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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 17. Friedrich II. auf der Höhe seiner Macht (1230-1239).

Der große Mainzer Landfriede von 1235, in dem sie ihren
Ausdruck fanden, ragt an Bedeutung über alle ähnlichen früheren
oder späteren deutschen Reichsordnungen des Mittelalters empor.
Schon in der Form, denn er war das erste in deutscher Sprache
ausgefertigte und verkündigte Reichsgesetz.1) Mehr noch durch
seinen umfassenden Inhalt, der, frühere Satzungen wiederholend,
aber auch neue hinzufügend, Strafrecht und Strafvollzug entscheidend
weiterbildete, die regelmäßige Gerichtstätigkeit zu beleben, künftigen
Friedensbrüchen vorzubeugen, den Verkehr zu sichern und die durch die
großen Fürstenprivilegien zwar in ihrer Ausübung beschränkten, aber
keineswegs preisgegebenen Zoll-, Münz- und Geleitsregalien des Reiches
vor Usurpationen zu schützen suchte. Spätere Zeiten haben diese
Bestimmungen oftmals wiederholt und zur Grundlage aller Weiter-
bildungen genommen. Bedeutsam waren endlich die Spuren eines
Herüberwirkens sizilischer Einrichtungen und Rechtsvorstellungen,
die hier mehr oder weniger deutlich zu Tage traten, am unverkenn-
barsten in der Einsetzung eines Reichshofrichters, eines auf Zeit
und nach Amtsrecht angestellten freien Mannes zur ständigen Ver-
tretung des Königs im Hofgericht, und in dem Wert, der durch die
Zuweisung eines besonderen Notars mit genau bestimmten Funktionen
auf geregelten schriftlichen Geschäftsgang und eine Sammlung von
Präzedenzfällen kaiserlicher Hofgerichtsprüche gelegt wurde.

Hier wie in anderen Fällen handelte es sich nicht um eine
gewaltsame Aufpfropfung fremden Rechts, sondern um durchaus
nützliche Einwirkungen der vorgeschrittenen sizilischen Verfassung,
die freilich nur bei sorgfältiger Pflege fruchtbringend für Deutsch-
land geworden wären. Vielleicht ist damals nach dieser Richtung
hin mehr geschehen, als der zufällige Bestand unserer Quellen er-
kennen läßt. Wenigstens auf das Steuerwesen scheinen sich ähn-
liche fördernde Einwirkungen erstreckt zu haben. Der glückliche
Fund eines Eingangsverzeichnisses von Steuern königlicher Städte
aus dem Jahre 1241 hat uns eine einheitliche Zentralverwaltung
in der königlichen Kammer und eine beträchtliche Höhe der regel-
mäßigen Abgaben, zu denen unter Umständen noch außerordent-
liche Umlagen hinzutreten konnten, gezeigt, wie man sie früher
nicht vermutete.2)

1) K. Zeumer hat nachgewiesen, daß die lateinische Bearbeitung erst auf
Grund des deutschen Textes und nicht ohne sachliche Mißverständnisse erfolgte.
Er hat auch den verlorenen deutschen Urtext aus Ableitungen wiederhergestellt.
Vgl. Neues Archiv 28; Ztschr. f. Rechtsgesch., germ. Abt., 23. Der Text
auch in Zeumers Quellensamml. z. Gesch. d. deutsch. Reichsverf. 1904, der
zu der Ausgabe M. G. Const. II, 241 ff. zu vergleichen ist.
2) Vgl. Schwalm, Neues Arch. 23; dazu Zeumer, Hist. Zeitschr. 81,
Schulte, Ztschr. f. Gesch. d. Oberrh. N. F. 13.
§ 17. Friedrich II. auf der Höhe seiner Macht (1230‒1239).

Der große Mainzer Landfriede von 1235, in dem sie ihren
Ausdruck fanden, ragt an Bedeutung über alle ähnlichen früheren
oder späteren deutschen Reichsordnungen des Mittelalters empor.
Schon in der Form, denn er war das erste in deutscher Sprache
ausgefertigte und verkündigte Reichsgesetz.1) Mehr noch durch
seinen umfassenden Inhalt, der, frühere Satzungen wiederholend,
aber auch neue hinzufügend, Strafrecht und Strafvollzug entscheidend
weiterbildete, die regelmäßige Gerichtstätigkeit zu beleben, künftigen
Friedensbrüchen vorzubeugen, den Verkehr zu sichern und die durch die
großen Fürstenprivilegien zwar in ihrer Ausübung beschränkten, aber
keineswegs preisgegebenen Zoll-, Münz- und Geleitsregalien des Reiches
vor Usurpationen zu schützen suchte. Spätere Zeiten haben diese
Bestimmungen oftmals wiederholt und zur Grundlage aller Weiter-
bildungen genommen. Bedeutsam waren endlich die Spuren eines
Herüberwirkens sizilischer Einrichtungen und Rechtsvorstellungen,
die hier mehr oder weniger deutlich zu Tage traten, am unverkenn-
barsten in der Einsetzung eines Reichshofrichters, eines auf Zeit
und nach Amtsrecht angestellten freien Mannes zur ständigen Ver-
tretung des Königs im Hofgericht, und in dem Wert, der durch die
Zuweisung eines besonderen Notars mit genau bestimmten Funktionen
auf geregelten schriftlichen Geschäftsgang und eine Sammlung von
Präzedenzfällen kaiserlicher Hofgerichtsprüche gelegt wurde.

Hier wie in anderen Fällen handelte es sich nicht um eine
gewaltsame Aufpfropfung fremden Rechts, sondern um durchaus
nützliche Einwirkungen der vorgeschrittenen sizilischen Verfassung,
die freilich nur bei sorgfältiger Pflege fruchtbringend für Deutsch-
land geworden wären. Vielleicht ist damals nach dieser Richtung
hin mehr geschehen, als der zufällige Bestand unserer Quellen er-
kennen läßt. Wenigstens auf das Steuerwesen scheinen sich ähn-
liche fördernde Einwirkungen erstreckt zu haben. Der glückliche
Fund eines Eingangsverzeichnisses von Steuern königlicher Städte
aus dem Jahre 1241 hat uns eine einheitliche Zentralverwaltung
in der königlichen Kammer und eine beträchtliche Höhe der regel-
mäßigen Abgaben, zu denen unter Umständen noch außerordent-
liche Umlagen hinzutreten konnten, gezeigt, wie man sie früher
nicht vermutete.2)

1) K. Zeumer hat nachgewiesen, daß die lateinische Bearbeitung erst auf
Grund des deutschen Textes und nicht ohne sachliche Mißverständnisse erfolgte.
Er hat auch den verlorenen deutschen Urtext aus Ableitungen wiederhergestellt.
Vgl. Neues Archiv 28; Ztschr. f. Rechtsgesch., germ. Abt., 23. Der Text
auch in Zeumers Quellensamml. z. Gesch. d. deutsch. Reichsverf. 1904, der
zu der Ausgabe M. G. Const. II, 241 ff. zu vergleichen ist.
2) Vgl. Schwalm, Neues Arch. 23; dazu Zeumer, Hist. Zeitschr. 81,
Schulte, Ztschr. f. Gesch. d. Oberrh. N. F. 13.
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[233/0241] § 17. Friedrich II. auf der Höhe seiner Macht (1230‒1239). Der große Mainzer Landfriede von 1235, in dem sie ihren Ausdruck fanden, ragt an Bedeutung über alle ähnlichen früheren oder späteren deutschen Reichsordnungen des Mittelalters empor. Schon in der Form, denn er war das erste in deutscher Sprache ausgefertigte und verkündigte Reichsgesetz. 1) Mehr noch durch seinen umfassenden Inhalt, der, frühere Satzungen wiederholend, aber auch neue hinzufügend, Strafrecht und Strafvollzug entscheidend weiterbildete, die regelmäßige Gerichtstätigkeit zu beleben, künftigen Friedensbrüchen vorzubeugen, den Verkehr zu sichern und die durch die großen Fürstenprivilegien zwar in ihrer Ausübung beschränkten, aber keineswegs preisgegebenen Zoll-, Münz- und Geleitsregalien des Reiches vor Usurpationen zu schützen suchte. Spätere Zeiten haben diese Bestimmungen oftmals wiederholt und zur Grundlage aller Weiter- bildungen genommen. Bedeutsam waren endlich die Spuren eines Herüberwirkens sizilischer Einrichtungen und Rechtsvorstellungen, die hier mehr oder weniger deutlich zu Tage traten, am unverkenn- barsten in der Einsetzung eines Reichshofrichters, eines auf Zeit und nach Amtsrecht angestellten freien Mannes zur ständigen Ver- tretung des Königs im Hofgericht, und in dem Wert, der durch die Zuweisung eines besonderen Notars mit genau bestimmten Funktionen auf geregelten schriftlichen Geschäftsgang und eine Sammlung von Präzedenzfällen kaiserlicher Hofgerichtsprüche gelegt wurde. Hier wie in anderen Fällen handelte es sich nicht um eine gewaltsame Aufpfropfung fremden Rechts, sondern um durchaus nützliche Einwirkungen der vorgeschrittenen sizilischen Verfassung, die freilich nur bei sorgfältiger Pflege fruchtbringend für Deutsch- land geworden wären. Vielleicht ist damals nach dieser Richtung hin mehr geschehen, als der zufällige Bestand unserer Quellen er- kennen läßt. Wenigstens auf das Steuerwesen scheinen sich ähn- liche fördernde Einwirkungen erstreckt zu haben. Der glückliche Fund eines Eingangsverzeichnisses von Steuern königlicher Städte aus dem Jahre 1241 hat uns eine einheitliche Zentralverwaltung in der königlichen Kammer und eine beträchtliche Höhe der regel- mäßigen Abgaben, zu denen unter Umständen noch außerordent- liche Umlagen hinzutreten konnten, gezeigt, wie man sie früher nicht vermutete. 2) 1) K. Zeumer hat nachgewiesen, daß die lateinische Bearbeitung erst auf Grund des deutschen Textes und nicht ohne sachliche Mißverständnisse erfolgte. Er hat auch den verlorenen deutschen Urtext aus Ableitungen wiederhergestellt. Vgl. Neues Archiv 28; Ztschr. f. Rechtsgesch., germ. Abt., 23. Der Text auch in Zeumers Quellensamml. z. Gesch. d. deutsch. Reichsverf. 1904, der zu der Ausgabe M. G. Const. II, 241 ff. zu vergleichen ist. 2) Vgl. Schwalm, Neues Arch. 23; dazu Zeumer, Hist. Zeitschr. 81, Schulte, Ztschr. f. Gesch. d. Oberrh. N. F. 13.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/241>, abgerufen am 30.04.2024.