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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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Die Zeit der Staufer.
einen zweiten Moses nur ein unzeitiger Tod gerissen, und dieser
Tod selbst in der märchenhaften Ferne des Orients, in begeisterter
Hingabe an eine große Idee umgab sein Haupt mit romantischem
Schimmer.

Die Erinnerung an ihn ist im deutschen Volke nie erloschen,
aber die nationalen Regungen, die heute bei dem Klange des
Namens Barbarossa in Schwingung geraten, erklären sich doch nur
durch die späte Verknüpfung seiner Person mit der Sage von dem
heimlichen und dereinst wiederkehrenden deutschen Kaiser. Erst
durch Rückerts Gedicht (1813) ist er da in der Volksphantasie an
die Stelle seines Enkels Friedrich II. getreten, und ein halbes Jahr-
hundert der Sehnsucht nach dem neuen deutschen Einheitsreiche
hat die Verbindung seines Namens mit der Kaisersage unlöslich
gemacht. Noch nach dem glorreichen Wiedererstehen der alten
Reichsherrlichkeit in neuer Form hat man, wenn auch ver-
geblich, in Syrien nach seinen Gebeinen gesucht, um sie als ein
vaterländisches Heiligtum auf deutschen Boden zu überführen.1)
Inzwischen hat gelehrte Forschung2) die alte Sage in ihrer ur-
sprünglichen Gestalt aus der modernen Umdichtung herausgeschält.
Aber die auf einen engen Kreis beschränkte Erkenntnis wird schwer-
lich in der breiten Volksvorstellung den freien Strom der Sagen-
bildung zurückdämmen. Auch tut das nicht not, denn die Phan-
tasie hat hier das Vorrecht vor dem Verstande; sie aber hat mit
richtigem Gefühl die vaterländischen Hoffnungen verknüpft nicht
mit der Person des halbsizilianischen Enkels, sondern mit der echt-
deutschen Heldengestalt Barbarossas.

§ 14. Heinrich VI. (1190-1197).

Seltsam hebt sich die Persönlichkeit Heinrichs VI.3) ab von
der des Vaters, neben dem jugendfrischen Greise der frühgereifte
Jüngling, neben dem Helden die Charakterfigur! Von Friedrich

1) Vergl. Scheffer-Boichorsts kritische Auseinandersetzung, Schriften II,
154 ff.
2) Ich weise neben den älteren Forschungen von G. Voigt und Riezler,
v. Bezold und R. Schröder hier nur hin auf die zusammenfassende Dar-
stellung der deutschen Kaisersage von Kampers, Die deutsche Kaiseridee in
Prophetie u. Sage 1896.
3) Die frühere Beurteilung Heinrichs als Tyrannen schlechthin, wie sie
etwa noch bei Gregorovius fortlebt, ist schon durch Abel, König Philipp der
Hohenstaufe (1852) beseitigt. Toeche, Jahrb. d. d. Gesch.: Kaiser H. VI.
(1867) hat sich dann durch die nahezu vollständige Zusammentragung und
Verwertung des Quellenstoffes und eine schwungvolle Darstellung um die Ge-
schichte Heinrichs große Verdienste erworben, doch genügt der kritische

Die Zeit der Staufer.
einen zweiten Moses nur ein unzeitiger Tod gerissen, und dieser
Tod selbst in der märchenhaften Ferne des Orients, in begeisterter
Hingabe an eine große Idee umgab sein Haupt mit romantischem
Schimmer.

Die Erinnerung an ihn ist im deutschen Volke nie erloschen,
aber die nationalen Regungen, die heute bei dem Klange des
Namens Barbarossa in Schwingung geraten, erklären sich doch nur
durch die späte Verknüpfung seiner Person mit der Sage von dem
heimlichen und dereinst wiederkehrenden deutschen Kaiser. Erst
durch Rückerts Gedicht (1813) ist er da in der Volksphantasie an
die Stelle seines Enkels Friedrich II. getreten, und ein halbes Jahr-
hundert der Sehnsucht nach dem neuen deutschen Einheitsreiche
hat die Verbindung seines Namens mit der Kaisersage unlöslich
gemacht. Noch nach dem glorreichen Wiedererstehen der alten
Reichsherrlichkeit in neuer Form hat man, wenn auch ver-
geblich, in Syrien nach seinen Gebeinen gesucht, um sie als ein
vaterländisches Heiligtum auf deutschen Boden zu überführen.1)
Inzwischen hat gelehrte Forschung2) die alte Sage in ihrer ur-
sprünglichen Gestalt aus der modernen Umdichtung herausgeschält.
Aber die auf einen engen Kreis beschränkte Erkenntnis wird schwer-
lich in der breiten Volksvorstellung den freien Strom der Sagen-
bildung zurückdämmen. Auch tut das nicht not, denn die Phan-
tasie hat hier das Vorrecht vor dem Verstande; sie aber hat mit
richtigem Gefühl die vaterländischen Hoffnungen verknüpft nicht
mit der Person des halbsizilianischen Enkels, sondern mit der echt-
deutschen Heldengestalt Barbarossas.

§ 14. Heinrich VI. (1190‒1197).

Seltsam hebt sich die Persönlichkeit Heinrichs VI.3) ab von
der des Vaters, neben dem jugendfrischen Greise der frühgereifte
Jüngling, neben dem Helden die Charakterfigur! Von Friedrich

1) Vergl. Scheffer-Boichorsts kritische Auseinandersetzung, Schriften II,
154 ff.
2) Ich weise neben den älteren Forschungen von G. Voigt und Riezler,
v. Bezold und R. Schröder hier nur hin auf die zusammenfassende Dar-
stellung der deutschen Kaisersage von Kampers, Die deutsche Kaiseridee in
Prophetie u. Sage 1896.
3) Die frühere Beurteilung Heinrichs als Tyrannen schlechthin, wie sie
etwa noch bei Gregorovius fortlebt, ist schon durch Abel, König Philipp der
Hohenstaufe (1852) beseitigt. Toeche, Jahrb. d. d. Gesch.: Kaiser H. VI.
(1867) hat sich dann durch die nahezu vollständige Zusammentragung und
Verwertung des Quellenstoffes und eine schwungvolle Darstellung um die Ge-
schichte Heinrichs große Verdienste erworben, doch genügt der kritische
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[172/0180] Die Zeit der Staufer. einen zweiten Moses nur ein unzeitiger Tod gerissen, und dieser Tod selbst in der märchenhaften Ferne des Orients, in begeisterter Hingabe an eine große Idee umgab sein Haupt mit romantischem Schimmer. Die Erinnerung an ihn ist im deutschen Volke nie erloschen, aber die nationalen Regungen, die heute bei dem Klange des Namens Barbarossa in Schwingung geraten, erklären sich doch nur durch die späte Verknüpfung seiner Person mit der Sage von dem heimlichen und dereinst wiederkehrenden deutschen Kaiser. Erst durch Rückerts Gedicht (1813) ist er da in der Volksphantasie an die Stelle seines Enkels Friedrich II. getreten, und ein halbes Jahr- hundert der Sehnsucht nach dem neuen deutschen Einheitsreiche hat die Verbindung seines Namens mit der Kaisersage unlöslich gemacht. Noch nach dem glorreichen Wiedererstehen der alten Reichsherrlichkeit in neuer Form hat man, wenn auch ver- geblich, in Syrien nach seinen Gebeinen gesucht, um sie als ein vaterländisches Heiligtum auf deutschen Boden zu überführen. 1) Inzwischen hat gelehrte Forschung 2) die alte Sage in ihrer ur- sprünglichen Gestalt aus der modernen Umdichtung herausgeschält. Aber die auf einen engen Kreis beschränkte Erkenntnis wird schwer- lich in der breiten Volksvorstellung den freien Strom der Sagen- bildung zurückdämmen. Auch tut das nicht not, denn die Phan- tasie hat hier das Vorrecht vor dem Verstande; sie aber hat mit richtigem Gefühl die vaterländischen Hoffnungen verknüpft nicht mit der Person des halbsizilianischen Enkels, sondern mit der echt- deutschen Heldengestalt Barbarossas. § 14. Heinrich VI. (1190‒1197). Seltsam hebt sich die Persönlichkeit Heinrichs VI. 3) ab von der des Vaters, neben dem jugendfrischen Greise der frühgereifte Jüngling, neben dem Helden die Charakterfigur! Von Friedrich 1) Vergl. Scheffer-Boichorsts kritische Auseinandersetzung, Schriften II, 154 ff. 2) Ich weise neben den älteren Forschungen von G. Voigt und Riezler, v. Bezold und R. Schröder hier nur hin auf die zusammenfassende Dar- stellung der deutschen Kaisersage von Kampers, Die deutsche Kaiseridee in Prophetie u. Sage 1896. 3) Die frühere Beurteilung Heinrichs als Tyrannen schlechthin, wie sie etwa noch bei Gregorovius fortlebt, ist schon durch Abel, König Philipp der Hohenstaufe (1852) beseitigt. Toeche, Jahrb. d. d. Gesch.: Kaiser H. VI. (1867) hat sich dann durch die nahezu vollständige Zusammentragung und Verwertung des Quellenstoffes und eine schwungvolle Darstellung um die Ge- schichte Heinrichs große Verdienste erworben, doch genügt der kritische

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/180>, abgerufen am 26.11.2024.