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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 16. Das Emporsteigen Friedr. II., bis zum Frieden v. Ceperano (1230).

Man hat ihm die heftigsten Vorwürfe gemacht1), daß er da-
mals, wo eben noch in zwölfter Stunde eine Wiederherstellung der
deutschen Monarchie möglich gewesen wäre, seine übernommenen
Pflichten vernachlässigt und die bequemere Aufgabe im Süden vor-
gezogen habe. Indes seine Verbindung mit Deutschland war im
wesentlichen dynastischer Art, Heimatgefühl hegte er nur für Sizilien.
Auch das war für sein Handeln schwerlich entscheidend, vielmehr
in erster Linie die politische Berechnung. Wenn er auch auf Hein-
richs VI. Plan einer staatsrechtlichen Vereinigung Siziliens mit dem
Reiche weder zurückgreifen konnte, noch wollte, so mußte er doch
den Umfang der überkommenen Gebiete schon vom Standpunkte
der Selbstbehauptung aus als eine Einheit betrachten, und wenn
er sich nun fragte, in welchem der Länder: Deutschland, Reichs-
italien oder Sizilien am ehesten darauf zu rechnen sei, an Stelle
der gegenwärtigen Scheinherrschaft eine wirkliche Macht neu zu be-
gründen, so mußte ihn ein richtiges politisches Augenmaß notwen-
dig auf Sizilien weisen, wo das starke normannische Königtum zwar
seit zwei Jahrzehnten am Boden lag, aber abgesehen von den Zu-
geständnissen an die Kurie noch keines seiner Rechte preisgegeben
hatte, wo die inneren Widerstände doch auch keineswegs unüber-
windlich schienen. Viel schwieriger war eine Herstellung schon in
Reichsitalien, weil die dortigen Verluste zum größten Teil Gewinne
des Papsttums und ohne Zusammenstoß mit ihm kaum einzu-
bringen waren. Am aussichtslosesten lagen die Dinge in Deutsch-
land, das mit seinem überwiegenden Verharren in Naturalwirtschaft
und Lehenswesen den vorgeschritteneren Italiener fremdartig genug
anmuten mochte. Es mag zugegeben werden, daß sich einer
Sammlungspolitik des deutschen Königtums damals noch immer
Handhaben genug boten. Aber wenn hier die Entwicklung der
letzten Jahrzehnte dem Fürstentum und der Papstkirche zugute
gekommen war, so konnte eine Gegenbewegung nur im Kampfe
mit eben den beiden Mächten sich Bahn brechen, mit deren Hilfe
Friedrich bisher emporgestiegen war, denen er rechtlich bindende
Zusicherungen gegeben hatte. Das war vorderhand völlig untunlich.
Aus den Verhältnissen heraus ist es daher verständlich genug, daß
das Reorganisationswerk Friedrichs seinen Gang von Süden nach
Norden nahm. Das brachte es dann mit sich, daß er, um durch
Ruhe in Deutschland Bewegungsfreiheit für seine italienischen Unter-
nehmungen zu gewinnen, den deutschen Fürsten auch weiterhin
in die Hand arbeitete und durch Preisgabe neuer Kronrechte hier
ein späteres Einlenken noch mehr erschwerte.

1) So noch Ficker. Vgl. dagegen Rodenberg, Friedrich II. u. d. deutsche
Kirche, Hist. Aufs. dem Andenk. a. G. Waitz gewidm. 1886.
§ 16. Das Emporsteigen Friedr. II., bis zum Frieden v. Ceperano (1230).

Man hat ihm die heftigsten Vorwürfe gemacht1), daß er da-
mals, wo eben noch in zwölfter Stunde eine Wiederherstellung der
deutschen Monarchie möglich gewesen wäre, seine übernommenen
Pflichten vernachlässigt und die bequemere Aufgabe im Süden vor-
gezogen habe. Indes seine Verbindung mit Deutschland war im
wesentlichen dynastischer Art, Heimatgefühl hegte er nur für Sizilien.
Auch das war für sein Handeln schwerlich entscheidend, vielmehr
in erster Linie die politische Berechnung. Wenn er auch auf Hein-
richs VI. Plan einer staatsrechtlichen Vereinigung Siziliens mit dem
Reiche weder zurückgreifen konnte, noch wollte, so mußte er doch
den Umfang der überkommenen Gebiete schon vom Standpunkte
der Selbstbehauptung aus als eine Einheit betrachten, und wenn
er sich nun fragte, in welchem der Länder: Deutschland, Reichs-
italien oder Sizilien am ehesten darauf zu rechnen sei, an Stelle
der gegenwärtigen Scheinherrschaft eine wirkliche Macht neu zu be-
gründen, so mußte ihn ein richtiges politisches Augenmaß notwen-
dig auf Sizilien weisen, wo das starke normannische Königtum zwar
seit zwei Jahrzehnten am Boden lag, aber abgesehen von den Zu-
geständnissen an die Kurie noch keines seiner Rechte preisgegeben
hatte, wo die inneren Widerstände doch auch keineswegs unüber-
windlich schienen. Viel schwieriger war eine Herstellung schon in
Reichsitalien, weil die dortigen Verluste zum größten Teil Gewinne
des Papsttums und ohne Zusammenstoß mit ihm kaum einzu-
bringen waren. Am aussichtslosesten lagen die Dinge in Deutsch-
land, das mit seinem überwiegenden Verharren in Naturalwirtschaft
und Lehenswesen den vorgeschritteneren Italiener fremdartig genug
anmuten mochte. Es mag zugegeben werden, daß sich einer
Sammlungspolitik des deutschen Königtums damals noch immer
Handhaben genug boten. Aber wenn hier die Entwicklung der
letzten Jahrzehnte dem Fürstentum und der Papstkirche zugute
gekommen war, so konnte eine Gegenbewegung nur im Kampfe
mit eben den beiden Mächten sich Bahn brechen, mit deren Hilfe
Friedrich bisher emporgestiegen war, denen er rechtlich bindende
Zusicherungen gegeben hatte. Das war vorderhand völlig untunlich.
Aus den Verhältnissen heraus ist es daher verständlich genug, daß
das Reorganisationswerk Friedrichs seinen Gang von Süden nach
Norden nahm. Das brachte es dann mit sich, daß er, um durch
Ruhe in Deutschland Bewegungsfreiheit für seine italienischen Unter-
nehmungen zu gewinnen, den deutschen Fürsten auch weiterhin
in die Hand arbeitete und durch Preisgabe neuer Kronrechte hier
ein späteres Einlenken noch mehr erschwerte.

1) So noch Ficker. Vgl. dagegen Rodenberg, Friedrich II. u. d. deutsche
Kirche, Hist. Aufs. dem Andenk. a. G. Waitz gewidm. 1886.
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[205/0213] § 16. Das Emporsteigen Friedr. II., bis zum Frieden v. Ceperano (1230). Man hat ihm die heftigsten Vorwürfe gemacht 1), daß er da- mals, wo eben noch in zwölfter Stunde eine Wiederherstellung der deutschen Monarchie möglich gewesen wäre, seine übernommenen Pflichten vernachlässigt und die bequemere Aufgabe im Süden vor- gezogen habe. Indes seine Verbindung mit Deutschland war im wesentlichen dynastischer Art, Heimatgefühl hegte er nur für Sizilien. Auch das war für sein Handeln schwerlich entscheidend, vielmehr in erster Linie die politische Berechnung. Wenn er auch auf Hein- richs VI. Plan einer staatsrechtlichen Vereinigung Siziliens mit dem Reiche weder zurückgreifen konnte, noch wollte, so mußte er doch den Umfang der überkommenen Gebiete schon vom Standpunkte der Selbstbehauptung aus als eine Einheit betrachten, und wenn er sich nun fragte, in welchem der Länder: Deutschland, Reichs- italien oder Sizilien am ehesten darauf zu rechnen sei, an Stelle der gegenwärtigen Scheinherrschaft eine wirkliche Macht neu zu be- gründen, so mußte ihn ein richtiges politisches Augenmaß notwen- dig auf Sizilien weisen, wo das starke normannische Königtum zwar seit zwei Jahrzehnten am Boden lag, aber abgesehen von den Zu- geständnissen an die Kurie noch keines seiner Rechte preisgegeben hatte, wo die inneren Widerstände doch auch keineswegs unüber- windlich schienen. Viel schwieriger war eine Herstellung schon in Reichsitalien, weil die dortigen Verluste zum größten Teil Gewinne des Papsttums und ohne Zusammenstoß mit ihm kaum einzu- bringen waren. Am aussichtslosesten lagen die Dinge in Deutsch- land, das mit seinem überwiegenden Verharren in Naturalwirtschaft und Lehenswesen den vorgeschritteneren Italiener fremdartig genug anmuten mochte. Es mag zugegeben werden, daß sich einer Sammlungspolitik des deutschen Königtums damals noch immer Handhaben genug boten. Aber wenn hier die Entwicklung der letzten Jahrzehnte dem Fürstentum und der Papstkirche zugute gekommen war, so konnte eine Gegenbewegung nur im Kampfe mit eben den beiden Mächten sich Bahn brechen, mit deren Hilfe Friedrich bisher emporgestiegen war, denen er rechtlich bindende Zusicherungen gegeben hatte. Das war vorderhand völlig untunlich. Aus den Verhältnissen heraus ist es daher verständlich genug, daß das Reorganisationswerk Friedrichs seinen Gang von Süden nach Norden nahm. Das brachte es dann mit sich, daß er, um durch Ruhe in Deutschland Bewegungsfreiheit für seine italienischen Unter- nehmungen zu gewinnen, den deutschen Fürsten auch weiterhin in die Hand arbeitete und durch Preisgabe neuer Kronrechte hier ein späteres Einlenken noch mehr erschwerte. 1) So noch Ficker. Vgl. dagegen Rodenberg, Friedrich II. u. d. deutsche Kirche, Hist. Aufs. dem Andenk. a. G. Waitz gewidm. 1886.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/213>, abgerufen am 30.04.2024.