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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 16. Das Emporsteigen Friedr. II., bis zum Frieden v. Ceperano (1230).

Allein wie hätte Friedrich, als er nach der Kaiserkrönung endlich
wieder sein sizilisches Reich betrat, es in dem Zustande der Anarchie,
in dem er es vorfand, lassen sollen, um sich sogleich nach dem
Orient zu wenden? War doch der Erfolg seines Kreuzzuges nicht
zum wenigsten abhängig von den Mitteln, die ihm dies Reich
bieten sollte! Indem er aber nun mit aller Energie die Reorgani-
sation Siziliens in Angriff nahm, verwickelte er sich ohne alle
hinterhältige Absicht in ein neues Unternehmen, das ihn nicht so
bald losließ. Es war schon etwas, das er mit den rasch gesammelten
Kräften 1221 hintereinander zwei Flotten mit erheblichen Truppen-
nachschüben nach Ägypten voraussenden konnte; er selbst blieb
mit stillschweigender Billigung des Papstes einstweilen zurück. In-
zwischen aber ereilte die Kreuzfahrer das Verhängnis. Von der
Wartepflicht entbunden, ließ sich der Legat, ohne nur die zweite
Flotte des Kaisers abzuwarten, mit völlig unzureichenden Kräften
auf das unsinnige Wagnis eines Eroberungszuges in das innere
Ägypten ein, während er die Auslieferung Jerusalems wiederholt
vertragsmäßig hätte erlangen können, ward durch das Durchstechen
der Dämme vom Nilwasser eingeschlossen und nur durch die weise
Mäßigung des Sultans El Kamil vor völliger Vernichtung bewahrt.
Aber die Erfolge waren dahin, der Abzug des Kreuzheeres wurde
durch die Rückgabe von Damiette erkauft, und ein achtjähriger
Waffenstillstand zugestanden, den nur ein gekrönter christlicher König
sollte kündigen dürfen.

Friedrich II. blieb nicht ganz unberührt von dieser Schmach.
Trotzdem war der Ausgang für ihn nicht ungünstig: alle Hoffnung
richtete sich fortan auf ihn, und da nun der Anlaß zur Eile fort-
fiel, und der neue Kreuzzug um so umfassendere Vorbereitungen
erforderte, gewann er eine Spanne Zeit zur Durchführung seiner
dringendsten europäischen Aufgaben.

Zunächst bedurfte noch Sizilien seiner emsigsten Fürsorge.
Das Werk der Assisen von Capua (Dez. 1220) und ihrer Ergänzung
in Messina (Juni 1221)1) war nicht Neuschöpfung, sondern Her-
stellung.

Es galt der Monarchie ihre alte, starke Grundlage wieder zu gewinnen,
daher Rückführung aller Dinge auf den Stand von 11892), Einforderung aller
seitdem entfremdeten Besitzungen und Rechtstitel, Kassierung der darüber
ausgestellten Königsurkunden, selbst oft der eignen aus Friedrichs Kindheit3),

1) Beide vollständig u. im Wortlaut erst durch die 1888 aufgefundene
erste Redaktion der Chronik Richards v. S. Germano bekannt.
2) Auch die Verleihungen Heinrichs VI. an Deutsche galten als Ent-
fremdungen.
3) Nicht in Frage gestellt aber wurden die älteren Königsurkunden vor
1189, vergl. gegen Winkelmann Scheffer-Boichorst, Schriften II, 248 ff.
Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 14
§ 16. Das Emporsteigen Friedr. II., bis zum Frieden v. Ceperano (1230).

Allein wie hätte Friedrich, als er nach der Kaiserkrönung endlich
wieder sein sizilisches Reich betrat, es in dem Zustande der Anarchie,
in dem er es vorfand, lassen sollen, um sich sogleich nach dem
Orient zu wenden? War doch der Erfolg seines Kreuzzuges nicht
zum wenigsten abhängig von den Mitteln, die ihm dies Reich
bieten sollte! Indem er aber nun mit aller Energie die Reorgani-
sation Siziliens in Angriff nahm, verwickelte er sich ohne alle
hinterhältige Absicht in ein neues Unternehmen, das ihn nicht so
bald losließ. Es war schon etwas, das er mit den rasch gesammelten
Kräften 1221 hintereinander zwei Flotten mit erheblichen Truppen-
nachschüben nach Ägypten voraussenden konnte; er selbst blieb
mit stillschweigender Billigung des Papstes einstweilen zurück. In-
zwischen aber ereilte die Kreuzfahrer das Verhängnis. Von der
Wartepflicht entbunden, ließ sich der Legat, ohne nur die zweite
Flotte des Kaisers abzuwarten, mit völlig unzureichenden Kräften
auf das unsinnige Wagnis eines Eroberungszuges in das innere
Ägypten ein, während er die Auslieferung Jerusalems wiederholt
vertragsmäßig hätte erlangen können, ward durch das Durchstechen
der Dämme vom Nilwasser eingeschlossen und nur durch die weise
Mäßigung des Sultans El Kamil vor völliger Vernichtung bewahrt.
Aber die Erfolge waren dahin, der Abzug des Kreuzheeres wurde
durch die Rückgabe von Damiette erkauft, und ein achtjähriger
Waffenstillstand zugestanden, den nur ein gekrönter christlicher König
sollte kündigen dürfen.

Friedrich II. blieb nicht ganz unberührt von dieser Schmach.
Trotzdem war der Ausgang für ihn nicht ungünstig: alle Hoffnung
richtete sich fortan auf ihn, und da nun der Anlaß zur Eile fort-
fiel, und der neue Kreuzzug um so umfassendere Vorbereitungen
erforderte, gewann er eine Spanne Zeit zur Durchführung seiner
dringendsten europäischen Aufgaben.

Zunächst bedurfte noch Sizilien seiner emsigsten Fürsorge.
Das Werk der Assisen von Capua (Dez. 1220) und ihrer Ergänzung
in Messina (Juni 1221)1) war nicht Neuschöpfung, sondern Her-
stellung.

Es galt der Monarchie ihre alte, starke Grundlage wieder zu gewinnen,
daher Rückführung aller Dinge auf den Stand von 11892), Einforderung aller
seitdem entfremdeten Besitzungen und Rechtstitel, Kassierung der darüber
ausgestellten Königsurkunden, selbst oft der eignen aus Friedrichs Kindheit3),

1) Beide vollständig u. im Wortlaut erst durch die 1888 aufgefundene
erste Redaktion der Chronik Richards v. S. Germano bekannt.
2) Auch die Verleihungen Heinrichs VI. an Deutsche galten als Ent-
fremdungen.
3) Nicht in Frage gestellt aber wurden die älteren Königsurkunden vor
1189, vergl. gegen Winkelmann Scheffer-Boichorst, Schriften II, 248 ff.
Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 14
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[209/0217] § 16. Das Emporsteigen Friedr. II., bis zum Frieden v. Ceperano (1230). Allein wie hätte Friedrich, als er nach der Kaiserkrönung endlich wieder sein sizilisches Reich betrat, es in dem Zustande der Anarchie, in dem er es vorfand, lassen sollen, um sich sogleich nach dem Orient zu wenden? War doch der Erfolg seines Kreuzzuges nicht zum wenigsten abhängig von den Mitteln, die ihm dies Reich bieten sollte! Indem er aber nun mit aller Energie die Reorgani- sation Siziliens in Angriff nahm, verwickelte er sich ohne alle hinterhältige Absicht in ein neues Unternehmen, das ihn nicht so bald losließ. Es war schon etwas, das er mit den rasch gesammelten Kräften 1221 hintereinander zwei Flotten mit erheblichen Truppen- nachschüben nach Ägypten voraussenden konnte; er selbst blieb mit stillschweigender Billigung des Papstes einstweilen zurück. In- zwischen aber ereilte die Kreuzfahrer das Verhängnis. Von der Wartepflicht entbunden, ließ sich der Legat, ohne nur die zweite Flotte des Kaisers abzuwarten, mit völlig unzureichenden Kräften auf das unsinnige Wagnis eines Eroberungszuges in das innere Ägypten ein, während er die Auslieferung Jerusalems wiederholt vertragsmäßig hätte erlangen können, ward durch das Durchstechen der Dämme vom Nilwasser eingeschlossen und nur durch die weise Mäßigung des Sultans El Kamil vor völliger Vernichtung bewahrt. Aber die Erfolge waren dahin, der Abzug des Kreuzheeres wurde durch die Rückgabe von Damiette erkauft, und ein achtjähriger Waffenstillstand zugestanden, den nur ein gekrönter christlicher König sollte kündigen dürfen. Friedrich II. blieb nicht ganz unberührt von dieser Schmach. Trotzdem war der Ausgang für ihn nicht ungünstig: alle Hoffnung richtete sich fortan auf ihn, und da nun der Anlaß zur Eile fort- fiel, und der neue Kreuzzug um so umfassendere Vorbereitungen erforderte, gewann er eine Spanne Zeit zur Durchführung seiner dringendsten europäischen Aufgaben. Zunächst bedurfte noch Sizilien seiner emsigsten Fürsorge. Das Werk der Assisen von Capua (Dez. 1220) und ihrer Ergänzung in Messina (Juni 1221) 1) war nicht Neuschöpfung, sondern Her- stellung. Es galt der Monarchie ihre alte, starke Grundlage wieder zu gewinnen, daher Rückführung aller Dinge auf den Stand von 1189 2), Einforderung aller seitdem entfremdeten Besitzungen und Rechtstitel, Kassierung der darüber ausgestellten Königsurkunden, selbst oft der eignen aus Friedrichs Kindheit 3), 1) Beide vollständig u. im Wortlaut erst durch die 1888 aufgefundene erste Redaktion der Chronik Richards v. S. Germano bekannt. 2) Auch die Verleihungen Heinrichs VI. an Deutsche galten als Ent- fremdungen. 3) Nicht in Frage gestellt aber wurden die älteren Königsurkunden vor 1189, vergl. gegen Winkelmann Scheffer-Boichorst, Schriften II, 248 ff. Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 14

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/217>, abgerufen am 22.11.2024.