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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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II. Die Zeit der Staufer.
danische Einfluß auf die Kultur sich mit besonderer Kraft geltend
machte, in einem großen städtischen Gemeinwesen, wo die tägliche
Berührung mit einem fortgeschrittenen Bürgertum auf die Entwicklung
des königlichen Knaben nicht ohne Eindruck bleiben konnte. Denn
Friedrich wuchs nicht auf in der vornehmen Zurückgezogenheit eines
geordneten Hofwesens, sondern trotz der scheinbar geregelten, durch
ein "Familiarenkollegium" von geistlichen und weltlichen Großen
Siziliens unter Oberleitung des päpstlichen Vormundes geübten
Regierung in wahrhaft anarchischen Zuständen. Als vater- und
mutterlose Waise, ohne den Beistand irgendeines Verwandten,
wanderte der Knabe, von gewissenlosen und habgierigen deutschen
und italienischen Machthabern nur als Gegenstand der Ausbeutung
betrachtet, von einer Hand in die andere, bald durch die Ver-
schleuderung des Krongutes in solche Not gestürzt, daß Bürger von
Palermo wechselnd für seinen Unterhalt sorgten.

Schon bei dem siebenjährigen Kinde gewahrt man seltsam
frühreife Regungen eines durch die unwürdige Ohnmacht seiner
Stellung tiefverletzten Herrscherstolzes. Bei dem heranwachsenden
Knaben verdichteten sie sich zu dem brennenden Wunsche nach
Vergeltung, zu einer mit eiserner Willenskraft betriebenen Vorbe-
reitung auf den künftigen Herrscherberuf. Als er mit vierzehn
Jahren die Mündigkeit erlangte, hatte ihn die durchmessene Schule
der Leiden bereits hellsehend und lebenskundig gemacht, aber auch
die Keime zu Mißtrauen und Menschenverachtung gepflanzt. Un-
vergleichlich treten schon in der Schilderung, die einer seiner Lehrer
in jener Zeit von ihm entworfen hat, die Rastlosigkeit einer geni-
alen Begabung und die Selbstdurchsetzung eines unbändigen Herr-
scherwillens hervor.

Alsbald begann der junge König, an der Nord- und Ostküste
der Insel seine Hoheit zur Geltung zu bringen1), indes die Ab-
sicht, mit der Ritterschar, welche ihm die vom Papste für ihn aus-
erlesene Gemahlin Konstanze von Aragonien zuführte, nach dem
Festlande hinüberzugehen, ward durch eine Seuche vereitelt, und
kurz darauf stellte der Angriff Ottos IV. seine ganze Existenz in
Frage. Wir sahen, wie in den folgenden Ereignissen, die ihn auf
den deutschen Königsthron führten, Begabung und Geschicklichkeit
des frühreifen Jünglings keine geringe Rolle spielten. Rasch genug
lebte er sich in die universalen Herrschaftsideale des Kaisertums
ein, aber zu einem Deutschen vermochte ihn der neue Besitz
doch nicht umzuschaffen.

1) Schon vor der Aug. 1209 vollzogenen Vermählung, vgl. Hist. Viertelj.
3, 161 ff.

II. Die Zeit der Staufer.
danische Einfluß auf die Kultur sich mit besonderer Kraft geltend
machte, in einem großen städtischen Gemeinwesen, wo die tägliche
Berührung mit einem fortgeschrittenen Bürgertum auf die Entwicklung
des königlichen Knaben nicht ohne Eindruck bleiben konnte. Denn
Friedrich wuchs nicht auf in der vornehmen Zurückgezogenheit eines
geordneten Hofwesens, sondern trotz der scheinbar geregelten, durch
ein „Familiarenkollegium“ von geistlichen und weltlichen Großen
Siziliens unter Oberleitung des päpstlichen Vormundes geübten
Regierung in wahrhaft anarchischen Zuständen. Als vater- und
mutterlose Waise, ohne den Beistand irgendeines Verwandten,
wanderte der Knabe, von gewissenlosen und habgierigen deutschen
und italienischen Machthabern nur als Gegenstand der Ausbeutung
betrachtet, von einer Hand in die andere, bald durch die Ver-
schleuderung des Krongutes in solche Not gestürzt, daß Bürger von
Palermo wechselnd für seinen Unterhalt sorgten.

Schon bei dem siebenjährigen Kinde gewahrt man seltsam
frühreife Regungen eines durch die unwürdige Ohnmacht seiner
Stellung tiefverletzten Herrscherstolzes. Bei dem heranwachsenden
Knaben verdichteten sie sich zu dem brennenden Wunsche nach
Vergeltung, zu einer mit eiserner Willenskraft betriebenen Vorbe-
reitung auf den künftigen Herrscherberuf. Als er mit vierzehn
Jahren die Mündigkeit erlangte, hatte ihn die durchmessene Schule
der Leiden bereits hellsehend und lebenskundig gemacht, aber auch
die Keime zu Mißtrauen und Menschenverachtung gepflanzt. Un-
vergleichlich treten schon in der Schilderung, die einer seiner Lehrer
in jener Zeit von ihm entworfen hat, die Rastlosigkeit einer geni-
alen Begabung und die Selbstdurchsetzung eines unbändigen Herr-
scherwillens hervor.

Alsbald begann der junge König, an der Nord- und Ostküste
der Insel seine Hoheit zur Geltung zu bringen1), indes die Ab-
sicht, mit der Ritterschar, welche ihm die vom Papste für ihn aus-
erlesene Gemahlin Konstanze von Aragonien zuführte, nach dem
Festlande hinüberzugehen, ward durch eine Seuche vereitelt, und
kurz darauf stellte der Angriff Ottos IV. seine ganze Existenz in
Frage. Wir sahen, wie in den folgenden Ereignissen, die ihn auf
den deutschen Königsthron führten, Begabung und Geschicklichkeit
des frühreifen Jünglings keine geringe Rolle spielten. Rasch genug
lebte er sich in die universalen Herrschaftsideale des Kaisertums
ein, aber zu einem Deutschen vermochte ihn der neue Besitz
doch nicht umzuschaffen.

1) Schon vor der Aug. 1209 vollzogenen Vermählung, vgl. Hist. Viertelj.
3, 161 ff.
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[204/0212] II. Die Zeit der Staufer. danische Einfluß auf die Kultur sich mit besonderer Kraft geltend machte, in einem großen städtischen Gemeinwesen, wo die tägliche Berührung mit einem fortgeschrittenen Bürgertum auf die Entwicklung des königlichen Knaben nicht ohne Eindruck bleiben konnte. Denn Friedrich wuchs nicht auf in der vornehmen Zurückgezogenheit eines geordneten Hofwesens, sondern trotz der scheinbar geregelten, durch ein „Familiarenkollegium“ von geistlichen und weltlichen Großen Siziliens unter Oberleitung des päpstlichen Vormundes geübten Regierung in wahrhaft anarchischen Zuständen. Als vater- und mutterlose Waise, ohne den Beistand irgendeines Verwandten, wanderte der Knabe, von gewissenlosen und habgierigen deutschen und italienischen Machthabern nur als Gegenstand der Ausbeutung betrachtet, von einer Hand in die andere, bald durch die Ver- schleuderung des Krongutes in solche Not gestürzt, daß Bürger von Palermo wechselnd für seinen Unterhalt sorgten. Schon bei dem siebenjährigen Kinde gewahrt man seltsam frühreife Regungen eines durch die unwürdige Ohnmacht seiner Stellung tiefverletzten Herrscherstolzes. Bei dem heranwachsenden Knaben verdichteten sie sich zu dem brennenden Wunsche nach Vergeltung, zu einer mit eiserner Willenskraft betriebenen Vorbe- reitung auf den künftigen Herrscherberuf. Als er mit vierzehn Jahren die Mündigkeit erlangte, hatte ihn die durchmessene Schule der Leiden bereits hellsehend und lebenskundig gemacht, aber auch die Keime zu Mißtrauen und Menschenverachtung gepflanzt. Un- vergleichlich treten schon in der Schilderung, die einer seiner Lehrer in jener Zeit von ihm entworfen hat, die Rastlosigkeit einer geni- alen Begabung und die Selbstdurchsetzung eines unbändigen Herr- scherwillens hervor. Alsbald begann der junge König, an der Nord- und Ostküste der Insel seine Hoheit zur Geltung zu bringen 1), indes die Ab- sicht, mit der Ritterschar, welche ihm die vom Papste für ihn aus- erlesene Gemahlin Konstanze von Aragonien zuführte, nach dem Festlande hinüberzugehen, ward durch eine Seuche vereitelt, und kurz darauf stellte der Angriff Ottos IV. seine ganze Existenz in Frage. Wir sahen, wie in den folgenden Ereignissen, die ihn auf den deutschen Königsthron führten, Begabung und Geschicklichkeit des frühreifen Jünglings keine geringe Rolle spielten. Rasch genug lebte er sich in die universalen Herrschaftsideale des Kaisertums ein, aber zu einem Deutschen vermochte ihn der neue Besitz doch nicht umzuschaffen. 1) Schon vor der Aug. 1209 vollzogenen Vermählung, vgl. Hist. Viertelj. 3, 161 ff.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/212>, abgerufen am 30.04.2024.