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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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II. Die Zeit der Staufer.
hervorbrechende, durch keine Pietät gebundene Leidenschaft geeignet
waren, das Gefühl von Unsicherheit und Mißtrauen ihm gegenüber
zu erwecken, und daß er auch ohne die wilden Kämpfe seiner
ausgehenden Regierung sich niemals die allgemeine Achtung und
Verehrung erworben haben würde, wie etwa sein Ahnherr Barba-
rossa. An seiner Person schieden sich die Geister, und noch heute
ringen um ihn Haß und Bewunderung. --

Die dringendste Aufgabe nach dem Frieden von Ceperano war
für Friedrich, die erschütterte Herrschaft seiner Reiche neu und
umso widerstandsfähiger zu befestigen. Der Plan seines Vorgehens war
dabei genau der gleiche, wie in den zwanziger Jahren: zunächst die
Neuordnung Siziliens und Deutschlands nach völlig entgegengesetzten
Gesichtspunkten, dann die Herstellung der Hoheit in Reichsitalien,
alles unter möglichster Wahrung des Einvernehmens mit der Kurie.

Die Gesetzgebung und Verwaltungsreform Siziliens, wie sie
1231 in den Konstitutionen von Melfi1) und den großen Finanz-
plänen ihren Ausdruck fand, stellen die glänzendste und dauerhafteste
Leistung dar, die Friedrich vollbracht hat, bei aller Mitarbeit seiner
ausgezeichneten Juristen, des Erzbischofs Jakob von Capua und
Großhofrichters Peter von Vinea2) doch sein eigenstes Werk. Es
war keine Schwäche, sondern eine Stärke dieser Gesetzgebung, daß
sie mit ausgesprochen autoritätsfeindlichem Rationalismus zugleich einen
stark historischen Zug verband, indem sie mehr als die Hälfte der
Artikel den älteren Konstitutionen Rogers II. entlehnte, wie dieser
selbst bei dem Corpus Justinians ähnlich starke Anleihen gemacht
hatte.3) Friedrichs große Kodifikation, bereichert um viele neuen
Bestimmungen, sollte das ältere Gesetzes- und Gewohnheitsrecht
ersetzen, ließ aber das buntgemischte bürgerliche Recht im allge-
meinen unberührt.

1) Eine abschließende Ausgabe und Analyse der später durch Novellen
stark vermehrten Konstitutionen fehlt noch. Ältere Ausgaben von Carcani
1876 u. Huillard-Breholles IV, I ff. Ein näheres Eingehen auf die Reor-
ganisation Siziliens würde den Rahmen der obigen Darstellung überschreiten,
die nur wenige, auch für die Reichsgeschichte indirekt bedeutsame Hauptzüge
herausheben kann. Für Weiteres vergl. die zahlreichen Arbeiten v. Winkel-
mann, insbes. seine Dissertation (1859), sein älteres Friedrichwerk (1863) I,
350 ff., Aufsätze in Forsch. z. deutsch. Gesch. 12 u. Jahrbücher II, 262 ff.
Brauchbare Dissertationen von Wilda (1889) und Maerker (1889). Vieles
natürlich auch in Fickers Forsch. z. Reichs- u. Rechtsg. Italiens. Vergl. ferner
Capasso, Sulla storia esterna delle costitutioni del regno di Sic. (1896);
Brandileone, Il diritto nelle leggi Normanne e Sueve del regno di Sic. (1884);
auch Caspar, Roger II (1904), S. 275 ff.
2) Über seinen Anteil vergl. Winkelm. Jahrb. II, 270 u. unten.
3) Diese Sätze des römischen Rechts sind vor allem von F. übernommen,
vergl. Caspar S. 281.

II. Die Zeit der Staufer.
hervorbrechende, durch keine Pietät gebundene Leidenschaft geeignet
waren, das Gefühl von Unsicherheit und Mißtrauen ihm gegenüber
zu erwecken, und daß er auch ohne die wilden Kämpfe seiner
ausgehenden Regierung sich niemals die allgemeine Achtung und
Verehrung erworben haben würde, wie etwa sein Ahnherr Barba-
rossa. An seiner Person schieden sich die Geister, und noch heute
ringen um ihn Haß und Bewunderung. —

Die dringendste Aufgabe nach dem Frieden von Ceperano war
für Friedrich, die erschütterte Herrschaft seiner Reiche neu und
umso widerstandsfähiger zu befestigen. Der Plan seines Vorgehens war
dabei genau der gleiche, wie in den zwanziger Jahren: zunächst die
Neuordnung Siziliens und Deutschlands nach völlig entgegengesetzten
Gesichtspunkten, dann die Herstellung der Hoheit in Reichsitalien,
alles unter möglichster Wahrung des Einvernehmens mit der Kurie.

Die Gesetzgebung und Verwaltungsreform Siziliens, wie sie
1231 in den Konstitutionen von Melfi1) und den großen Finanz-
plänen ihren Ausdruck fand, stellen die glänzendste und dauerhafteste
Leistung dar, die Friedrich vollbracht hat, bei aller Mitarbeit seiner
ausgezeichneten Juristen, des Erzbischofs Jakob von Capua und
Großhofrichters Peter von Vinea2) doch sein eigenstes Werk. Es
war keine Schwäche, sondern eine Stärke dieser Gesetzgebung, daß
sie mit ausgesprochen autoritätsfeindlichem Rationalismus zugleich einen
stark historischen Zug verband, indem sie mehr als die Hälfte der
Artikel den älteren Konstitutionen Rogers II. entlehnte, wie dieser
selbst bei dem Corpus Justinians ähnlich starke Anleihen gemacht
hatte.3) Friedrichs große Kodifikation, bereichert um viele neuen
Bestimmungen, sollte das ältere Gesetzes- und Gewohnheitsrecht
ersetzen, ließ aber das buntgemischte bürgerliche Recht im allge-
meinen unberührt.

1) Eine abschließende Ausgabe und Analyse der später durch Novellen
stark vermehrten Konstitutionen fehlt noch. Ältere Ausgaben von Carcani
1876 u. Huillard-Bréholles IV, I ff. Ein näheres Eingehen auf die Reor-
ganisation Siziliens würde den Rahmen der obigen Darstellung überschreiten,
die nur wenige, auch für die Reichsgeschichte indirekt bedeutsame Hauptzüge
herausheben kann. Für Weiteres vergl. die zahlreichen Arbeiten v. Winkel-
mann, insbes. seine Dissertation (1859), sein älteres Friedrichwerk (1863) I,
350 ff., Aufsätze in Forsch. z. deutsch. Gesch. 12 u. Jahrbücher II, 262 ff.
Brauchbare Dissertationen von Wilda (1889) und Maerker (1889). Vieles
natürlich auch in Fickers Forsch. z. Reichs- u. Rechtsg. Italiens. Vergl. ferner
Capasso, Sulla storia esterna delle costitutioni del regno di Sic. (1896);
Brandileone, Il diritto nelle leggi Normanne e Sueve del regno di Sic. (1884);
auch Caspar, Roger II (1904), S. 275 ff.
2) Über seinen Anteil vergl. Winkelm. Jahrb. II, 270 u. unten.
3) Diese Sätze des römischen Rechts sind vor allem von F. übernommen,
vergl. Caspar S. 281.
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[224/0232] II. Die Zeit der Staufer. hervorbrechende, durch keine Pietät gebundene Leidenschaft geeignet waren, das Gefühl von Unsicherheit und Mißtrauen ihm gegenüber zu erwecken, und daß er auch ohne die wilden Kämpfe seiner ausgehenden Regierung sich niemals die allgemeine Achtung und Verehrung erworben haben würde, wie etwa sein Ahnherr Barba- rossa. An seiner Person schieden sich die Geister, und noch heute ringen um ihn Haß und Bewunderung. — Die dringendste Aufgabe nach dem Frieden von Ceperano war für Friedrich, die erschütterte Herrschaft seiner Reiche neu und umso widerstandsfähiger zu befestigen. Der Plan seines Vorgehens war dabei genau der gleiche, wie in den zwanziger Jahren: zunächst die Neuordnung Siziliens und Deutschlands nach völlig entgegengesetzten Gesichtspunkten, dann die Herstellung der Hoheit in Reichsitalien, alles unter möglichster Wahrung des Einvernehmens mit der Kurie. Die Gesetzgebung und Verwaltungsreform Siziliens, wie sie 1231 in den Konstitutionen von Melfi 1) und den großen Finanz- plänen ihren Ausdruck fand, stellen die glänzendste und dauerhafteste Leistung dar, die Friedrich vollbracht hat, bei aller Mitarbeit seiner ausgezeichneten Juristen, des Erzbischofs Jakob von Capua und Großhofrichters Peter von Vinea 2) doch sein eigenstes Werk. Es war keine Schwäche, sondern eine Stärke dieser Gesetzgebung, daß sie mit ausgesprochen autoritätsfeindlichem Rationalismus zugleich einen stark historischen Zug verband, indem sie mehr als die Hälfte der Artikel den älteren Konstitutionen Rogers II. entlehnte, wie dieser selbst bei dem Corpus Justinians ähnlich starke Anleihen gemacht hatte. 3) Friedrichs große Kodifikation, bereichert um viele neuen Bestimmungen, sollte das ältere Gesetzes- und Gewohnheitsrecht ersetzen, ließ aber das buntgemischte bürgerliche Recht im allge- meinen unberührt. 1) Eine abschließende Ausgabe und Analyse der später durch Novellen stark vermehrten Konstitutionen fehlt noch. Ältere Ausgaben von Carcani 1876 u. Huillard-Bréholles IV, I ff. Ein näheres Eingehen auf die Reor- ganisation Siziliens würde den Rahmen der obigen Darstellung überschreiten, die nur wenige, auch für die Reichsgeschichte indirekt bedeutsame Hauptzüge herausheben kann. Für Weiteres vergl. die zahlreichen Arbeiten v. Winkel- mann, insbes. seine Dissertation (1859), sein älteres Friedrichwerk (1863) I, 350 ff., Aufsätze in Forsch. z. deutsch. Gesch. 12 u. Jahrbücher II, 262 ff. Brauchbare Dissertationen von Wilda (1889) und Maerker (1889). Vieles natürlich auch in Fickers Forsch. z. Reichs- u. Rechtsg. Italiens. Vergl. ferner Capasso, Sulla storia esterna delle costitutioni del regno di Sic. (1896); Brandileone, Il diritto nelle leggi Normanne e Sueve del regno di Sic. (1884); auch Caspar, Roger II (1904), S. 275 ff. 2) Über seinen Anteil vergl. Winkelm. Jahrb. II, 270 u. unten. 3) Diese Sätze des römischen Rechts sind vor allem von F. übernommen, vergl. Caspar S. 281.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/232>, abgerufen am 30.04.2024.