Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
III. Abs. Der Zustand des Menschen.

Die Eingeweide wachsen an ihre Bekleidungen und
an die benachbarten Membranen ihre Säkke an: die
Gelenke werden steif (o), weil die Bänder zu Knochen
geworden; und weil sich der Knochensaft in die holen
Pfannen ergossen.

Die Greise kriechen ein, sie werden kleiner, ihr Rükk-
grad krümmt sich nach vornen über, theils weil die Mus-
keln des Rükkens schwach geworden, theils weil sich der
Knochensaft vorwärts zwischen die Körper der Wirbel-
beine ergießt, und mit ihnen zu einem Stükke wächst (p).
Die erst fetten Greise werden nunmehr mager, diese Ma-
gerkeit steigt bis auf den höchsten Punkt (q), ihre Knochen
werden fast um einen Zoll kürzer, und die Glieder al-
lenthalben kleiner. Sie können, weil die Zahnlükken ver-
schwinden (r), am Kinnbakken den Mund nicht wohl
verschliessen, und es hat selbst die Kraft der Muskeln,
so diesen aufheben müssen, so sehr gelitten, daß sie fast
in eins weg zu käuen scheinen, weil sie den, von selbst
sinkenden Kinnbakken nur mit Mühe in die Höhe ziehen.
Der aufsteigende Ast des Unterkinnbakkens wird zugleich
dünner und kürzer (r*). Der Mangel der Zähne macht
auch, daß sie wenig käuen, und ziemlich harte Speisen
ganz verschlukken, ob sie gleich schlecht durchgearbeitet
worden. Und wenn Greise, welche zuvor fleischig waren
(r**), nunmehr mager werden, so rührt es davon her,
daß sie weniger ernährt werden, und die Schweislöcher,
so das ausschwizzende Fett durchlassen sollen, verschlossen
sind.

End-
(o) [Spaltenumbruch] Alle Gelenke am Skelette
zusammen gewachsen. COLUMBUS
p.
264. So MEKEL Mem. de
l'Acad. de Berlin. T. XII. p.
50. 51.
(p) B. GENGA.
(q) Am Greise, aus Florida,
einem Eltervater von fünf Zeugun-
gen. HAWKLUYT Itin. T. III.
[Spaltenumbruch] p.
322. auch Thiere, zum Exem-
pel die Meerbären l. c.
(r) RUYSCH mus. p. 131.
(r*) Mem. de l'Acad. ann. 1758.
p.
431.
(r**) Am Greise von 130 Jah-
ren alt. Phil. trans. n. 130.
III. Abſ. Der Zuſtand des Menſchen.

Die Eingeweide wachſen an ihre Bekleidungen und
an die benachbarten Membranen ihre Saͤkke an: die
Gelenke werden ſteif (o), weil die Baͤnder zu Knochen
geworden; und weil ſich der Knochenſaft in die holen
Pfannen ergoſſen.

Die Greiſe kriechen ein, ſie werden kleiner, ihr Ruͤkk-
grad kruͤmmt ſich nach vornen uͤber, theils weil die Mus-
keln des Ruͤkkens ſchwach geworden, theils weil ſich der
Knochenſaft vorwaͤrts zwiſchen die Koͤrper der Wirbel-
beine ergießt, und mit ihnen zu einem Stuͤkke waͤchſt (p).
Die erſt fetten Greiſe werden nunmehr mager, dieſe Ma-
gerkeit ſteigt bis auf den hoͤchſten Punkt (q), ihre Knochen
werden faſt um einen Zoll kuͤrzer, und die Glieder al-
lenthalben kleiner. Sie koͤnnen, weil die Zahnluͤkken ver-
ſchwinden (r), am Kinnbakken den Mund nicht wohl
verſchlieſſen, und es hat ſelbſt die Kraft der Muskeln,
ſo dieſen aufheben muͤſſen, ſo ſehr gelitten, daß ſie faſt
in eins weg zu kaͤuen ſcheinen, weil ſie den, von ſelbſt
ſinkenden Kinnbakken nur mit Muͤhe in die Hoͤhe ziehen.
Der aufſteigende Aſt des Unterkinnbakkens wird zugleich
duͤnner und kuͤrzer (r*). Der Mangel der Zaͤhne macht
auch, daß ſie wenig kaͤuen, und ziemlich harte Speiſen
ganz verſchlukken, ob ſie gleich ſchlecht durchgearbeitet
worden. Und wenn Greiſe, welche zuvor fleiſchig waren
(r**), nunmehr mager werden, ſo ruͤhrt es davon her,
daß ſie weniger ernaͤhrt werden, und die Schweisloͤcher,
ſo das ausſchwizzende Fett durchlaſſen ſollen, verſchloſſen
ſind.

End-
(o) [Spaltenumbruch] Alle Gelenke am Skelette
zuſammen gewachſen. COLUMBUS
p.
264. So MEKEL Mem. de
l’Acad. de Berlin. T. XII. p.
50. 51.
(p) B. GENGA.
(q) Am Greiſe, aus Florida,
einem Eltervater von fuͤnf Zeugun-
gen. HAWKLUYT Itin. T. III.
[Spaltenumbruch] p.
322. auch Thiere, zum Exem-
pel die Meerbaͤren l. c.
(r) RUYSCH muſ. p. 131.
(r*) Mem. de l’Acad. ann. 1758.
p.
431.
(r**) Am Greiſe von 130 Jah-
ren alt. Phil. tranſ. n. 130.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0979" n="925[927]"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">III.</hi> Ab&#x017F;. Der Zu&#x017F;tand des Men&#x017F;chen.</hi> </fw><lb/>
              <p>Die Eingeweide wach&#x017F;en an ihre Bekleidungen und<lb/>
an die benachbarten Membranen ihre Sa&#x0364;kke an: die<lb/>
Gelenke werden &#x017F;teif <note place="foot" n="(o)"><cb/>
Alle Gelenke am Skelette<lb/>
zu&#x017F;ammen gewach&#x017F;en. <hi rendition="#aq">COLUMBUS<lb/>
p.</hi> 264. So <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">MEKEL</hi> Mem. de<lb/>
l&#x2019;Acad. de Berlin. T. XII. p.</hi> 50. 51.</note>, weil die Ba&#x0364;nder zu Knochen<lb/>
geworden; und weil &#x017F;ich der Knochen&#x017F;aft in die holen<lb/>
Pfannen ergo&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
              <p>Die Grei&#x017F;e kriechen ein, &#x017F;ie werden kleiner, ihr Ru&#x0364;kk-<lb/>
grad kru&#x0364;mmt &#x017F;ich nach vornen u&#x0364;ber, theils weil die Mus-<lb/>
keln des Ru&#x0364;kkens &#x017F;chwach geworden, theils weil &#x017F;ich der<lb/>
Knochen&#x017F;aft vorwa&#x0364;rts zwi&#x017F;chen die Ko&#x0364;rper der Wirbel-<lb/>
beine ergießt, und mit ihnen zu einem Stu&#x0364;kke wa&#x0364;ch&#x017F;t <note place="foot" n="(p)"><hi rendition="#aq">B. GENGA.</hi></note>.<lb/>
Die er&#x017F;t fetten Grei&#x017F;e werden nunmehr mager, die&#x017F;e Ma-<lb/>
gerkeit &#x017F;teigt bis auf den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Punkt <note place="foot" n="(q)">Am Grei&#x017F;e, aus Florida,<lb/>
einem Eltervater von fu&#x0364;nf Zeugun-<lb/>
gen. <hi rendition="#aq">HAWKLUYT Itin. T. III.<lb/><cb/>
p.</hi> 322. auch Thiere, zum Exem-<lb/>
pel die Meerba&#x0364;ren <hi rendition="#aq">l. c.</hi></note>, ihre Knochen<lb/>
werden fa&#x017F;t um einen Zoll ku&#x0364;rzer, und die Glieder al-<lb/>
lenthalben kleiner. Sie ko&#x0364;nnen, weil die Zahnlu&#x0364;kken ver-<lb/>
&#x017F;chwinden <note place="foot" n="(r)"><hi rendition="#aq">RUYSCH mu&#x017F;. p.</hi> 131.</note>, am Kinnbakken den Mund nicht wohl<lb/>
ver&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, und es hat &#x017F;elb&#x017F;t die Kraft der Muskeln,<lb/>
&#x017F;o die&#x017F;en aufheben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o &#x017F;ehr gelitten, daß &#x017F;ie fa&#x017F;t<lb/>
in eins weg zu ka&#x0364;uen &#x017F;cheinen, weil &#x017F;ie den, von &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;inkenden Kinnbakken nur mit Mu&#x0364;he in die Ho&#x0364;he ziehen.<lb/>
Der auf&#x017F;teigende A&#x017F;t des Unterkinnbakkens wird zugleich<lb/>
du&#x0364;nner und ku&#x0364;rzer <note place="foot" n="(r*)"><hi rendition="#aq">Mem. de l&#x2019;Acad. ann. 1758.<lb/>
p.</hi> 431.</note>. Der Mangel der Za&#x0364;hne macht<lb/>
auch, daß &#x017F;ie wenig ka&#x0364;uen, und ziemlich harte Spei&#x017F;en<lb/>
ganz ver&#x017F;chlukken, ob &#x017F;ie gleich &#x017F;chlecht durchgearbeitet<lb/>
worden. Und wenn Grei&#x017F;e, welche zuvor flei&#x017F;chig waren<lb/><note place="foot" n="(r**)">Am Grei&#x017F;e von 130 Jah-<lb/>
ren alt. <hi rendition="#aq">Phil. tran&#x017F;. n.</hi> 130.</note>, nunmehr mager werden, &#x017F;o ru&#x0364;hrt es davon her,<lb/>
daß &#x017F;ie weniger erna&#x0364;hrt werden, und die Schweislo&#x0364;cher,<lb/>
&#x017F;o das aus&#x017F;chwizzende Fett durchla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen, ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ind.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">End-</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[925[927]/0979] III. Abſ. Der Zuſtand des Menſchen. Die Eingeweide wachſen an ihre Bekleidungen und an die benachbarten Membranen ihre Saͤkke an: die Gelenke werden ſteif (o), weil die Baͤnder zu Knochen geworden; und weil ſich der Knochenſaft in die holen Pfannen ergoſſen. Die Greiſe kriechen ein, ſie werden kleiner, ihr Ruͤkk- grad kruͤmmt ſich nach vornen uͤber, theils weil die Mus- keln des Ruͤkkens ſchwach geworden, theils weil ſich der Knochenſaft vorwaͤrts zwiſchen die Koͤrper der Wirbel- beine ergießt, und mit ihnen zu einem Stuͤkke waͤchſt (p). Die erſt fetten Greiſe werden nunmehr mager, dieſe Ma- gerkeit ſteigt bis auf den hoͤchſten Punkt (q), ihre Knochen werden faſt um einen Zoll kuͤrzer, und die Glieder al- lenthalben kleiner. Sie koͤnnen, weil die Zahnluͤkken ver- ſchwinden (r), am Kinnbakken den Mund nicht wohl verſchlieſſen, und es hat ſelbſt die Kraft der Muskeln, ſo dieſen aufheben muͤſſen, ſo ſehr gelitten, daß ſie faſt in eins weg zu kaͤuen ſcheinen, weil ſie den, von ſelbſt ſinkenden Kinnbakken nur mit Muͤhe in die Hoͤhe ziehen. Der aufſteigende Aſt des Unterkinnbakkens wird zugleich duͤnner und kuͤrzer (r*). Der Mangel der Zaͤhne macht auch, daß ſie wenig kaͤuen, und ziemlich harte Speiſen ganz verſchlukken, ob ſie gleich ſchlecht durchgearbeitet worden. Und wenn Greiſe, welche zuvor fleiſchig waren (r**), nunmehr mager werden, ſo ruͤhrt es davon her, daß ſie weniger ernaͤhrt werden, und die Schweisloͤcher, ſo das ausſchwizzende Fett durchlaſſen ſollen, verſchloſſen ſind. End- (o) Alle Gelenke am Skelette zuſammen gewachſen. COLUMBUS p. 264. So MEKEL Mem. de l’Acad. de Berlin. T. XII. p. 50. 51. (p) B. GENGA. (q) Am Greiſe, aus Florida, einem Eltervater von fuͤnf Zeugun- gen. HAWKLUYT Itin. T. III. p. 322. auch Thiere, zum Exem- pel die Meerbaͤren l. c. (r) RUYSCH muſ. p. 131. (r*) Mem. de l’Acad. ann. 1758. p. 431. (r**) Am Greiſe von 130 Jah- ren alt. Phil. tranſ. n. 130.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/979
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 925[927]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/979>, abgerufen am 22.07.2024.