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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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Die Zeit der Staufer.
ihre Unabhängigkeit auf eine selbständige Machtgrundlage zu stellen.
Im Schoße der Kurie hatte man schon in den Tagen der Ohn-
macht unter Coelestin III. durch eine Sammlung der wirtschaftlichen
und politischen Rechte und Ansprüche des Papsttums die künftige
Erhebung vorbereitet. Man hatte aus den alten Privilegien der
Kaiser jene umfassenden karolingischen Versprechungen hervorge-
holt, die da widerspruchsvoll genug neben den späteren beschränkten
und sie ersetzenden Schenkungen standen und daraus für den Aus-
bau des Kirchenstaats die weitesten Folgerungen gezogen. Wenn
schon ein so maßvoller Verwaltungsmann wie der Kämmerer Cen-
cius in dem großen, 1192 angelegten Zinsbuche der römischen
Kirche bemerkte, zum Patrimonium Petri gehörten eigentlich einige
vollständige Herzogtümer und Markgrafschaften, so formten sich
solche Ansprüche in dem Kopfe eines Innozenz schon damals zum
Programm. Aus der höchsten Bedrängnis erwuchsen, wie um die Mitte
des achten Jahrhunderts, die kühnsten Forderungen. Gleichwohl
ist es wenig wahrscheinlich, daß man sie schon dem gewaltigen
Kaiser gegenüber zu erheben wagte, und es darf keineswegs für
sicher gelten, daß Heinrich selbst in seinem Testamente Zuge-
ständnisse gemacht habe, die diesen Wünschen begegneten. Wohl
hat er auf seinem Sterbebette voll Sorge in die Zukunft geschaut
und, wie es scheint, in seinem letzten Willen der Kurie weitgehende
Anerbietungen für die Anerkennung seines Sohnes als Kaiser und
König von Sizilien, also für die Aufrechterhaltung der Union jener
beiden Reiche gemacht; die sizilische Lehensfrage sollte befriedigend
und für den Papst recht vorteilhaft geregelt, das Patrimonium Petri
und die vielumstrittenen mathildischen Eigengüter ihm herausgegeben
werden. Ob aber auch auf den größten Teil Mittelitaliens zu seinen
Gunsten verzichtet werden sollte, scheint mehr als zweifelhaft. 1) Mag
indessen das uns überlieferte Bruchstück jenes Testaments echt, ge-
fälscht oder verunechtet sein, eine tatsächliche Wirkung hat es kaum

1) Wir haben es hier mit einer der schwierigsten Fragen der mittel-
alterlichen Geschichtsforschung zu tun, bei deren Lösung mangels ausreichender
Quellen dem subjektiven Gefühl ein breiter Spielraum bleibt. Sind die An-
gaben der Gesta Innocentii, die allein ein angebliches Bruchstück des Testa-
ments bringen, richtig, so wurde es erst nach der Schlacht bei Monreale
(1200) von den Päpstlichen in dem Gepäck des zum Vollstrecker bestimmten
Markward v. Anweiler erbeutet. Die heute herrschende Meinung hält im
Anschluß an die Ausführungen v. Winkelmann (zuletzt in seinem Philipp S. 483 ff.)
das ganze Fragment für echt. Abgesehen von den obigen Bestimmungen hätte
danach Markward v. Anweiler seine mittelitalischen Gebiete, insbesondere die
Mark Ancona und das den Reichsbesitz in der Romagna umfassende Herzogtum
Ravenna vom Papste zu Lehen nehmen sollen, und in diesem Falle wäre das
Fragment wohl durch eine ähnliche Bestimmung über das Herzogtum Spoleto
zu ergänzen, das die notwendige Verbindung zwischen dem Patrimonium und

Die Zeit der Staufer.
ihre Unabhängigkeit auf eine selbständige Machtgrundlage zu stellen.
Im Schoße der Kurie hatte man schon in den Tagen der Ohn-
macht unter Coelestin III. durch eine Sammlung der wirtschaftlichen
und politischen Rechte und Ansprüche des Papsttums die künftige
Erhebung vorbereitet. Man hatte aus den alten Privilegien der
Kaiser jene umfassenden karolingischen Versprechungen hervorge-
holt, die da widerspruchsvoll genug neben den späteren beschränkten
und sie ersetzenden Schenkungen standen und daraus für den Aus-
bau des Kirchenstaats die weitesten Folgerungen gezogen. Wenn
schon ein so maßvoller Verwaltungsmann wie der Kämmerer Cen-
cius in dem großen, 1192 angelegten Zinsbuche der römischen
Kirche bemerkte, zum Patrimonium Petri gehörten eigentlich einige
vollständige Herzogtümer und Markgrafschaften, so formten sich
solche Ansprüche in dem Kopfe eines Innozenz schon damals zum
Programm. Aus der höchsten Bedrängnis erwuchsen, wie um die Mitte
des achten Jahrhunderts, die kühnsten Forderungen. Gleichwohl
ist es wenig wahrscheinlich, daß man sie schon dem gewaltigen
Kaiser gegenüber zu erheben wagte, und es darf keineswegs für
sicher gelten, daß Heinrich selbst in seinem Testamente Zuge-
ständnisse gemacht habe, die diesen Wünschen begegneten. Wohl
hat er auf seinem Sterbebette voll Sorge in die Zukunft geschaut
und, wie es scheint, in seinem letzten Willen der Kurie weitgehende
Anerbietungen für die Anerkennung seines Sohnes als Kaiser und
König von Sizilien, also für die Aufrechterhaltung der Union jener
beiden Reiche gemacht; die sizilische Lehensfrage sollte befriedigend
und für den Papst recht vorteilhaft geregelt, das Patrimonium Petri
und die vielumstrittenen mathildischen Eigengüter ihm herausgegeben
werden. Ob aber auch auf den größten Teil Mittelitaliens zu seinen
Gunsten verzichtet werden sollte, scheint mehr als zweifelhaft. 1) Mag
indessen das uns überlieferte Bruchstück jenes Testaments echt, ge-
fälscht oder verunechtet sein, eine tatsächliche Wirkung hat es kaum

1) Wir haben es hier mit einer der schwierigsten Fragen der mittel-
alterlichen Geschichtsforschung zu tun, bei deren Lösung mangels ausreichender
Quellen dem subjektiven Gefühl ein breiter Spielraum bleibt. Sind die An-
gaben der Gesta Innocentii, die allein ein angebliches Bruchstück des Testa-
ments bringen, richtig, so wurde es erst nach der Schlacht bei Monreale
(1200) von den Päpstlichen in dem Gepäck des zum Vollstrecker bestimmten
Markward v. Anweiler erbeutet. Die heute herrschende Meinung hält im
Anschluß an die Ausführungen v. Winkelmann (zuletzt in seinem Philipp S. 483 ff.)
das ganze Fragment für echt. Abgesehen von den obigen Bestimmungen hätte
danach Markward v. Anweiler seine mittelitalischen Gebiete, insbesondere die
Mark Ancona und das den Reichsbesitz in der Romagna umfassende Herzogtum
Ravenna vom Papste zu Lehen nehmen sollen, und in diesem Falle wäre das
Fragment wohl durch eine ähnliche Bestimmung über das Herzogtum Spoleto
zu ergänzen, das die notwendige Verbindung zwischen dem Patrimonium und
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[186/0194] Die Zeit der Staufer. ihre Unabhängigkeit auf eine selbständige Machtgrundlage zu stellen. Im Schoße der Kurie hatte man schon in den Tagen der Ohn- macht unter Coelestin III. durch eine Sammlung der wirtschaftlichen und politischen Rechte und Ansprüche des Papsttums die künftige Erhebung vorbereitet. Man hatte aus den alten Privilegien der Kaiser jene umfassenden karolingischen Versprechungen hervorge- holt, die da widerspruchsvoll genug neben den späteren beschränkten und sie ersetzenden Schenkungen standen und daraus für den Aus- bau des Kirchenstaats die weitesten Folgerungen gezogen. Wenn schon ein so maßvoller Verwaltungsmann wie der Kämmerer Cen- cius in dem großen, 1192 angelegten Zinsbuche der römischen Kirche bemerkte, zum Patrimonium Petri gehörten eigentlich einige vollständige Herzogtümer und Markgrafschaften, so formten sich solche Ansprüche in dem Kopfe eines Innozenz schon damals zum Programm. Aus der höchsten Bedrängnis erwuchsen, wie um die Mitte des achten Jahrhunderts, die kühnsten Forderungen. Gleichwohl ist es wenig wahrscheinlich, daß man sie schon dem gewaltigen Kaiser gegenüber zu erheben wagte, und es darf keineswegs für sicher gelten, daß Heinrich selbst in seinem Testamente Zuge- ständnisse gemacht habe, die diesen Wünschen begegneten. Wohl hat er auf seinem Sterbebette voll Sorge in die Zukunft geschaut und, wie es scheint, in seinem letzten Willen der Kurie weitgehende Anerbietungen für die Anerkennung seines Sohnes als Kaiser und König von Sizilien, also für die Aufrechterhaltung der Union jener beiden Reiche gemacht; die sizilische Lehensfrage sollte befriedigend und für den Papst recht vorteilhaft geregelt, das Patrimonium Petri und die vielumstrittenen mathildischen Eigengüter ihm herausgegeben werden. Ob aber auch auf den größten Teil Mittelitaliens zu seinen Gunsten verzichtet werden sollte, scheint mehr als zweifelhaft. 1) Mag indessen das uns überlieferte Bruchstück jenes Testaments echt, ge- fälscht oder verunechtet sein, eine tatsächliche Wirkung hat es kaum 1) Wir haben es hier mit einer der schwierigsten Fragen der mittel- alterlichen Geschichtsforschung zu tun, bei deren Lösung mangels ausreichender Quellen dem subjektiven Gefühl ein breiter Spielraum bleibt. Sind die An- gaben der Gesta Innocentii, die allein ein angebliches Bruchstück des Testa- ments bringen, richtig, so wurde es erst nach der Schlacht bei Monreale (1200) von den Päpstlichen in dem Gepäck des zum Vollstrecker bestimmten Markward v. Anweiler erbeutet. Die heute herrschende Meinung hält im Anschluß an die Ausführungen v. Winkelmann (zuletzt in seinem Philipp S. 483 ff.) das ganze Fragment für echt. Abgesehen von den obigen Bestimmungen hätte danach Markward v. Anweiler seine mittelitalischen Gebiete, insbesondere die Mark Ancona und das den Reichsbesitz in der Romagna umfassende Herzogtum Ravenna vom Papste zu Lehen nehmen sollen, und in diesem Falle wäre das Fragment wohl durch eine ähnliche Bestimmung über das Herzogtum Spoleto zu ergänzen, das die notwendige Verbindung zwischen dem Patrimonium und

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/194>, abgerufen am 07.05.2024.