serste Schwierigkeit, wie ein so künstlicher Bau aus einer rohen Materie geschaffen werden könne, zugleich mit gehoben; denn es hat der Schöpfer selbst nach dieser Hypothese den kleinen Körper gebaut, und dem Schöpfer fällt keine Art von Schöpfungen schwer: er hat vorlängst die rohe Materie, nach vorher bestimm- ten Absichten, und nach einem mit Weisheit vorgebil- deten Modelle, dergestalt, und zwar früher angeordnet, als die männliche Kraft dieselbe berührte. So siehet man an Pflanzen, die kein männliches Geschlechte ha- ben, bereits die Blumen in ihrer Vollkommenheit, die Saamenkapfeln fertig, und die Saamenkörner so ge- baut, wie sie seyn müssen, nur daß sie den wahren und fruchtbaren Saamen in sofern unähnlich sind, daß sie niemals zu einer neuen Pflanze aufwachsen.
Wir haben bereits gezeigt, daß man auch bei den Thieren vor der Begattung mit dem Männchen, Exem- pel von einem bereits fertigen Baue aufzeigen könne (e).
Wir werden zu der Entwikkelung, aber sonderlich dadurch geleitet, wenn wir von einem vollkommnen Thiere rükkwärts fortgehen, und die Reihe des Wachs- thumes und der Veränderungen rükkwärts verfolgen. Solchergestalt finden wir, daß dieses vollkommene Thier ehedem unvollkommen von einer andern Figur, von ei- nem andern Baue, roh und unförmlich, und dennoch unter seinen verschiedenen Wechseln immer einerlei Thier gewesen, indem diese Wechselungen ohne einen Sprung, jederzeit durch kleine Grade an einander hängen.
Man pfleget hier die Sommervögel, und die be- wundernswürdige Erfindung des Johann Swammer- dams(f) anzuführen, indem derselbe zeiget, daß ein
fliegen-
(e)[Spaltenumbruch]p. 92.
(f)Bibl. p. 579. t. 37. bloede- looz dierti II. p. 45. t. 13. Die Puppe ist ein verlarvter Sommer- [Spaltenumbruch]
vogel p 7. REAUMUR memoire pour servir a l'histoire des Insect. t. 1. p. 353. MALPIGHI von dem Seidenwurme p. 26.
Die Frucht. XXIX. B.
ſerſte Schwierigkeit, wie ein ſo kuͤnſtlicher Bau aus einer rohen Materie geſchaffen werden koͤnne, zugleich mit gehoben; denn es hat der Schoͤpfer ſelbſt nach dieſer Hypotheſe den kleinen Koͤrper gebaut, und dem Schoͤpfer faͤllt keine Art von Schoͤpfungen ſchwer: er hat vorlaͤngſt die rohe Materie, nach vorher beſtimm- ten Abſichten, und nach einem mit Weisheit vorgebil- deten Modelle, dergeſtalt, und zwar fruͤher angeordnet, als die maͤnnliche Kraft dieſelbe beruͤhrte. So ſiehet man an Pflanzen, die kein maͤnnliches Geſchlechte ha- ben, bereits die Blumen in ihrer Vollkommenheit, die Saamenkapfeln fertig, und die Saamenkoͤrner ſo ge- baut, wie ſie ſeyn muͤſſen, nur daß ſie den wahren und fruchtbaren Saamen in ſofern unaͤhnlich ſind, daß ſie niemals zu einer neuen Pflanze aufwachſen.
Wir haben bereits gezeigt, daß man auch bei den Thieren vor der Begattung mit dem Maͤnnchen, Exem- pel von einem bereits fertigen Baue aufzeigen koͤnne (e).
Wir werden zu der Entwikkelung, aber ſonderlich dadurch geleitet, wenn wir von einem vollkommnen Thiere ruͤkkwaͤrts fortgehen, und die Reihe des Wachs- thumes und der Veraͤnderungen ruͤkkwaͤrts verfolgen. Solchergeſtalt finden wir, daß dieſes vollkommene Thier ehedem unvollkommen von einer andern Figur, von ei- nem andern Baue, roh und unfoͤrmlich, und dennoch unter ſeinen verſchiedenen Wechſeln immer einerlei Thier geweſen, indem dieſe Wechſelungen ohne einen Sprung, jederzeit durch kleine Grade an einander haͤngen.
Man pfleget hier die Sommervoͤgel, und die be- wundernswuͤrdige Erfindung des Johann Swammer- dams(f) anzufuͤhren, indem derſelbe zeiget, daß ein
fliegen-
(e)[Spaltenumbruch]p. 92.
(f)Bibl. p. 579. t. 37. blœde- looz dierti II. p. 45. t. 13. Die Puppe iſt ein verlarvter Sommer- [Spaltenumbruch]
vogel p 7. REAUMUR mémoire pour ſervir a l’hiſtoire des Inſect. t. 1. p. 353. MALPIGHI von dem Seidenwurme p. 26.
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Die Frucht. XXIX. B.
ſerſte Schwierigkeit, wie ein ſo kuͤnſtlicher Bau aus
einer rohen Materie geſchaffen werden koͤnne, zugleich
mit gehoben; denn es hat der Schoͤpfer ſelbſt nach
dieſer Hypotheſe den kleinen Koͤrper gebaut, und dem
Schoͤpfer faͤllt keine Art von Schoͤpfungen ſchwer: er
hat vorlaͤngſt die rohe Materie, nach vorher beſtimm-
ten Abſichten, und nach einem mit Weisheit vorgebil-
deten Modelle, dergeſtalt, und zwar fruͤher angeordnet,
als die maͤnnliche Kraft dieſelbe beruͤhrte. So ſiehet
man an Pflanzen, die kein maͤnnliches Geſchlechte ha-
ben, bereits die Blumen in ihrer Vollkommenheit, die
Saamenkapfeln fertig, und die Saamenkoͤrner ſo ge-
baut, wie ſie ſeyn muͤſſen, nur daß ſie den wahren und
fruchtbaren Saamen in ſofern unaͤhnlich ſind, daß ſie
niemals zu einer neuen Pflanze aufwachſen.
Wir haben bereits gezeigt, daß man auch bei den
Thieren vor der Begattung mit dem Maͤnnchen, Exem-
pel von einem bereits fertigen Baue aufzeigen koͤnne (e).
Wir werden zu der Entwikkelung, aber ſonderlich
dadurch geleitet, wenn wir von einem vollkommnen
Thiere ruͤkkwaͤrts fortgehen, und die Reihe des Wachs-
thumes und der Veraͤnderungen ruͤkkwaͤrts verfolgen.
Solchergeſtalt finden wir, daß dieſes vollkommene Thier
ehedem unvollkommen von einer andern Figur, von ei-
nem andern Baue, roh und unfoͤrmlich, und dennoch
unter ſeinen verſchiedenen Wechſeln immer einerlei Thier
geweſen, indem dieſe Wechſelungen ohne einen Sprung,
jederzeit durch kleine Grade an einander haͤngen.
Man pfleget hier die Sommervoͤgel, und die be-
wundernswuͤrdige Erfindung des Johann Swammer-
dams (f) anzufuͤhren, indem derſelbe zeiget, daß ein
fliegen-
(e)
p. 92.
(f) Bibl. p. 579. t. 37. blœde-
looz dierti II. p. 45. t. 13. Die
Puppe iſt ein verlarvter Sommer-
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/298>, abgerufen am 23.11.2024.
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