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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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II. Die Zeit der Staufer.
immer gegen die schwache Herrschaft des jungen Friedrich be-
haupteten, normannische Abenteuerlust, die ihn zur leichten Er-
oberung gerade dieses Normannenreiches antrieb, Versprechungen
der Pisaner, die auf Kosten ihrer genuesischen Nebenbuhler von
ihm die volle Verkehrsfreiheit an den sizilischen Küsten erhofften,
endlich das Vorbild Kaiser Heinrichs VI., dem er immer eifriger
nachzustreben begann, -- alles das wirkte zusammen und trieb
ihn im Widerspruche mit den deutschen Fürsten zu einem Ent-
schlusse, der aufs neue die verhängnisvollsten Verwicklungen her-
aufbeschwören mußte. Besprechungen mit den sizilischen Rebellen
nahe der Grenze, diplomatische und kriegerische Vorbereitungen
machten es in den nächsten Monaten offenkundig, daß Otto sich
des Königreichs bemächtigen und so den ganzen Umfang der Herr-
schaft Heinrichs VI. wiederherstellen wollte.

Der Papst hatte sich noch vor der Kaiserkrönung die Unver-
sehrtheit Siziliens von Otto gewährleisten lassen. Jetzt sah er mit
Entsetzen, wie seine Kreatur, brutal über alle Rücksichten und
Verpflichtungen hinwegstürmend, das Werk seines Lebens, die
Trennung Siziliens vom Reiche, zu vernichten trachtete. Vom
ersten Augenblick ab begriff er, daß das den offenen Bruch be-
deutete. Solange der Kaiser noch in Reichsitalien seine Rüstungen
betrieb, suchte er gemeinsam mit dem Könige von Frankreich,
dem eifrigsten Gegner des Welfen, durch heimliche Agitation unter
den deutschen Fürsten den Abfall vorzubereiten und eine Gegen-
partei zu schaffen.1) Als Otto dann im November 1210 wirk-
lich mit starkem Heere die sizilische Grenze überschritt, schleuderte
der Papst gegen ihn den Bann (18. Nov.). Die schwachen Kräfte
des Widerstandes, die sich in der Terra di Lavoro regten, suchte
er eifrigst anzuspornen, wenn auch nur, um Zeit zu gewinnen.2)
Denn wie hätte das zerklüftete Königreich der Wucht dieses An-
griffs auf die Dauer Trotz bieten sollen? Im folgenden Jahre
beugte sich das gesamte Festland bis herab nach Kalabrien dem
Gebote des Kaisers; er gedachte die Meerenge von Messina zu
überschreiten, die Insel schien in seine Hand gegeben, schon soll
im Hafen von Palermo eine Galeere bereit gelegen haben, um den
jungen König für den Fall der äußersten Not nach Afrika hinüber-
zusetzen. Doch da war auch der Gegenplan des Papstes zur Reife
gediehen; er bot dem Staufer die Hand zur Rettung.

1) Da das Registrum de negotio imperii mit dem 11. Okt. 1209 un-
vollständig abbricht, so sind uns die päpstlichen Maßnahmen in der nächsten
Zeit nur vereinzelt bekannt.
2) Vgl. betr. Aversa Hist. Viertelj. 6, 479 ff.

II. Die Zeit der Staufer.
immer gegen die schwache Herrschaft des jungen Friedrich be-
haupteten, normannische Abenteuerlust, die ihn zur leichten Er-
oberung gerade dieses Normannenreiches antrieb, Versprechungen
der Pisaner, die auf Kosten ihrer genuesischen Nebenbuhler von
ihm die volle Verkehrsfreiheit an den sizilischen Küsten erhofften,
endlich das Vorbild Kaiser Heinrichs VI., dem er immer eifriger
nachzustreben begann, — alles das wirkte zusammen und trieb
ihn im Widerspruche mit den deutschen Fürsten zu einem Ent-
schlusse, der aufs neue die verhängnisvollsten Verwicklungen her-
aufbeschwören mußte. Besprechungen mit den sizilischen Rebellen
nahe der Grenze, diplomatische und kriegerische Vorbereitungen
machten es in den nächsten Monaten offenkundig, daß Otto sich
des Königreichs bemächtigen und so den ganzen Umfang der Herr-
schaft Heinrichs VI. wiederherstellen wollte.

Der Papst hatte sich noch vor der Kaiserkrönung die Unver-
sehrtheit Siziliens von Otto gewährleisten lassen. Jetzt sah er mit
Entsetzen, wie seine Kreatur, brutal über alle Rücksichten und
Verpflichtungen hinwegstürmend, das Werk seines Lebens, die
Trennung Siziliens vom Reiche, zu vernichten trachtete. Vom
ersten Augenblick ab begriff er, daß das den offenen Bruch be-
deutete. Solange der Kaiser noch in Reichsitalien seine Rüstungen
betrieb, suchte er gemeinsam mit dem Könige von Frankreich,
dem eifrigsten Gegner des Welfen, durch heimliche Agitation unter
den deutschen Fürsten den Abfall vorzubereiten und eine Gegen-
partei zu schaffen.1) Als Otto dann im November 1210 wirk-
lich mit starkem Heere die sizilische Grenze überschritt, schleuderte
der Papst gegen ihn den Bann (18. Nov.). Die schwachen Kräfte
des Widerstandes, die sich in der Terra di Lavoro regten, suchte
er eifrigst anzuspornen, wenn auch nur, um Zeit zu gewinnen.2)
Denn wie hätte das zerklüftete Königreich der Wucht dieses An-
griffs auf die Dauer Trotz bieten sollen? Im folgenden Jahre
beugte sich das gesamte Festland bis herab nach Kalabrien dem
Gebote des Kaisers; er gedachte die Meerenge von Messina zu
überschreiten, die Insel schien in seine Hand gegeben, schon soll
im Hafen von Palermo eine Galeere bereit gelegen haben, um den
jungen König für den Fall der äußersten Not nach Afrika hinüber-
zusetzen. Doch da war auch der Gegenplan des Papstes zur Reife
gediehen; er bot dem Staufer die Hand zur Rettung.

1) Da das Registrum de negotio imperii mit dem 11. Okt. 1209 un-
vollständig abbricht, so sind uns die päpstlichen Maßnahmen in der nächsten
Zeit nur vereinzelt bekannt.
2) Vgl. betr. Aversa Hist. Viertelj. 6, 479 ff.
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[196/0204] II. Die Zeit der Staufer. immer gegen die schwache Herrschaft des jungen Friedrich be- haupteten, normannische Abenteuerlust, die ihn zur leichten Er- oberung gerade dieses Normannenreiches antrieb, Versprechungen der Pisaner, die auf Kosten ihrer genuesischen Nebenbuhler von ihm die volle Verkehrsfreiheit an den sizilischen Küsten erhofften, endlich das Vorbild Kaiser Heinrichs VI., dem er immer eifriger nachzustreben begann, — alles das wirkte zusammen und trieb ihn im Widerspruche mit den deutschen Fürsten zu einem Ent- schlusse, der aufs neue die verhängnisvollsten Verwicklungen her- aufbeschwören mußte. Besprechungen mit den sizilischen Rebellen nahe der Grenze, diplomatische und kriegerische Vorbereitungen machten es in den nächsten Monaten offenkundig, daß Otto sich des Königreichs bemächtigen und so den ganzen Umfang der Herr- schaft Heinrichs VI. wiederherstellen wollte. Der Papst hatte sich noch vor der Kaiserkrönung die Unver- sehrtheit Siziliens von Otto gewährleisten lassen. Jetzt sah er mit Entsetzen, wie seine Kreatur, brutal über alle Rücksichten und Verpflichtungen hinwegstürmend, das Werk seines Lebens, die Trennung Siziliens vom Reiche, zu vernichten trachtete. Vom ersten Augenblick ab begriff er, daß das den offenen Bruch be- deutete. Solange der Kaiser noch in Reichsitalien seine Rüstungen betrieb, suchte er gemeinsam mit dem Könige von Frankreich, dem eifrigsten Gegner des Welfen, durch heimliche Agitation unter den deutschen Fürsten den Abfall vorzubereiten und eine Gegen- partei zu schaffen. 1) Als Otto dann im November 1210 wirk- lich mit starkem Heere die sizilische Grenze überschritt, schleuderte der Papst gegen ihn den Bann (18. Nov.). Die schwachen Kräfte des Widerstandes, die sich in der Terra di Lavoro regten, suchte er eifrigst anzuspornen, wenn auch nur, um Zeit zu gewinnen. 2) Denn wie hätte das zerklüftete Königreich der Wucht dieses An- griffs auf die Dauer Trotz bieten sollen? Im folgenden Jahre beugte sich das gesamte Festland bis herab nach Kalabrien dem Gebote des Kaisers; er gedachte die Meerenge von Messina zu überschreiten, die Insel schien in seine Hand gegeben, schon soll im Hafen von Palermo eine Galeere bereit gelegen haben, um den jungen König für den Fall der äußersten Not nach Afrika hinüber- zusetzen. Doch da war auch der Gegenplan des Papstes zur Reife gediehen; er bot dem Staufer die Hand zur Rettung. 1) Da das Registrum de negotio imperii mit dem 11. Okt. 1209 un- vollständig abbricht, so sind uns die päpstlichen Maßnahmen in der nächsten Zeit nur vereinzelt bekannt. 2) Vgl. betr. Aversa Hist. Viertelj. 6, 479 ff.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/204>, abgerufen am 30.04.2024.