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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198-1216).
er auf Spolien- und Regalienrecht mit ihren für die Krone so wertvollen
Einkünften Verzicht leistete, zerschnitt er die alten Bande zwischen dem
Königtum und der deutschen Kirche und hieß alle Errungenschaften gut, die
Innozenz auf diesem Gebiete in den letzten Jahren für das Papsttum gewonnen
hatte. Durch die Beherrschung der geistlichen Wähler, durch die Prüfung der
vollzogenen Wahlen erlangte die Kurie den entscheidenden Einfluß, sank die
königliche Investitur zu einer machtlosen Form herab.

Der so weittragende Versprechungen machte, ward als Herr-
scher des geeinten Reiches nicht mehr durch die Not dazu ge-
trieben, schwerlich auch war er so ganz ohne Verständnis für die
Machtinteressen des deutschen Königtums. Die Vermutung liegt
nahe, daß es eben leere Versprechungen waren, die zu den Akten
gelegt werden sollten, sobald Otto als Entgelt dafür die in Aussicht
gestellte Kaiserkrone erlangt haben würde. Noch in demselben
Jahre trat er seine Romfahrt an, und alsbald zeigte es sich, wie
wenig ernst er seine Zusagen nahm. Er sah die Dinge mit den
Augen der staufischen Reichsministerialen, die ihn hier berieten;
zu den gewaltigen deutschen Krongutsverlusten noch die reichen
Einkünfte der dem Papste versprochenen italienischen Besitzungen
zu fügen, schien einem Selbstmorde des deutschen Königtums nahe-
zukommen. So verwies Otto die kirchlichen Forderungen auf den
Rechtsweg. Dem Papste trat er schon bei der ersten Zusammen-
kunft nicht ohne Schroffheit entgegen: seinen Versprechungen
mangle die Zustimmung der deutschen Fürsten, und auch sein
Krönungseid, stets ein Mehrer des Reiches sein zu wollen, stünde
ihnen entgegen. Trotzdem ward die Kaiserkrönung noch glücklich
vollzogen (4. Okt. 1209). Sie steigerte Ottos Selbstbewußtsein; auf
seinen Kaisersiegeln sah man Sonne und Mond zur Seite der
thronenden Majestät. Die Mißstimmung der Kurie über die Nicht-
beachtung ihrer territorialen Ansprüche war im Wachsen1); Inno-
zenz klagte wohl über Otto mit den Worten der Bibel, es reue
ihn, den Menschen gemacht zu haben. Aber wenn er sich vor
kurzem mit dem Standpunkte König Philipps abgefunden hatte,
so blieb die Lage für ihn auch jetzt einstweilen wenigstens erträglich.

Da hat eine überraschende Wendung in Ottos Politik den
Bruch mit der Kurie unvermeidlich gemacht. Schon wenige Wochen
nach der Kaiserkrönung ergriff er in Pisa den Gedanken eines An-
griffs auf das Königreich Sizilien (Ende Nov. 1209). Lockende
Aufforderungen der deutschen Truppenführer, die sich dort noch

1) Das ist doch nach Ficker, Mitt. d. Inst. f. öst. Gesch. 4, 341 ff.
scharf zu betonen, wenn auch Winkelmann gegenüber der älteren Auffassung
darin durchaus Recht behält, daß erst der Angriff auf Sizilien den Bruch herbei-
geführt hat. Über Chronologie und Auffassung der folgenden Ereignisse vgl.
Hampe, Hist. Viertelj. 3, 172 ff.
13*

§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216).
er auf Spolien- und Regalienrecht mit ihren für die Krone so wertvollen
Einkünften Verzicht leistete, zerschnitt er die alten Bande zwischen dem
Königtum und der deutschen Kirche und hieß alle Errungenschaften gut, die
Innozenz auf diesem Gebiete in den letzten Jahren für das Papsttum gewonnen
hatte. Durch die Beherrschung der geistlichen Wähler, durch die Prüfung der
vollzogenen Wahlen erlangte die Kurie den entscheidenden Einfluß, sank die
königliche Investitur zu einer machtlosen Form herab.

Der so weittragende Versprechungen machte, ward als Herr-
scher des geeinten Reiches nicht mehr durch die Not dazu ge-
trieben, schwerlich auch war er so ganz ohne Verständnis für die
Machtinteressen des deutschen Königtums. Die Vermutung liegt
nahe, daß es eben leere Versprechungen waren, die zu den Akten
gelegt werden sollten, sobald Otto als Entgelt dafür die in Aussicht
gestellte Kaiserkrone erlangt haben würde. Noch in demselben
Jahre trat er seine Romfahrt an, und alsbald zeigte es sich, wie
wenig ernst er seine Zusagen nahm. Er sah die Dinge mit den
Augen der staufischen Reichsministerialen, die ihn hier berieten;
zu den gewaltigen deutschen Krongutsverlusten noch die reichen
Einkünfte der dem Papste versprochenen italienischen Besitzungen
zu fügen, schien einem Selbstmorde des deutschen Königtums nahe-
zukommen. So verwies Otto die kirchlichen Forderungen auf den
Rechtsweg. Dem Papste trat er schon bei der ersten Zusammen-
kunft nicht ohne Schroffheit entgegen: seinen Versprechungen
mangle die Zustimmung der deutschen Fürsten, und auch sein
Krönungseid, stets ein Mehrer des Reiches sein zu wollen, stünde
ihnen entgegen. Trotzdem ward die Kaiserkrönung noch glücklich
vollzogen (4. Okt. 1209). Sie steigerte Ottos Selbstbewußtsein; auf
seinen Kaisersiegeln sah man Sonne und Mond zur Seite der
thronenden Majestät. Die Mißstimmung der Kurie über die Nicht-
beachtung ihrer territorialen Ansprüche war im Wachsen1); Inno-
zenz klagte wohl über Otto mit den Worten der Bibel, es reue
ihn, den Menschen gemacht zu haben. Aber wenn er sich vor
kurzem mit dem Standpunkte König Philipps abgefunden hatte,
so blieb die Lage für ihn auch jetzt einstweilen wenigstens erträglich.

Da hat eine überraschende Wendung in Ottos Politik den
Bruch mit der Kurie unvermeidlich gemacht. Schon wenige Wochen
nach der Kaiserkrönung ergriff er in Pisa den Gedanken eines An-
griffs auf das Königreich Sizilien (Ende Nov. 1209). Lockende
Aufforderungen der deutschen Truppenführer, die sich dort noch

1) Das ist doch nach Ficker, Mitt. d. Inst. f. öst. Gesch. 4, 341 ff.
scharf zu betonen, wenn auch Winkelmann gegenüber der älteren Auffassung
darin durchaus Recht behält, daß erst der Angriff auf Sizilien den Bruch herbei-
geführt hat. Über Chronologie und Auffassung der folgenden Ereignisse vgl.
Hampe, Hist. Viertelj. 3, 172 ff.
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[195/0203] § 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216). er auf Spolien- und Regalienrecht mit ihren für die Krone so wertvollen Einkünften Verzicht leistete, zerschnitt er die alten Bande zwischen dem Königtum und der deutschen Kirche und hieß alle Errungenschaften gut, die Innozenz auf diesem Gebiete in den letzten Jahren für das Papsttum gewonnen hatte. Durch die Beherrschung der geistlichen Wähler, durch die Prüfung der vollzogenen Wahlen erlangte die Kurie den entscheidenden Einfluß, sank die königliche Investitur zu einer machtlosen Form herab. Der so weittragende Versprechungen machte, ward als Herr- scher des geeinten Reiches nicht mehr durch die Not dazu ge- trieben, schwerlich auch war er so ganz ohne Verständnis für die Machtinteressen des deutschen Königtums. Die Vermutung liegt nahe, daß es eben leere Versprechungen waren, die zu den Akten gelegt werden sollten, sobald Otto als Entgelt dafür die in Aussicht gestellte Kaiserkrone erlangt haben würde. Noch in demselben Jahre trat er seine Romfahrt an, und alsbald zeigte es sich, wie wenig ernst er seine Zusagen nahm. Er sah die Dinge mit den Augen der staufischen Reichsministerialen, die ihn hier berieten; zu den gewaltigen deutschen Krongutsverlusten noch die reichen Einkünfte der dem Papste versprochenen italienischen Besitzungen zu fügen, schien einem Selbstmorde des deutschen Königtums nahe- zukommen. So verwies Otto die kirchlichen Forderungen auf den Rechtsweg. Dem Papste trat er schon bei der ersten Zusammen- kunft nicht ohne Schroffheit entgegen: seinen Versprechungen mangle die Zustimmung der deutschen Fürsten, und auch sein Krönungseid, stets ein Mehrer des Reiches sein zu wollen, stünde ihnen entgegen. Trotzdem ward die Kaiserkrönung noch glücklich vollzogen (4. Okt. 1209). Sie steigerte Ottos Selbstbewußtsein; auf seinen Kaisersiegeln sah man Sonne und Mond zur Seite der thronenden Majestät. Die Mißstimmung der Kurie über die Nicht- beachtung ihrer territorialen Ansprüche war im Wachsen 1); Inno- zenz klagte wohl über Otto mit den Worten der Bibel, es reue ihn, den Menschen gemacht zu haben. Aber wenn er sich vor kurzem mit dem Standpunkte König Philipps abgefunden hatte, so blieb die Lage für ihn auch jetzt einstweilen wenigstens erträglich. Da hat eine überraschende Wendung in Ottos Politik den Bruch mit der Kurie unvermeidlich gemacht. Schon wenige Wochen nach der Kaiserkrönung ergriff er in Pisa den Gedanken eines An- griffs auf das Königreich Sizilien (Ende Nov. 1209). Lockende Aufforderungen der deutschen Truppenführer, die sich dort noch 1) Das ist doch nach Ficker, Mitt. d. Inst. f. öst. Gesch. 4, 341 ff. scharf zu betonen, wenn auch Winkelmann gegenüber der älteren Auffassung darin durchaus Recht behält, daß erst der Angriff auf Sizilien den Bruch herbei- geführt hat. Über Chronologie und Auffassung der folgenden Ereignisse vgl. Hampe, Hist. Viertelj. 3, 172 ff. 13*

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/203>, abgerufen am 30.04.2024.