gezwungener Weise, dahin gerissen werden, zu andern Din- gen überzuhüpfen: sie sind Freunde von allen Arten der Bewegungen, vielleicht und wie ich vermuthe, wegen der Beschaffenheit des Herzens, welches bei ihnen ge- schwinder schlägt, indem die Vögel, wie die Kinder, unru- hig sind, ebenfalls viele Pulsschläge haben, und ihnen in so fern gleich sind. Es verlangt aber die Beurthei- lungskraft Zeit, um Begriffe, worüber wir zu urtheilen haben, nach allen ihren Stükken, aus denen sie beste- hen, abwägen zu können. So erinnere ich mich, daß man mich wider alle Billigkeit in meinem zehnten Jahre, da ich die Geschichte und die Dichter mit der grösten Gie- rigkeit losgezwungen, die Logik und besonders die Clau- bergsche zu lernen, ohngeachtet für einen solchen kleinen Menschen nichts trokneres als dieselbe seyn konnte.
Es ist das Nervensystem bei den Kindern noch sehr zart; sie erfreuen sich über ihr kleines Glükk, und sie weinen bei einem kleinen Verluste. Sie schlafen leicht und lange; leicht, wegen des sehr freyen Athemholens, wegen der sanften Säfte, wegen der richtigen Verdauung der Speisen: viel, wegen der grössern Anhäufung des Blutes im Kopfe, indessen daß die untern Gliedmassen noch klein sind, und wegen der schwächern Leben kräfte.
Sie werden fett, und es drükken daher die Maler das Kinderalter gemeiniglich durch die rundliche Hände und Füsse aus. Jhr Fadengewebe ist lokker, sie essen viel, und gemeiniglich vegetabilische Speisen.
Und dennoch erzeuget sich bei ihnen eine grosse Aus- artung der Säfte. Wir fanden bei der Frucht keinen Gestank des Urins, des Kothes, des Schweisses, und dieses gilt auch so gar bey zarten und reinlichen Kindern: noch ist die Galle nicht bitter: und alles ist bei ihnen sanft, und von der Fäulniß frey.
Doch findet sich nach und nach ein besonderer übler Geruch bei dem Urine ein; die Nieren, welche von Käl-
bern
H. Phisiol. 8 B. F f f
I. Abſ. Das Wachſen des Koͤrpers.
gezwungener Weiſe, dahin geriſſen werden, zu andern Din- gen uͤberzuhuͤpfen: ſie ſind Freunde von allen Arten der Bewegungen, vielleicht und wie ich vermuthe, wegen der Beſchaffenheit des Herzens, welches bei ihnen ge- ſchwinder ſchlaͤgt, indem die Voͤgel, wie die Kinder, unru- hig ſind, ebenfalls viele Pulsſchlaͤge haben, und ihnen in ſo fern gleich ſind. Es verlangt aber die Beurthei- lungskraft Zeit, um Begriffe, woruͤber wir zu urtheilen haben, nach allen ihren Stuͤkken, aus denen ſie beſte- hen, abwaͤgen zu koͤnnen. So erinnere ich mich, daß man mich wider alle Billigkeit in meinem zehnten Jahre, da ich die Geſchichte und die Dichter mit der groͤſten Gie- rigkeit losgezwungen, die Logik und beſonders die Clau- bergſche zu lernen, ohngeachtet fuͤr einen ſolchen kleinen Menſchen nichts trokneres als dieſelbe ſeyn konnte.
Es iſt das Nervenſyſtem bei den Kindern noch ſehr zart; ſie erfreuen ſich uͤber ihr kleines Gluͤkk, und ſie weinen bei einem kleinen Verluſte. Sie ſchlafen leicht und lange; leicht, wegen des ſehr freyen Athemholens, wegen der ſanften Saͤfte, wegen der richtigen Verdauung der Speiſen: viel, wegen der groͤſſern Anhaͤufung des Blutes im Kopfe, indeſſen daß die untern Gliedmaſſen noch klein ſind, und wegen der ſchwaͤchern Leben kraͤfte.
Sie werden fett, und es druͤkken daher die Maler das Kinderalter gemeiniglich durch die rundliche Haͤnde und Fuͤſſe aus. Jhr Fadengewebe iſt lokker, ſie eſſen viel, und gemeiniglich vegetabiliſche Speiſen.
Und dennoch erzeuget ſich bei ihnen eine groſſe Aus- artung der Saͤfte. Wir fanden bei der Frucht keinen Geſtank des Urins, des Kothes, des Schweiſſes, und dieſes gilt auch ſo gar bey zarten und reinlichen Kindern: noch iſt die Galle nicht bitter: und alles iſt bei ihnen ſanft, und von der Faͤulniß frey.
Doch findet ſich nach und nach ein beſonderer uͤbler Geruch bei dem Urine ein; die Nieren, welche von Kaͤl-
bern
H. Phiſiol. 8 B. F f f
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[815[817]/0869]
I. Abſ. Das Wachſen des Koͤrpers.
gezwungener Weiſe, dahin geriſſen werden, zu andern Din-
gen uͤberzuhuͤpfen: ſie ſind Freunde von allen Arten der
Bewegungen, vielleicht und wie ich vermuthe, wegen
der Beſchaffenheit des Herzens, welches bei ihnen ge-
ſchwinder ſchlaͤgt, indem die Voͤgel, wie die Kinder, unru-
hig ſind, ebenfalls viele Pulsſchlaͤge haben, und ihnen
in ſo fern gleich ſind. Es verlangt aber die Beurthei-
lungskraft Zeit, um Begriffe, woruͤber wir zu urtheilen
haben, nach allen ihren Stuͤkken, aus denen ſie beſte-
hen, abwaͤgen zu koͤnnen. So erinnere ich mich, daß
man mich wider alle Billigkeit in meinem zehnten Jahre,
da ich die Geſchichte und die Dichter mit der groͤſten Gie-
rigkeit losgezwungen, die Logik und beſonders die Clau-
bergſche zu lernen, ohngeachtet fuͤr einen ſolchen kleinen
Menſchen nichts trokneres als dieſelbe ſeyn konnte.
Es iſt das Nervenſyſtem bei den Kindern noch ſehr
zart; ſie erfreuen ſich uͤber ihr kleines Gluͤkk, und ſie
weinen bei einem kleinen Verluſte. Sie ſchlafen leicht
und lange; leicht, wegen des ſehr freyen Athemholens,
wegen der ſanften Saͤfte, wegen der richtigen Verdauung
der Speiſen: viel, wegen der groͤſſern Anhaͤufung des
Blutes im Kopfe, indeſſen daß die untern Gliedmaſſen
noch klein ſind, und wegen der ſchwaͤchern Leben kraͤfte.
Sie werden fett, und es druͤkken daher die Maler
das Kinderalter gemeiniglich durch die rundliche Haͤnde
und Fuͤſſe aus. Jhr Fadengewebe iſt lokker, ſie eſſen
viel, und gemeiniglich vegetabiliſche Speiſen.
Und dennoch erzeuget ſich bei ihnen eine groſſe Aus-
artung der Saͤfte. Wir fanden bei der Frucht keinen
Geſtank des Urins, des Kothes, des Schweiſſes, und
dieſes gilt auch ſo gar bey zarten und reinlichen Kindern:
noch iſt die Galle nicht bitter: und alles iſt bei ihnen
ſanft, und von der Faͤulniß frey.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 815[817]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/869>, abgerufen am 22.11.2024.
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