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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 14. Heinrich VI. (1190-1197).
zeitig in die große Politik eingeführt und selbständig mit wichtigen
Aufgaben betraut, zum Mitregenten erhoben und zuletzt als Ver-
treter im Abendlande zurückgelassen, tritt er uns jetzt mit seinen
25 Jahren als ein völlig Fertiger entgegen. Der magere, schwäch-
liche Körper, das bleiche, ernste, fast bartlose Antlitz, das ganz
von der mächtigen Stirn beherrscht wird, verrät die Gedankenarbeit
des Staatsmannes, nicht die Faustkraft des Kriegers. In der Tat
ist von dem reicheren, harmonischeren Wesen des Vaters hier nur
eine Seite in großartiger Steigerung auf Kosten aller anderen Eigen-
schaften entwickelt: der Sinn für Macht und die Kunst staats-
männischen Handelns. Wenn die kurze Regierungszeit einen voll-
gültigen Schluß gestattet, ist die Fähigkeit, die politischen Gelegen-
heiten beim Schopfe zu fassen, die Mittel haarscharf abzumessen,
die größten Wirkungen mit dem geringsten Einsatz zu erreichen,
aber die letzten Ziele nur um so weiter zu stecken, vielleicht nie-
mals einem mittelalterlichen deutschen Herrscher in solchem Grade
zu eigen gewesen, wie Heinrich VI., der auch die in gewisser Hin-
sicht wesensverwandte, aber kleinere und unedlere Natur Heinrichs V.
weit hinter sich läßt. Ein glühender Ehrgeiz, "das Reich noch
größer und mächtiger als unter seinen Vorgängern zu gestalten,"
trieb ihn vorwärts, verscheuchte ihm Ruhe und Genuß, machte ihn
unliebenswürdig, streng und, soweit es seinen Zwecken frommte,
auch rücksichtslos, grausam, für Gefühlswerte unzugänglich. Ohne
den ritterlichen Sinn, das gerechte Maßhalten und die sittliche
Größe des Vaters, von keinem ebenbürtigen Gegner in Schranken
gewiesen, umspannte sein Herrschergeist immer weitere Kreise der
Weltpolitik, bis ihn ein früher Tod aus der Bahn seiner Erfolge riß.

Der Reichtum der sizilischen Erbschaft war für die Staufer,
was der Nibelungenhort für die alten Sagenhelden; er lockte und
bannte ihr Sinnen und Trachten und ward schließlich zu ihrem
und Deutschlands Verhängnis. Auch die Politik Heinrichs VI. war
in viel höherem Maße, als man früher meinte, von der Rücksicht
auf Gewinnung und Sicherung Siziliens beherrscht, und selbst die
imperialistischen Bestrebungen seiner letzten Jahre trugen einen
starken Einschlag normannisch-sizilischer Tendenzen.

Unterbau nicht allen Anforderungen, und die Auffassung ist noch mehr ro-
mantisch als realistisch. Die für alle Abschnitte nötige Nachprüfung ist für
einzelne bereits geleistet, namentlich durch die scharfsinnigen Untersuchungen
von H. Bloch, Forsch. z. Politik Kaiser H. VI. 1191-94 (Berl. Diss. 1892).
Für Einzelheiten brauchbar auch Ottendorffs Bonn. Diss. über die beiden
letzten Normannenkönige 1899 und Is. Caro's Rost. Diss. über H.s Beziehungen
z. Kurie 1902. Leider gestattet das verhältnismäßig dürftige Quellenmaterial,
namentlich an Urkunden und Briefen, vielfach keine gesicherte Erkenntnis;
doch stehen die Hauptzüge hinlänglich fest.

§ 14. Heinrich VI. (1190‒1197).
zeitig in die große Politik eingeführt und selbständig mit wichtigen
Aufgaben betraut, zum Mitregenten erhoben und zuletzt als Ver-
treter im Abendlande zurückgelassen, tritt er uns jetzt mit seinen
25 Jahren als ein völlig Fertiger entgegen. Der magere, schwäch-
liche Körper, das bleiche, ernste, fast bartlose Antlitz, das ganz
von der mächtigen Stirn beherrscht wird, verrät die Gedankenarbeit
des Staatsmannes, nicht die Faustkraft des Kriegers. In der Tat
ist von dem reicheren, harmonischeren Wesen des Vaters hier nur
eine Seite in großartiger Steigerung auf Kosten aller anderen Eigen-
schaften entwickelt: der Sinn für Macht und die Kunst staats-
männischen Handelns. Wenn die kurze Regierungszeit einen voll-
gültigen Schluß gestattet, ist die Fähigkeit, die politischen Gelegen-
heiten beim Schopfe zu fassen, die Mittel haarscharf abzumessen,
die größten Wirkungen mit dem geringsten Einsatz zu erreichen,
aber die letzten Ziele nur um so weiter zu stecken, vielleicht nie-
mals einem mittelalterlichen deutschen Herrscher in solchem Grade
zu eigen gewesen, wie Heinrich VI., der auch die in gewisser Hin-
sicht wesensverwandte, aber kleinere und unedlere Natur Heinrichs V.
weit hinter sich läßt. Ein glühender Ehrgeiz, „das Reich noch
größer und mächtiger als unter seinen Vorgängern zu gestalten,“
trieb ihn vorwärts, verscheuchte ihm Ruhe und Genuß, machte ihn
unliebenswürdig, streng und, soweit es seinen Zwecken frommte,
auch rücksichtslos, grausam, für Gefühlswerte unzugänglich. Ohne
den ritterlichen Sinn, das gerechte Maßhalten und die sittliche
Größe des Vaters, von keinem ebenbürtigen Gegner in Schranken
gewiesen, umspannte sein Herrschergeist immer weitere Kreise der
Weltpolitik, bis ihn ein früher Tod aus der Bahn seiner Erfolge riß.

Der Reichtum der sizilischen Erbschaft war für die Staufer,
was der Nibelungenhort für die alten Sagenhelden; er lockte und
bannte ihr Sinnen und Trachten und ward schließlich zu ihrem
und Deutschlands Verhängnis. Auch die Politik Heinrichs VI. war
in viel höherem Maße, als man früher meinte, von der Rücksicht
auf Gewinnung und Sicherung Siziliens beherrscht, und selbst die
imperialistischen Bestrebungen seiner letzten Jahre trugen einen
starken Einschlag normannisch-sizilischer Tendenzen.

Unterbau nicht allen Anforderungen, und die Auffassung ist noch mehr ro-
mantisch als realistisch. Die für alle Abschnitte nötige Nachprüfung ist für
einzelne bereits geleistet, namentlich durch die scharfsinnigen Untersuchungen
von H. Bloch, Forsch. z. Politik Kaiser H. VI. 1191‒94 (Berl. Diss. 1892).
Für Einzelheiten brauchbar auch Ottendorffs Bonn. Diss. über die beiden
letzten Normannenkönige 1899 und Is. Caro's Rost. Diss. über H.s Beziehungen
z. Kurie 1902. Leider gestattet das verhältnismäßig dürftige Quellenmaterial,
namentlich an Urkunden und Briefen, vielfach keine gesicherte Erkenntnis;
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[173/0181] § 14. Heinrich VI. (1190‒1197). zeitig in die große Politik eingeführt und selbständig mit wichtigen Aufgaben betraut, zum Mitregenten erhoben und zuletzt als Ver- treter im Abendlande zurückgelassen, tritt er uns jetzt mit seinen 25 Jahren als ein völlig Fertiger entgegen. Der magere, schwäch- liche Körper, das bleiche, ernste, fast bartlose Antlitz, das ganz von der mächtigen Stirn beherrscht wird, verrät die Gedankenarbeit des Staatsmannes, nicht die Faustkraft des Kriegers. In der Tat ist von dem reicheren, harmonischeren Wesen des Vaters hier nur eine Seite in großartiger Steigerung auf Kosten aller anderen Eigen- schaften entwickelt: der Sinn für Macht und die Kunst staats- männischen Handelns. Wenn die kurze Regierungszeit einen voll- gültigen Schluß gestattet, ist die Fähigkeit, die politischen Gelegen- heiten beim Schopfe zu fassen, die Mittel haarscharf abzumessen, die größten Wirkungen mit dem geringsten Einsatz zu erreichen, aber die letzten Ziele nur um so weiter zu stecken, vielleicht nie- mals einem mittelalterlichen deutschen Herrscher in solchem Grade zu eigen gewesen, wie Heinrich VI., der auch die in gewisser Hin- sicht wesensverwandte, aber kleinere und unedlere Natur Heinrichs V. weit hinter sich läßt. Ein glühender Ehrgeiz, „das Reich noch größer und mächtiger als unter seinen Vorgängern zu gestalten,“ trieb ihn vorwärts, verscheuchte ihm Ruhe und Genuß, machte ihn unliebenswürdig, streng und, soweit es seinen Zwecken frommte, auch rücksichtslos, grausam, für Gefühlswerte unzugänglich. Ohne den ritterlichen Sinn, das gerechte Maßhalten und die sittliche Größe des Vaters, von keinem ebenbürtigen Gegner in Schranken gewiesen, umspannte sein Herrschergeist immer weitere Kreise der Weltpolitik, bis ihn ein früher Tod aus der Bahn seiner Erfolge riß. Der Reichtum der sizilischen Erbschaft war für die Staufer, was der Nibelungenhort für die alten Sagenhelden; er lockte und bannte ihr Sinnen und Trachten und ward schließlich zu ihrem und Deutschlands Verhängnis. Auch die Politik Heinrichs VI. war in viel höherem Maße, als man früher meinte, von der Rücksicht auf Gewinnung und Sicherung Siziliens beherrscht, und selbst die imperialistischen Bestrebungen seiner letzten Jahre trugen einen starken Einschlag normannisch-sizilischer Tendenzen. 3) 3) Unterbau nicht allen Anforderungen, und die Auffassung ist noch mehr ro- mantisch als realistisch. Die für alle Abschnitte nötige Nachprüfung ist für einzelne bereits geleistet, namentlich durch die scharfsinnigen Untersuchungen von H. Bloch, Forsch. z. Politik Kaiser H. VI. 1191‒94 (Berl. Diss. 1892). Für Einzelheiten brauchbar auch Ottendorffs Bonn. Diss. über die beiden letzten Normannenkönige 1899 und Is. Caro's Rost. Diss. über H.s Beziehungen z. Kurie 1902. Leider gestattet das verhältnismäßig dürftige Quellenmaterial, namentlich an Urkunden und Briefen, vielfach keine gesicherte Erkenntnis; doch stehen die Hauptzüge hinlänglich fest.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/181>, abgerufen am 07.05.2024.