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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198-1216).
ganzen Schatz überlieferter Bilder und Vergleiche darzutun, insbe-
sondere die Abhängigkeit des Kaisertums aus seiner angeblichen
Übertragung durch den Papst von den Griechen an die Deutschen
herzuleiten.

Und indem er sich nun mit allem Ernst an die Durchführung
dieser Ansprüche machte, kamen ihm die Gunst der allgemeinen
Lage -- der Zwiespalt im Reiche, die Minderjährigkeit des sizi-
lischen Thronfolgers, die deutschfeindliche Strömung in Italien, der
französisch-englische Gegensatz -- ebensosehr zu statten, wie seine
hervorragende Begabung für Verwaltung und Finanzen, sein kritischer
Scharfsinn, den er etwa durch die Prüfung verdächtiger Papstur-
kunden fast nach den Grundsätzen moderner Forschung glänzend
bewährte, vor allem andern aber seine meisterhafte Diplomatie.
Wohl hat ihm mancher außer aller Berechnung stehende Glücksfall
die Wege geebnet, aber Innozenz verstand eben ihn zu nutzen,
er wußte auch widrigen Entwicklungen sich geschmeidig anzu-
passen, stets das letzte Ziel im Auge den Weg dahin ständig zu
wechseln, sich gelegentlich mit geringem Vorteil zu begnügen oder
gar einen Schritt zurückzuweichen, um bald zwei vorwärts zu tun.
Da hat er stets rücksichtslos und unbekümmert um ängstliche
Moralbedenken seinen Vorteil, den Vorteil von Kirche und Welt,
wie er ihn verstand, wahrzunehmen gewußt, nach echter Diplo-
matenart die Dinge stets unter dem Gesichtswinkel seiner augen-
blicklichen Absichten gesehen, beleuchtet und zurechtgerückt. Alles,
was man ihm da vom Standpunkte der Moral aus vorwerfen kann1),
geht schwerlich hinaus über das Durchschnittsmaß jedes Realpoli-
tikers und fällt hier eben nur bei dem Papste besonders auf. Daß
aber die höchste religiöse und moralische Autorität auf Erden jetzt
ganz zum Realpolitiker herabsank, der heute guthieß, was er gestern
verworfen, der die kirchlichen Strafmittel zu rein weltlichen Zwecken
anwandte und abnutzte, der es mit der Wahrheit nicht eben
genau nahm und auf seine politische Tätigkeit selbst das Sprüch-
wort "wer Pech angreift, besudelt sich" bezogen haben soll, das
bedeutete allerdings in der zunehmenden Verweltlichung der Papst-
kirche einen großen Schritt über Alexander III. hinaus und wurde
vorbildlich für die folgenden Jahrhunderte. Freilich, wie sollte man
die Weltherrschaft erringen ohne die Mittel der Politik? Innozenz III.,
der sie am gewandtesten von allen Päpsten gehandhabt hat, ist
dem letzten Ziele vielleicht von allen auch am nächsten gekommen.

Zunächst galt es, die Kirche aus der erdrückenden Umklam-
merung durch das mit Sizilien vereinigte Reich zu befreien und

1) Sehr scharf namentlich das Urteil von Hauck; vgl. dazu Hist. Ztschr. 93, 417.

§ 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216).
ganzen Schatz überlieferter Bilder und Vergleiche darzutun, insbe-
sondere die Abhängigkeit des Kaisertums aus seiner angeblichen
Übertragung durch den Papst von den Griechen an die Deutschen
herzuleiten.

Und indem er sich nun mit allem Ernst an die Durchführung
dieser Ansprüche machte, kamen ihm die Gunst der allgemeinen
Lage — der Zwiespalt im Reiche, die Minderjährigkeit des sizi-
lischen Thronfolgers, die deutschfeindliche Strömung in Italien, der
französisch-englische Gegensatz — ebensosehr zu statten, wie seine
hervorragende Begabung für Verwaltung und Finanzen, sein kritischer
Scharfsinn, den er etwa durch die Prüfung verdächtiger Papstur-
kunden fast nach den Grundsätzen moderner Forschung glänzend
bewährte, vor allem andern aber seine meisterhafte Diplomatie.
Wohl hat ihm mancher außer aller Berechnung stehende Glücksfall
die Wege geebnet, aber Innozenz verstand eben ihn zu nutzen,
er wußte auch widrigen Entwicklungen sich geschmeidig anzu-
passen, stets das letzte Ziel im Auge den Weg dahin ständig zu
wechseln, sich gelegentlich mit geringem Vorteil zu begnügen oder
gar einen Schritt zurückzuweichen, um bald zwei vorwärts zu tun.
Da hat er stets rücksichtslos und unbekümmert um ängstliche
Moralbedenken seinen Vorteil, den Vorteil von Kirche und Welt,
wie er ihn verstand, wahrzunehmen gewußt, nach echter Diplo-
matenart die Dinge stets unter dem Gesichtswinkel seiner augen-
blicklichen Absichten gesehen, beleuchtet und zurechtgerückt. Alles,
was man ihm da vom Standpunkte der Moral aus vorwerfen kann1),
geht schwerlich hinaus über das Durchschnittsmaß jedes Realpoli-
tikers und fällt hier eben nur bei dem Papste besonders auf. Daß
aber die höchste religiöse und moralische Autorität auf Erden jetzt
ganz zum Realpolitiker herabsank, der heute guthieß, was er gestern
verworfen, der die kirchlichen Strafmittel zu rein weltlichen Zwecken
anwandte und abnutzte, der es mit der Wahrheit nicht eben
genau nahm und auf seine politische Tätigkeit selbst das Sprüch-
wort „wer Pech angreift, besudelt sich“ bezogen haben soll, das
bedeutete allerdings in der zunehmenden Verweltlichung der Papst-
kirche einen großen Schritt über Alexander III. hinaus und wurde
vorbildlich für die folgenden Jahrhunderte. Freilich, wie sollte man
die Weltherrschaft erringen ohne die Mittel der Politik? Innozenz III.,
der sie am gewandtesten von allen Päpsten gehandhabt hat, ist
dem letzten Ziele vielleicht von allen auch am nächsten gekommen.

Zunächst galt es, die Kirche aus der erdrückenden Umklam-
merung durch das mit Sizilien vereinigte Reich zu befreien und

1) Sehr scharf namentlich das Urteil von Hauck; vgl. dazu Hist. Ztschr. 93, 417.
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[185/0193] § 15. Innozenz III. und die deutschen Thronwirren. (1198‒1216). ganzen Schatz überlieferter Bilder und Vergleiche darzutun, insbe- sondere die Abhängigkeit des Kaisertums aus seiner angeblichen Übertragung durch den Papst von den Griechen an die Deutschen herzuleiten. Und indem er sich nun mit allem Ernst an die Durchführung dieser Ansprüche machte, kamen ihm die Gunst der allgemeinen Lage — der Zwiespalt im Reiche, die Minderjährigkeit des sizi- lischen Thronfolgers, die deutschfeindliche Strömung in Italien, der französisch-englische Gegensatz — ebensosehr zu statten, wie seine hervorragende Begabung für Verwaltung und Finanzen, sein kritischer Scharfsinn, den er etwa durch die Prüfung verdächtiger Papstur- kunden fast nach den Grundsätzen moderner Forschung glänzend bewährte, vor allem andern aber seine meisterhafte Diplomatie. Wohl hat ihm mancher außer aller Berechnung stehende Glücksfall die Wege geebnet, aber Innozenz verstand eben ihn zu nutzen, er wußte auch widrigen Entwicklungen sich geschmeidig anzu- passen, stets das letzte Ziel im Auge den Weg dahin ständig zu wechseln, sich gelegentlich mit geringem Vorteil zu begnügen oder gar einen Schritt zurückzuweichen, um bald zwei vorwärts zu tun. Da hat er stets rücksichtslos und unbekümmert um ängstliche Moralbedenken seinen Vorteil, den Vorteil von Kirche und Welt, wie er ihn verstand, wahrzunehmen gewußt, nach echter Diplo- matenart die Dinge stets unter dem Gesichtswinkel seiner augen- blicklichen Absichten gesehen, beleuchtet und zurechtgerückt. Alles, was man ihm da vom Standpunkte der Moral aus vorwerfen kann 1), geht schwerlich hinaus über das Durchschnittsmaß jedes Realpoli- tikers und fällt hier eben nur bei dem Papste besonders auf. Daß aber die höchste religiöse und moralische Autorität auf Erden jetzt ganz zum Realpolitiker herabsank, der heute guthieß, was er gestern verworfen, der die kirchlichen Strafmittel zu rein weltlichen Zwecken anwandte und abnutzte, der es mit der Wahrheit nicht eben genau nahm und auf seine politische Tätigkeit selbst das Sprüch- wort „wer Pech angreift, besudelt sich“ bezogen haben soll, das bedeutete allerdings in der zunehmenden Verweltlichung der Papst- kirche einen großen Schritt über Alexander III. hinaus und wurde vorbildlich für die folgenden Jahrhunderte. Freilich, wie sollte man die Weltherrschaft erringen ohne die Mittel der Politik? Innozenz III., der sie am gewandtesten von allen Päpsten gehandhabt hat, ist dem letzten Ziele vielleicht von allen auch am nächsten gekommen. Zunächst galt es, die Kirche aus der erdrückenden Umklam- merung durch das mit Sizilien vereinigte Reich zu befreien und 1) Sehr scharf namentlich das Urteil von Hauck; vgl. dazu Hist. Ztschr. 93, 417.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/193>, abgerufen am 25.11.2024.