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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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Die Zeit der Staufer.
schaft gezogenen Umgebung. Die ungeheuren Anstrengungen, die
er seinem Körper zumutete, untergruben allmählich seine Gesund-
heit; wie der Vogel zum Fliegen, so meinte er, sei der Mensch
dazu geschaffen, Mühsal zu ertragen. Und diese stete Rastlosigkeit
eines vernunftbeherrschten Schaffens ist für ihn so bezeichnend, wie
für Gregor VII. die stoßweis hastende, dämonische Leidenschaftlich-
keit. Seine Natur barg nicht unerforschliche Abgründe und über-
raschte nicht durch Blitze blendender Genialität, aber sie wußte viel-
leicht ebendeshalb umso besser ihr Lebenswerk vor Klippen und
Schiffbruch zu sichern.

Die scholastische Universitätsbildung seiner Zeit hatte sich
Innozenz in einem seltenen Grade der Vollkommenheit angeeignet.
Eine scharfe Dialektik spricht aus jeder seiner Äußerungen. Als
theologischer Schriftsteller und Redner erscheint er uns zwar ohne
Tiefe und Wärme, aber auf seine Zeitgenossen machte der "Abra-
ham des Glaubens" durch seine Rhetorik doch einen tiefen Ein-
druck. Unübertrefflich aber war er als Jurist. Indem er einen
großen Teil seines Lebens der persönlichen Rechtsprechung widmete,
wurde das päpstliche Tribunal unter ihm in Wahrheit zu einem
Richterstuhl für ganz Europa, vor dem man in rechtlichen und
sittlichen Fragen aller Art die vielbewunderten Entscheidungen des
"andern Salomo" erwartete.

Für Innozenz selbst waren solche Vergleiche1) kaum zu hoch
gegriffen. Er war daran gewöhnt, daß man ihm einen unmittel-
baren Verkehr mit Gott zuschrieb. Vom ersten Tage seiner Amts-
führung an hatte er sich ganz mit den hohen Vorstellungen erfüllt,
die seit den Zeiten Nikolaus' I. und Gregors VII. mit seiner Würde
verknüpft waren, und fühlte sich als die Verkörperung der hier-
archischen Idee. Als Mittler stand er zwischen Gott und Menschen,
"weniger als Gott, mehr als Mensch", nicht mehr ein bloßer
Stellvertreter des Apostels, sondern Christi selbst. Die Anekdote,
nach der er sich einmal den im Lateran bewahrten ungenähten
Rock des Herrn angelegt habe, um festzustellen, ob jener nicht
kleiner gewesen sei, als er selbst2), ironisiert die tatsächlichen An-
sprüche des Papstes. Diese aber bezogen sich nicht nur auf das
Mittleramt zwischen Diesseits und Jenseits, sondern im allerweitesten
Umfange auch auf die Herrschaft dieser Welt. Hier trat er ganz
in den Ideenkreis Gregors VII. ein und wußte die Überlegenheit
des Priestertums über das Königtum, die Überordnung des Papstes
über alle Fürsten der Welt in immer neuen Wendungen mit dem

1) Vgl. Histor. Viertelj. 8, 509 ff.
2) Salimbene M. G. SS. XXXII, 31.

Die Zeit der Staufer.
schaft gezogenen Umgebung. Die ungeheuren Anstrengungen, die
er seinem Körper zumutete, untergruben allmählich seine Gesund-
heit; wie der Vogel zum Fliegen, so meinte er, sei der Mensch
dazu geschaffen, Mühsal zu ertragen. Und diese stete Rastlosigkeit
eines vernunftbeherrschten Schaffens ist für ihn so bezeichnend, wie
für Gregor VII. die stoßweis hastende, dämonische Leidenschaftlich-
keit. Seine Natur barg nicht unerforschliche Abgründe und über-
raschte nicht durch Blitze blendender Genialität, aber sie wußte viel-
leicht ebendeshalb umso besser ihr Lebenswerk vor Klippen und
Schiffbruch zu sichern.

Die scholastische Universitätsbildung seiner Zeit hatte sich
Innozenz in einem seltenen Grade der Vollkommenheit angeeignet.
Eine scharfe Dialektik spricht aus jeder seiner Äußerungen. Als
theologischer Schriftsteller und Redner erscheint er uns zwar ohne
Tiefe und Wärme, aber auf seine Zeitgenossen machte der „Abra-
ham des Glaubens“ durch seine Rhetorik doch einen tiefen Ein-
druck. Unübertrefflich aber war er als Jurist. Indem er einen
großen Teil seines Lebens der persönlichen Rechtsprechung widmete,
wurde das päpstliche Tribunal unter ihm in Wahrheit zu einem
Richterstuhl für ganz Europa, vor dem man in rechtlichen und
sittlichen Fragen aller Art die vielbewunderten Entscheidungen des
„andern Salomo“ erwartete.

Für Innozenz selbst waren solche Vergleiche1) kaum zu hoch
gegriffen. Er war daran gewöhnt, daß man ihm einen unmittel-
baren Verkehr mit Gott zuschrieb. Vom ersten Tage seiner Amts-
führung an hatte er sich ganz mit den hohen Vorstellungen erfüllt,
die seit den Zeiten Nikolaus' I. und Gregors VII. mit seiner Würde
verknüpft waren, und fühlte sich als die Verkörperung der hier-
archischen Idee. Als Mittler stand er zwischen Gott und Menschen,
„weniger als Gott, mehr als Mensch“, nicht mehr ein bloßer
Stellvertreter des Apostels, sondern Christi selbst. Die Anekdote,
nach der er sich einmal den im Lateran bewahrten ungenähten
Rock des Herrn angelegt habe, um festzustellen, ob jener nicht
kleiner gewesen sei, als er selbst2), ironisiert die tatsächlichen An-
sprüche des Papstes. Diese aber bezogen sich nicht nur auf das
Mittleramt zwischen Diesseits und Jenseits, sondern im allerweitesten
Umfange auch auf die Herrschaft dieser Welt. Hier trat er ganz
in den Ideenkreis Gregors VII. ein und wußte die Überlegenheit
des Priestertums über das Königtum, die Überordnung des Papstes
über alle Fürsten der Welt in immer neuen Wendungen mit dem

1) Vgl. Histor. Viertelj. 8, 509 ff.
2) Salimbene M. G. SS. XXXII, 31.
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[184/0192] Die Zeit der Staufer. schaft gezogenen Umgebung. Die ungeheuren Anstrengungen, die er seinem Körper zumutete, untergruben allmählich seine Gesund- heit; wie der Vogel zum Fliegen, so meinte er, sei der Mensch dazu geschaffen, Mühsal zu ertragen. Und diese stete Rastlosigkeit eines vernunftbeherrschten Schaffens ist für ihn so bezeichnend, wie für Gregor VII. die stoßweis hastende, dämonische Leidenschaftlich- keit. Seine Natur barg nicht unerforschliche Abgründe und über- raschte nicht durch Blitze blendender Genialität, aber sie wußte viel- leicht ebendeshalb umso besser ihr Lebenswerk vor Klippen und Schiffbruch zu sichern. Die scholastische Universitätsbildung seiner Zeit hatte sich Innozenz in einem seltenen Grade der Vollkommenheit angeeignet. Eine scharfe Dialektik spricht aus jeder seiner Äußerungen. Als theologischer Schriftsteller und Redner erscheint er uns zwar ohne Tiefe und Wärme, aber auf seine Zeitgenossen machte der „Abra- ham des Glaubens“ durch seine Rhetorik doch einen tiefen Ein- druck. Unübertrefflich aber war er als Jurist. Indem er einen großen Teil seines Lebens der persönlichen Rechtsprechung widmete, wurde das päpstliche Tribunal unter ihm in Wahrheit zu einem Richterstuhl für ganz Europa, vor dem man in rechtlichen und sittlichen Fragen aller Art die vielbewunderten Entscheidungen des „andern Salomo“ erwartete. Für Innozenz selbst waren solche Vergleiche 1) kaum zu hoch gegriffen. Er war daran gewöhnt, daß man ihm einen unmittel- baren Verkehr mit Gott zuschrieb. Vom ersten Tage seiner Amts- führung an hatte er sich ganz mit den hohen Vorstellungen erfüllt, die seit den Zeiten Nikolaus' I. und Gregors VII. mit seiner Würde verknüpft waren, und fühlte sich als die Verkörperung der hier- archischen Idee. Als Mittler stand er zwischen Gott und Menschen, „weniger als Gott, mehr als Mensch“, nicht mehr ein bloßer Stellvertreter des Apostels, sondern Christi selbst. Die Anekdote, nach der er sich einmal den im Lateran bewahrten ungenähten Rock des Herrn angelegt habe, um festzustellen, ob jener nicht kleiner gewesen sei, als er selbst 2), ironisiert die tatsächlichen An- sprüche des Papstes. Diese aber bezogen sich nicht nur auf das Mittleramt zwischen Diesseits und Jenseits, sondern im allerweitesten Umfange auch auf die Herrschaft dieser Welt. Hier trat er ganz in den Ideenkreis Gregors VII. ein und wußte die Überlegenheit des Priestertums über das Königtum, die Überordnung des Papstes über alle Fürsten der Welt in immer neuen Wendungen mit dem 1) Vgl. Histor. Viertelj. 8, 509 ff. 2) Salimbene M. G. SS. XXXII, 31.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/192>, abgerufen am 06.05.2024.