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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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II. Die Zeit der Staufer.
Heinrichs VI. in vollem Umfange aufrecht. Der Verlust der Re-
kuperationen vor allem war es, der den im Mai 1208 zum Ab-
schluß gebrachten Abmachungen den Charakter einer offnen Nieder-
lage der päpstlichen Politik aufprägte!

Da hat eine jener unerwarteten Schicksalswendungen, an denen
der Pontifikat Innozenz' III. so reich ist, ihm diese Niederlage er-
spart und alles zugunsten der Kurie umgestaltet. König Philipp,
der sich eben anschickte mit unvergleichlich überlegener Heeres-
macht die letzten Reste welfischen Widerstandes in Braunschweig
niederzuwerfen, starb plötzlich in der Bischofspfalz von Bamberg
als das Opfer einer Privatrache unter der Mörderhand des bayrischen
Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach (21. Juni 1208). Für Deutsch-
land ein neues furchtbares Verhängnis! Eben hatte sich der Staufer
in jahrelangen Mühen den Weg zur Einheitsherrschaft gebahnt, da
schien die unselige Tat das Reich in das Chaos zurückzustürzen.

Indessen die deutschen Fürsten waren des Haders müde.
Schon während der letzten Verhandlungen war der Gedanke auf-
getaucht, Otto IV. mit einer Tochter des söhnelosen Königs Philipp
zu verloben und ihn so durch die Aussicht auf die Nachfolge oder
gar auf die römische Königswürde zur Seite eines staufischen
Kaisers zu entschädigen. Um so eher erklärten sich jetzt die
Anhänger Philipps mit diesem rettenden Ausweg, der neue Kämpfe
vermied, einverstanden. Otto1) trat damit aus der Rolle eines
Gegenkönigs heraus und vereinigte die beiden feindlichen Häuser
in seiner Person ähnlich wie Barbarossa in seinen Anfängen. Und
sofort zeigten sich die Wirkungen dieser Einung in bedeutender
Steigerung des königlichen Ansehens und kräftiger Friedenswahrung.

Nur nach einer Seite hin fühlte sich das neue Gesamtkönig-
tum auch jetzt noch durch seine Vergangenheit gebunden. Dem
Papste, der ihn freudig anerkannte, erneuerte und erweiterte Otto
sogleich in der Speyrer Urkunde vom 22. März 1209 seine früheren
Zugeständnisse.

Er gab alle jene strittigen Gebiete Italiens abermals preis, die Philipp
noch eben für das Reich gerettet hatte, und sicherte dem Papste ausdrück-
lich zu: den um die Grenzgebiete Südtusziens erweiterten engeren Kirchenstaat,
die Mark Ancona, das Herzogtum Spoleto, die mathildischen Güter, die Grafschaft
Bertinoro, den Exarchat Ravenna und die Pentapolis. Aber er zog auch für
Deutschland die Folgerungen aus der kirchenpolitischen Entwicklung des
letzten Jahrzehnts. Indem er die Bischofswahlen allein an den Mehrheits-
beschluß des Domkapitels knüpfte und die königliche Gegenwart und Ent-
scheidung zwiespältiger Wahlen, jene noch im Wormser Konkordat aner-
kannten Kronrechte, stillschweigend fallen ließ, indem er die Appellationen
nach Rom in kirchlichen Angelegenheiten schrankenlos zugestand, indem

1) Vgl. über ihn Winkelmann, Jahrb. d. deutschen Gesch.: Otto IV. 1878.

II. Die Zeit der Staufer.
Heinrichs VI. in vollem Umfange aufrecht. Der Verlust der Re-
kuperationen vor allem war es, der den im Mai 1208 zum Ab-
schluß gebrachten Abmachungen den Charakter einer offnen Nieder-
lage der päpstlichen Politik aufprägte!

Da hat eine jener unerwarteten Schicksalswendungen, an denen
der Pontifikat Innozenz' III. so reich ist, ihm diese Niederlage er-
spart und alles zugunsten der Kurie umgestaltet. König Philipp,
der sich eben anschickte mit unvergleichlich überlegener Heeres-
macht die letzten Reste welfischen Widerstandes in Braunschweig
niederzuwerfen, starb plötzlich in der Bischofspfalz von Bamberg
als das Opfer einer Privatrache unter der Mörderhand des bayrischen
Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach (21. Juni 1208). Für Deutsch-
land ein neues furchtbares Verhängnis! Eben hatte sich der Staufer
in jahrelangen Mühen den Weg zur Einheitsherrschaft gebahnt, da
schien die unselige Tat das Reich in das Chaos zurückzustürzen.

Indessen die deutschen Fürsten waren des Haders müde.
Schon während der letzten Verhandlungen war der Gedanke auf-
getaucht, Otto IV. mit einer Tochter des söhnelosen Königs Philipp
zu verloben und ihn so durch die Aussicht auf die Nachfolge oder
gar auf die römische Königswürde zur Seite eines staufischen
Kaisers zu entschädigen. Um so eher erklärten sich jetzt die
Anhänger Philipps mit diesem rettenden Ausweg, der neue Kämpfe
vermied, einverstanden. Otto1) trat damit aus der Rolle eines
Gegenkönigs heraus und vereinigte die beiden feindlichen Häuser
in seiner Person ähnlich wie Barbarossa in seinen Anfängen. Und
sofort zeigten sich die Wirkungen dieser Einung in bedeutender
Steigerung des königlichen Ansehens und kräftiger Friedenswahrung.

Nur nach einer Seite hin fühlte sich das neue Gesamtkönig-
tum auch jetzt noch durch seine Vergangenheit gebunden. Dem
Papste, der ihn freudig anerkannte, erneuerte und erweiterte Otto
sogleich in der Speyrer Urkunde vom 22. März 1209 seine früheren
Zugeständnisse.

Er gab alle jene strittigen Gebiete Italiens abermals preis, die Philipp
noch eben für das Reich gerettet hatte, und sicherte dem Papste ausdrück-
lich zu: den um die Grenzgebiete Südtusziens erweiterten engeren Kirchenstaat,
die Mark Ancona, das Herzogtum Spoleto, die mathildischen Güter, die Grafschaft
Bertinoro, den Exarchat Ravenna und die Pentapolis. Aber er zog auch für
Deutschland die Folgerungen aus der kirchenpolitischen Entwicklung des
letzten Jahrzehnts. Indem er die Bischofswahlen allein an den Mehrheits-
beschluß des Domkapitels knüpfte und die königliche Gegenwart und Ent-
scheidung zwiespältiger Wahlen, jene noch im Wormser Konkordat aner-
kannten Kronrechte, stillschweigend fallen ließ, indem er die Appellationen
nach Rom in kirchlichen Angelegenheiten schrankenlos zugestand, indem

1) Vgl. über ihn Winkelmann, Jahrb. d. deutschen Gesch.: Otto IV. 1878.
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[194/0202] II. Die Zeit der Staufer. Heinrichs VI. in vollem Umfange aufrecht. Der Verlust der Re- kuperationen vor allem war es, der den im Mai 1208 zum Ab- schluß gebrachten Abmachungen den Charakter einer offnen Nieder- lage der päpstlichen Politik aufprägte! Da hat eine jener unerwarteten Schicksalswendungen, an denen der Pontifikat Innozenz' III. so reich ist, ihm diese Niederlage er- spart und alles zugunsten der Kurie umgestaltet. König Philipp, der sich eben anschickte mit unvergleichlich überlegener Heeres- macht die letzten Reste welfischen Widerstandes in Braunschweig niederzuwerfen, starb plötzlich in der Bischofspfalz von Bamberg als das Opfer einer Privatrache unter der Mörderhand des bayrischen Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach (21. Juni 1208). Für Deutsch- land ein neues furchtbares Verhängnis! Eben hatte sich der Staufer in jahrelangen Mühen den Weg zur Einheitsherrschaft gebahnt, da schien die unselige Tat das Reich in das Chaos zurückzustürzen. Indessen die deutschen Fürsten waren des Haders müde. Schon während der letzten Verhandlungen war der Gedanke auf- getaucht, Otto IV. mit einer Tochter des söhnelosen Königs Philipp zu verloben und ihn so durch die Aussicht auf die Nachfolge oder gar auf die römische Königswürde zur Seite eines staufischen Kaisers zu entschädigen. Um so eher erklärten sich jetzt die Anhänger Philipps mit diesem rettenden Ausweg, der neue Kämpfe vermied, einverstanden. Otto 1) trat damit aus der Rolle eines Gegenkönigs heraus und vereinigte die beiden feindlichen Häuser in seiner Person ähnlich wie Barbarossa in seinen Anfängen. Und sofort zeigten sich die Wirkungen dieser Einung in bedeutender Steigerung des königlichen Ansehens und kräftiger Friedenswahrung. Nur nach einer Seite hin fühlte sich das neue Gesamtkönig- tum auch jetzt noch durch seine Vergangenheit gebunden. Dem Papste, der ihn freudig anerkannte, erneuerte und erweiterte Otto sogleich in der Speyrer Urkunde vom 22. März 1209 seine früheren Zugeständnisse. Er gab alle jene strittigen Gebiete Italiens abermals preis, die Philipp noch eben für das Reich gerettet hatte, und sicherte dem Papste ausdrück- lich zu: den um die Grenzgebiete Südtusziens erweiterten engeren Kirchenstaat, die Mark Ancona, das Herzogtum Spoleto, die mathildischen Güter, die Grafschaft Bertinoro, den Exarchat Ravenna und die Pentapolis. Aber er zog auch für Deutschland die Folgerungen aus der kirchenpolitischen Entwicklung des letzten Jahrzehnts. Indem er die Bischofswahlen allein an den Mehrheits- beschluß des Domkapitels knüpfte und die königliche Gegenwart und Ent- scheidung zwiespältiger Wahlen, jene noch im Wormser Konkordat aner- kannten Kronrechte, stillschweigend fallen ließ, indem er die Appellationen nach Rom in kirchlichen Angelegenheiten schrankenlos zugestand, indem 1) Vgl. über ihn Winkelmann, Jahrb. d. deutschen Gesch.: Otto IV. 1878.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/202>, abgerufen am 30.04.2024.