus
zunächst alle Kräfte auf das nähere Ziel der allseitigen Durch-
setzung seines Papsttums sammelnd, zu kleineren Zugeständnissen
stets bereit, wenn er damit einen Schritt vorwärts tun konnte, in
den Mitteln noch weit skrupelloser als jener, hat er es verstanden,
die päpstliche Macht, der bereits der Einsturz drohte, neu zu stützen
und auszubauen. Für Heinrich wäre ein Ausgleich mit ihm unter
Preisgabe des Gegenpapstes vielleicht möglich gewesen, indes dazu
wollte und konnte er sich nicht verstehen; die Personenfrage war
mit der sachlichen Entscheidung durch die einmal vollzogene Partei-
bildung allzu eng verquickt. Aber in kirchlicher Hinsicht erwiesen
nun die folgenden Jahre seine Sache unzweifelhaft als eine verlorene.
In Deutschland lichteten sich die Reihen der wibertistischen Bischöfe,
denen Urban goldene Brücken baute, mehr und mehr; wie schon
vorher in Sachsen, konnte sich Heinrich damit immerhin abfinden,
wofern ihm nur die politische Anerkennung gezollt wurde. Wenn
aber so wenigstens seine weltliche Machtstellung diesseits der
Alpen vorderhand nicht ernstlich zu erschüttern war, ging ihm

1) Eine umfassendere Würdigung seines Lebens und seiner Persönlich-
keit fehlt völlig. Die neuere Biographie von Paulot (1903) ist historisch un-
brauchbar.

§ 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085‒1106).
und der aus der ravennatischen Rechtsschule hervorgegangene Jurist Petrus
Crassus
, der das deutsche Kaisertum mit Sätzen des römischen Privatrechts
verteidigte und für die Erblichkeit der Krone eintrat, war als Laie in diesem
ganzen Kreise eine einzigartige Erscheinung.

Noch reihten diese Publizisten vielfach Bibelstelle an Bibelstelle, gaben
Bilder und Spitzfindigkeiten statt logischer Beweise; aber die Notwendigkeit,
zwischen widersprechenden Quellenbelegen selbständig Stellung zu nehmen,
erschütterte den Autoritätsglauben und schärfte die Urteilskraft. Manche dieser
Schriften verrieten doch bereits Spuren der befreienden Wirkung, die dies
gewaltige Ringen, wie jeder frische Kampf der Geister, ausübte. —

Heinrich IV. stand damals im besten Mannesalter, auf der
Höhe seiner Erfolge. Mit rastloser Tatkraft und erstaunlichem
Geschick hatte er sich aus den widrigsten Verhältnissen empor-
gerungen zu fast allgemeiner Anerkennung. Aber wieder, wie nach
dem Sachsensiege, versagte ihm das Geschick ruhige Befestigung;
aufs neue riß es ihn in den Strudel des Kampfes und traf ihn
nun mit noch viel furchtbareren Schlägen.

Ein überaus gefährlicher Gegner war ihm in dem neuen Papste
Urban II. (1088‒99)1) erwachsen, einem Nordfranzosen, der lange
Jahre als Mönch in Cluny gelebt hatte, dann von Gregor zum
Kardinalbischof von Ostia erhoben war. Sofort verkündete er der
Welt seine völlige Übereinstimmung mit der Richtung seines großen
Vorgängers, doch wich er in der Taktik erheblich von ihm ab; ge-
schmeidiger und realpolitischer, ohne Gregors starren Idealismus
zunächst alle Kräfte auf das nähere Ziel der allseitigen Durch-
setzung seines Papsttums sammelnd, zu kleineren Zugeständnissen
stets bereit, wenn er damit einen Schritt vorwärts tun konnte, in
den Mitteln noch weit skrupelloser als jener, hat er es verstanden,
die päpstliche Macht, der bereits der Einsturz drohte, neu zu stützen
und auszubauen. Für Heinrich wäre ein Ausgleich mit ihm unter
Preisgabe des Gegenpapstes vielleicht möglich gewesen, indes dazu
wollte und konnte er sich nicht verstehen; die Personenfrage war
mit der sachlichen Entscheidung durch die einmal vollzogene Partei-
bildung allzu eng verquickt. Aber in kirchlicher Hinsicht erwiesen
nun die folgenden Jahre seine Sache unzweifelhaft als eine verlorene.
In Deutschland lichteten sich die Reihen der wibertistischen Bischöfe,
denen Urban goldene Brücken baute, mehr und mehr; wie schon
vorher in Sachsen, konnte sich Heinrich damit immerhin abfinden,
wofern ihm nur die politische Anerkennung gezollt wurde. Wenn
aber so wenigstens seine weltliche Machtstellung diesseits der
Alpen vorderhand nicht ernstlich zu erschüttern war, ging ihm

1) Eine umfassendere Würdigung seines Lebens und seiner Persönlich-
keit fehlt völlig. Die neuere Biographie von Paulot (1903) ist historisch un-
brauchbar.
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[63/0071] § 6. Die Fortsetzung des Kampfes bis zum Tode Heinrichs IV. (1085‒1106). und der aus der ravennatischen Rechtsschule hervorgegangene Jurist Petrus Crassus, der das deutsche Kaisertum mit Sätzen des römischen Privatrechts verteidigte und für die Erblichkeit der Krone eintrat, war als Laie in diesem ganzen Kreise eine einzigartige Erscheinung. Noch reihten diese Publizisten vielfach Bibelstelle an Bibelstelle, gaben Bilder und Spitzfindigkeiten statt logischer Beweise; aber die Notwendigkeit, zwischen widersprechenden Quellenbelegen selbständig Stellung zu nehmen, erschütterte den Autoritätsglauben und schärfte die Urteilskraft. Manche dieser Schriften verrieten doch bereits Spuren der befreienden Wirkung, die dies gewaltige Ringen, wie jeder frische Kampf der Geister, ausübte. — Heinrich IV. stand damals im besten Mannesalter, auf der Höhe seiner Erfolge. Mit rastloser Tatkraft und erstaunlichem Geschick hatte er sich aus den widrigsten Verhältnissen empor- gerungen zu fast allgemeiner Anerkennung. Aber wieder, wie nach dem Sachsensiege, versagte ihm das Geschick ruhige Befestigung; aufs neue riß es ihn in den Strudel des Kampfes und traf ihn nun mit noch viel furchtbareren Schlägen. Ein überaus gefährlicher Gegner war ihm in dem neuen Papste Urban II. (1088‒99) 1) erwachsen, einem Nordfranzosen, der lange Jahre als Mönch in Cluny gelebt hatte, dann von Gregor zum Kardinalbischof von Ostia erhoben war. Sofort verkündete er der Welt seine völlige Übereinstimmung mit der Richtung seines großen Vorgängers, doch wich er in der Taktik erheblich von ihm ab; ge- schmeidiger und realpolitischer, ohne Gregors starren Idealismus zunächst alle Kräfte auf das nähere Ziel der allseitigen Durch- setzung seines Papsttums sammelnd, zu kleineren Zugeständnissen stets bereit, wenn er damit einen Schritt vorwärts tun konnte, in den Mitteln noch weit skrupelloser als jener, hat er es verstanden, die päpstliche Macht, der bereits der Einsturz drohte, neu zu stützen und auszubauen. Für Heinrich wäre ein Ausgleich mit ihm unter Preisgabe des Gegenpapstes vielleicht möglich gewesen, indes dazu wollte und konnte er sich nicht verstehen; die Personenfrage war mit der sachlichen Entscheidung durch die einmal vollzogene Partei- bildung allzu eng verquickt. Aber in kirchlicher Hinsicht erwiesen nun die folgenden Jahre seine Sache unzweifelhaft als eine verlorene. In Deutschland lichteten sich die Reihen der wibertistischen Bischöfe, denen Urban goldene Brücken baute, mehr und mehr; wie schon vorher in Sachsen, konnte sich Heinrich damit immerhin abfinden, wofern ihm nur die politische Anerkennung gezollt wurde. Wenn aber so wenigstens seine weltliche Machtstellung diesseits der Alpen vorderhand nicht ernstlich zu erschüttern war, ging ihm 1) Eine umfassendere Würdigung seines Lebens und seiner Persönlich- keit fehlt völlig. Die neuere Biographie von Paulot (1903) ist historisch un- brauchbar.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/71>, abgerufen am 01.05.2024.