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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198-1216).

Den vereinten päpstlichen und französischen Einwirkungen
war es inzwischen gelungen, die bedeutendsten Fürsten Süd- und
Mitteldeutschlands zum Abfall und zur Aufstellung eines Gegen-
königs zu bringen. Ihr Kandidat war kein andrer als Friedrich
von Sizilien; eben als ihm sein süditalisches Reich dahinzu-
schwinden drohte, bot ihm eine deutsche Gesandtschaft die Krone
(Herbst 1211).1) Innozenz hatte nur schweren Herzens dieser
von Frankreich empfohlenen Kandidatur zugestimmt, denn sie ver-
bürgte eben das, was er vor allem bekämpfte, die Vereinigung
Siziliens mit dem Reiche! Doch es gab für ihn keine Wahl. Wer
sonst hätte sich dem welfischen Kaiser nur mit einiger Aussicht
auf Erfolg in den Weg stellen sollen? Für Friedrich aber, so
ohnmächtig er im Augenblick erschien, stritten sein auf Erblichkeit
und Wahl gegründetes Kronrecht, die Überlieferung seines Hauses
und der Glanz des staufischen Namens. Er erkannte die päpst-
liche Lehenshoheit über Sizilien an und bestätigte das, ebenso wie
das Konkordat der Konstanze, noch einmal ausdrücklich; dies Ver-
hältnis mochte auch auf das Kaisertum hinüberwirken. Gegen die
Dauer der Personalunion konnten Garantien geschaffen werden,
und mit der Krönung von Friedrichs einjährigem Söhnchen Hein-
rich zum König von Sizilien ward ein Anfang in dieser Richtung
gemacht. Zum mindesten war der jugendliche Schützling des Papstes
vorderhand nicht so gefährlich, als der undankbare und treulose
Welfe, der die Drangsale der Kurie unter Heinrich VI. zu erneuern
drohte. So wird uns diese Wendung der päpstlichen Politik, die
den Grund zu künftigen schweren Verwicklungen legte, immerhin
verständlich. Die Zeitgenossen aber sahen nur die ewig erneuten
Schwankungen und wurden irre an der moralischen Autorität des
Stellvertreters Christi. "Dein Mund ist Gottes Mund, aber deine
Werke sind Werke des Teufels", so unterbrach ein römischer Ghi-
bellinenführer Innozenz bei öffentlicher Predigt, und Walter von
der Vogelweide stand mit seiner Meinung in Deutschland nicht
allein, wenn er in geharnischten Versen die Kurie der Doppel-
züngigkeit zieh und die Schenkung Konstantins als den Urgrund
der unseligen Verweltlichung der Kirche beklagte.

Ein erster Erfolg der päpstlichen Gegenwirkung war es, daß
Otto die sichere Beute Siziliens fahren ließ und nach Deutschland
zurückeilte (Okt. 1211). Aber seine Truppen hielten das Festland
besetzt, und die Gefahr mußte sich erneuern, wenn Friedrich sich

1) Wieder war nach staufisch-imperialistischer Anschauung die Wahl zum
römischen Kaiser erfolgt, wie Friedrich auch die nächsten Jahre den Titel
"erwählter römischer Kaiser" führte; vgl. oben S. 188.
§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216).

Den vereinten päpstlichen und französischen Einwirkungen
war es inzwischen gelungen, die bedeutendsten Fürsten Süd- und
Mitteldeutschlands zum Abfall und zur Aufstellung eines Gegen-
königs zu bringen. Ihr Kandidat war kein andrer als Friedrich
von Sizilien; eben als ihm sein süditalisches Reich dahinzu-
schwinden drohte, bot ihm eine deutsche Gesandtschaft die Krone
(Herbst 1211).1) Innozenz hatte nur schweren Herzens dieser
von Frankreich empfohlenen Kandidatur zugestimmt, denn sie ver-
bürgte eben das, was er vor allem bekämpfte, die Vereinigung
Siziliens mit dem Reiche! Doch es gab für ihn keine Wahl. Wer
sonst hätte sich dem welfischen Kaiser nur mit einiger Aussicht
auf Erfolg in den Weg stellen sollen? Für Friedrich aber, so
ohnmächtig er im Augenblick erschien, stritten sein auf Erblichkeit
und Wahl gegründetes Kronrecht, die Überlieferung seines Hauses
und der Glanz des staufischen Namens. Er erkannte die päpst-
liche Lehenshoheit über Sizilien an und bestätigte das, ebenso wie
das Konkordat der Konstanze, noch einmal ausdrücklich; dies Ver-
hältnis mochte auch auf das Kaisertum hinüberwirken. Gegen die
Dauer der Personalunion konnten Garantien geschaffen werden,
und mit der Krönung von Friedrichs einjährigem Söhnchen Hein-
rich zum König von Sizilien ward ein Anfang in dieser Richtung
gemacht. Zum mindesten war der jugendliche Schützling des Papstes
vorderhand nicht so gefährlich, als der undankbare und treulose
Welfe, der die Drangsale der Kurie unter Heinrich VI. zu erneuern
drohte. So wird uns diese Wendung der päpstlichen Politik, die
den Grund zu künftigen schweren Verwicklungen legte, immerhin
verständlich. Die Zeitgenossen aber sahen nur die ewig erneuten
Schwankungen und wurden irre an der moralischen Autorität des
Stellvertreters Christi. „Dein Mund ist Gottes Mund, aber deine
Werke sind Werke des Teufels“, so unterbrach ein römischer Ghi-
bellinenführer Innozenz bei öffentlicher Predigt, und Walter von
der Vogelweide stand mit seiner Meinung in Deutschland nicht
allein, wenn er in geharnischten Versen die Kurie der Doppel-
züngigkeit zieh und die Schenkung Konstantins als den Urgrund
der unseligen Verweltlichung der Kirche beklagte.

Ein erster Erfolg der päpstlichen Gegenwirkung war es, daß
Otto die sichere Beute Siziliens fahren ließ und nach Deutschland
zurückeilte (Okt. 1211). Aber seine Truppen hielten das Festland
besetzt, und die Gefahr mußte sich erneuern, wenn Friedrich sich

1) Wieder war nach staufisch-imperialistischer Anschauung die Wahl zum
römischen Kaiser erfolgt, wie Friedrich auch die nächsten Jahre den Titel
„erwählter römischer Kaiser“ führte; vgl. oben S. 188.
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[197/0205] § 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216). Den vereinten päpstlichen und französischen Einwirkungen war es inzwischen gelungen, die bedeutendsten Fürsten Süd- und Mitteldeutschlands zum Abfall und zur Aufstellung eines Gegen- königs zu bringen. Ihr Kandidat war kein andrer als Friedrich von Sizilien; eben als ihm sein süditalisches Reich dahinzu- schwinden drohte, bot ihm eine deutsche Gesandtschaft die Krone (Herbst 1211). 1) Innozenz hatte nur schweren Herzens dieser von Frankreich empfohlenen Kandidatur zugestimmt, denn sie ver- bürgte eben das, was er vor allem bekämpfte, die Vereinigung Siziliens mit dem Reiche! Doch es gab für ihn keine Wahl. Wer sonst hätte sich dem welfischen Kaiser nur mit einiger Aussicht auf Erfolg in den Weg stellen sollen? Für Friedrich aber, so ohnmächtig er im Augenblick erschien, stritten sein auf Erblichkeit und Wahl gegründetes Kronrecht, die Überlieferung seines Hauses und der Glanz des staufischen Namens. Er erkannte die päpst- liche Lehenshoheit über Sizilien an und bestätigte das, ebenso wie das Konkordat der Konstanze, noch einmal ausdrücklich; dies Ver- hältnis mochte auch auf das Kaisertum hinüberwirken. Gegen die Dauer der Personalunion konnten Garantien geschaffen werden, und mit der Krönung von Friedrichs einjährigem Söhnchen Hein- rich zum König von Sizilien ward ein Anfang in dieser Richtung gemacht. Zum mindesten war der jugendliche Schützling des Papstes vorderhand nicht so gefährlich, als der undankbare und treulose Welfe, der die Drangsale der Kurie unter Heinrich VI. zu erneuern drohte. So wird uns diese Wendung der päpstlichen Politik, die den Grund zu künftigen schweren Verwicklungen legte, immerhin verständlich. Die Zeitgenossen aber sahen nur die ewig erneuten Schwankungen und wurden irre an der moralischen Autorität des Stellvertreters Christi. „Dein Mund ist Gottes Mund, aber deine Werke sind Werke des Teufels“, so unterbrach ein römischer Ghi- bellinenführer Innozenz bei öffentlicher Predigt, und Walter von der Vogelweide stand mit seiner Meinung in Deutschland nicht allein, wenn er in geharnischten Versen die Kurie der Doppel- züngigkeit zieh und die Schenkung Konstantins als den Urgrund der unseligen Verweltlichung der Kirche beklagte. Ein erster Erfolg der päpstlichen Gegenwirkung war es, daß Otto die sichere Beute Siziliens fahren ließ und nach Deutschland zurückeilte (Okt. 1211). Aber seine Truppen hielten das Festland besetzt, und die Gefahr mußte sich erneuern, wenn Friedrich sich 1) Wieder war nach staufisch-imperialistischer Anschauung die Wahl zum römischen Kaiser erfolgt, wie Friedrich auch die nächsten Jahre den Titel „erwählter römischer Kaiser“ führte; vgl. oben S. 188.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/205>, abgerufen am 30.04.2024.