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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198-1216.)
ihm die Krönung (6. Januar 1205). Es war ein unerhörter Ein-
griff in das Reichsrecht, daß der Papst ihn daraufhin seines geist-
lich-weltlichen Fürstenamtes entsetzte und ihm einen neuen Erz-
bischof entgegenstellte. Aber er vermochte den immer weiter um
sich greifenden Abfall von Otto IV. dadurch nicht zu hemmen.
Schon bedrohten staufische Erfolge in Mittelitalien und ein erneutes
Hinübergreifen nach Sizilien1) die Grundlage der päpstlichen Politik.
Als Otto schließlich mit der Stadt Köln seinen Hauptstützpunkt
verlor (November 1206) und den deutschen Boden verließ, um in
England neue Hilfsgelder flüssig zu machen, hielt es der Papst für
geraten, in letzter Stunde seine Sache von der verlorenen seines
Schützlings zu trennen und durch einen Ausgleich mit Philipp für
die Kurie zu retten, was zu retten war.

Diese Schwenkung, in längeren Verhandlungen vorbereitet,
wurde Innozenz durch zwei Umstände erleichtert. In England
hatte der seit den Tagen Heinrichs II. nie ganz ausgeglichene
Gegensatz zwischen den Kronrechten und den Ansprüchen der
Kirche sich eben infolge einer Doppelwahl in Canterbury (1205) zu
einem schweren kirchenpolitischen Konflikt erweitert, der den wel-
fischen Verbündeten König Johanns mittelbar auch zum Feinde
des Papstes machte. In Sizilien mußte der herannahende Termin
der Mündigkeit des jungen Friedrich (26. Dezember 1208) jedes
Vormundschaftsrecht seines Oheims beseitigen und die Trennung
vom Imperium sichern. Philipp konnte daher in diesem Punkte
leicht Verzicht leisten. Ebenso vermochte Innozenz in den kirch-
lichen deutschen Streitfragen, wie den Spaltungen in den Erzbis-
tümern Mainz und Köln, gegen geringe tatsächliche Zugeständnisse
seinen grundsätzlichen Standpunkt aufrecht zu erhalten und sogar
in dem deutschen Thronstreit von Philipp eine Anerkennung des
päpstlichen Schiedsgerichts zu erlangen, dessen Entscheidung im
staufischen Sinne jenem nun freilich ebenso wie die Kaiserkrone
in Aussicht gestellt wurde. Gleichwohl blieb der Entschluß für den
Papst schwer genug, denn zäher als in Deutschland verstand der
Staufer in Reichsitalien seine Rechte zu wahren. Es scheint, daß
hier die Vermählung eines päpstlichen Nepoten mit einer Tochter
Philipps und seine Belehnung mit dem Herzogtum Tuszien ins
Auge gefaßt wurde. Dadurch wäre Rom nach dieser Seite hin
einstweilen vor Übergriffen gesichert worden; aber wie Tuszien da-
mit natürlich nicht aus dem Reichsverbande scheiden sollte, so hielt
Philipp hier überhaupt die kaiserlichen Hoheitsrechte aus der Zeit

1) Über den Angriff des Reichslegaten Lupold v. Worms auf Sizilien im
Sommer 1205 vgl. Hist. Viertelj. 6, 473 ff.
Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 13

§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216.)
ihm die Krönung (6. Januar 1205). Es war ein unerhörter Ein-
griff in das Reichsrecht, daß der Papst ihn daraufhin seines geist-
lich-weltlichen Fürstenamtes entsetzte und ihm einen neuen Erz-
bischof entgegenstellte. Aber er vermochte den immer weiter um
sich greifenden Abfall von Otto IV. dadurch nicht zu hemmen.
Schon bedrohten staufische Erfolge in Mittelitalien und ein erneutes
Hinübergreifen nach Sizilien1) die Grundlage der päpstlichen Politik.
Als Otto schließlich mit der Stadt Köln seinen Hauptstützpunkt
verlor (November 1206) und den deutschen Boden verließ, um in
England neue Hilfsgelder flüssig zu machen, hielt es der Papst für
geraten, in letzter Stunde seine Sache von der verlorenen seines
Schützlings zu trennen und durch einen Ausgleich mit Philipp für
die Kurie zu retten, was zu retten war.

Diese Schwenkung, in längeren Verhandlungen vorbereitet,
wurde Innozenz durch zwei Umstände erleichtert. In England
hatte der seit den Tagen Heinrichs II. nie ganz ausgeglichene
Gegensatz zwischen den Kronrechten und den Ansprüchen der
Kirche sich eben infolge einer Doppelwahl in Canterbury (1205) zu
einem schweren kirchenpolitischen Konflikt erweitert, der den wel-
fischen Verbündeten König Johanns mittelbar auch zum Feinde
des Papstes machte. In Sizilien mußte der herannahende Termin
der Mündigkeit des jungen Friedrich (26. Dezember 1208) jedes
Vormundschaftsrecht seines Oheims beseitigen und die Trennung
vom Imperium sichern. Philipp konnte daher in diesem Punkte
leicht Verzicht leisten. Ebenso vermochte Innozenz in den kirch-
lichen deutschen Streitfragen, wie den Spaltungen in den Erzbis-
tümern Mainz und Köln, gegen geringe tatsächliche Zugeständnisse
seinen grundsätzlichen Standpunkt aufrecht zu erhalten und sogar
in dem deutschen Thronstreit von Philipp eine Anerkennung des
päpstlichen Schiedsgerichts zu erlangen, dessen Entscheidung im
staufischen Sinne jenem nun freilich ebenso wie die Kaiserkrone
in Aussicht gestellt wurde. Gleichwohl blieb der Entschluß für den
Papst schwer genug, denn zäher als in Deutschland verstand der
Staufer in Reichsitalien seine Rechte zu wahren. Es scheint, daß
hier die Vermählung eines päpstlichen Nepoten mit einer Tochter
Philipps und seine Belehnung mit dem Herzogtum Tuszien ins
Auge gefaßt wurde. Dadurch wäre Rom nach dieser Seite hin
einstweilen vor Übergriffen gesichert worden; aber wie Tuszien da-
mit natürlich nicht aus dem Reichsverbande scheiden sollte, so hielt
Philipp hier überhaupt die kaiserlichen Hoheitsrechte aus der Zeit

1) Über den Angriff des Reichslegaten Lupold v. Worms auf Sizilien im
Sommer 1205 vgl. Hist. Viertelj. 6, 473 ff.
Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 13
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[193/0201] § 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216.) ihm die Krönung (6. Januar 1205). Es war ein unerhörter Ein- griff in das Reichsrecht, daß der Papst ihn daraufhin seines geist- lich-weltlichen Fürstenamtes entsetzte und ihm einen neuen Erz- bischof entgegenstellte. Aber er vermochte den immer weiter um sich greifenden Abfall von Otto IV. dadurch nicht zu hemmen. Schon bedrohten staufische Erfolge in Mittelitalien und ein erneutes Hinübergreifen nach Sizilien 1) die Grundlage der päpstlichen Politik. Als Otto schließlich mit der Stadt Köln seinen Hauptstützpunkt verlor (November 1206) und den deutschen Boden verließ, um in England neue Hilfsgelder flüssig zu machen, hielt es der Papst für geraten, in letzter Stunde seine Sache von der verlorenen seines Schützlings zu trennen und durch einen Ausgleich mit Philipp für die Kurie zu retten, was zu retten war. Diese Schwenkung, in längeren Verhandlungen vorbereitet, wurde Innozenz durch zwei Umstände erleichtert. In England hatte der seit den Tagen Heinrichs II. nie ganz ausgeglichene Gegensatz zwischen den Kronrechten und den Ansprüchen der Kirche sich eben infolge einer Doppelwahl in Canterbury (1205) zu einem schweren kirchenpolitischen Konflikt erweitert, der den wel- fischen Verbündeten König Johanns mittelbar auch zum Feinde des Papstes machte. In Sizilien mußte der herannahende Termin der Mündigkeit des jungen Friedrich (26. Dezember 1208) jedes Vormundschaftsrecht seines Oheims beseitigen und die Trennung vom Imperium sichern. Philipp konnte daher in diesem Punkte leicht Verzicht leisten. Ebenso vermochte Innozenz in den kirch- lichen deutschen Streitfragen, wie den Spaltungen in den Erzbis- tümern Mainz und Köln, gegen geringe tatsächliche Zugeständnisse seinen grundsätzlichen Standpunkt aufrecht zu erhalten und sogar in dem deutschen Thronstreit von Philipp eine Anerkennung des päpstlichen Schiedsgerichts zu erlangen, dessen Entscheidung im staufischen Sinne jenem nun freilich ebenso wie die Kaiserkrone in Aussicht gestellt wurde. Gleichwohl blieb der Entschluß für den Papst schwer genug, denn zäher als in Deutschland verstand der Staufer in Reichsitalien seine Rechte zu wahren. Es scheint, daß hier die Vermählung eines päpstlichen Nepoten mit einer Tochter Philipps und seine Belehnung mit dem Herzogtum Tuszien ins Auge gefaßt wurde. Dadurch wäre Rom nach dieser Seite hin einstweilen vor Übergriffen gesichert worden; aber wie Tuszien da- mit natürlich nicht aus dem Reichsverbande scheiden sollte, so hielt Philipp hier überhaupt die kaiserlichen Hoheitsrechte aus der Zeit 1) Über den Angriff des Reichslegaten Lupold v. Worms auf Sizilien im Sommer 1205 vgl. Hist. Viertelj. 6, 473 ff. Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 13

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/201>, abgerufen am 30.04.2024.