nen Appetit übrig behielte; und so müste man, in der Liebe, im Stud[i]ren, und so auch in den Leibesbewegun- gen nicht einmal die Mittelmäßigkeit zu erreichen suchen.
Aber ich tröfte auch meine Patienten wieder, ich er- laube ihnen lange zu schlafen, und demselben lieber etwas einzuräumen, als mit Gewalt abzubrechen.
Belustigen müste man sich mit Spazzierengehen, mit der Betrachtung der Natur, mit Bücherlesen, ohne je- doch eine Begierde dabei zu haben, gelehrt werden, oder sich berühmt machen zu wollen. Man müste sich zu al- len Dingen leicht bequemen, und besonders in denjeni- gen Stükken glükklich seyn, welche sich uns freywillig darbieten, und uns nicht von geringen Ursachen geraubt werden können.
§. 21. Das lange Leben der Altväter vor der Sünd- fluth.
Vor der Sündfluth lief das Leben der Menschen langsamer ab, und es hatte ihnen die Natur eine län- gere Laufbahn ausgestekkt. So gleich nach dieser denk- würdigen Epoche, deren Spuren in der ganzen Welt ausgebreiter sind, fing bereits das Leben der Menschen an, wieder abzunehmen, und es lebte nach wenigen Jahrhunderten, da noch Sem, der vor der Sündfluth geboren, vorhanden war, Abraham welcher blos um sechs Jahre das Alter des Jenkins überlebte. Folglich kann diese so ansehnliche Abnahme in dem Leben der Men- schen eine andere Ursache, als die Sündfluth, gehabt haben.
Jn der That stand dadurch die Erde eine grosse Ver- änderung aus. Es stellte sich der Regen ein, welcher wenigstens für ein Land was Neues war, in welchem die ersten Menschen gewohnet hatten, indem jezt der Regen-
bogen
Leben u. Tod der Menſchen. XXX. B.
nen Appetit uͤbrig behielte; und ſo muͤſte man, in der Liebe, im Stud[i]ren, und ſo auch in den Leibesbewegun- gen nicht einmal die Mittelmaͤßigkeit zu erreichen ſuchen.
Aber ich troͤfte auch meine Patienten wieder, ich er- laube ihnen lange zu ſchlafen, und demſelben lieber etwas einzuraͤumen, als mit Gewalt abzubrechen.
Beluſtigen muͤſte man ſich mit Spazzierengehen, mit der Betrachtung der Natur, mit Buͤcherleſen, ohne je- doch eine Begierde dabei zu haben, gelehrt werden, oder ſich beruͤhmt machen zu wollen. Man muͤſte ſich zu al- len Dingen leicht bequemen, und beſonders in denjeni- gen Stuͤkken gluͤkklich ſeyn, welche ſich uns freywillig darbieten, und uns nicht von geringen Urſachen geraubt werden koͤnnen.
§. 21. Das lange Leben der Altvaͤter vor der Suͤnd- fluth.
Vor der Suͤndfluth lief das Leben der Menſchen langſamer ab, und es hatte ihnen die Natur eine laͤn- gere Laufbahn ausgeſtekkt. So gleich nach dieſer denk- wuͤrdigen Epoche, deren Spuren in der ganzen Welt ausgebreiter ſind, fing bereits das Leben der Menſchen an, wieder abzunehmen, und es lebte nach wenigen Jahrhunderten, da noch Sem, der vor der Suͤndfluth geboren, vorhanden war, Abraham welcher blos um ſechs Jahre das Alter des Jenkins uͤberlebte. Folglich kann dieſe ſo anſehnliche Abnahme in dem Leben der Men- ſchen eine andere Urſache, als die Suͤndfluth, gehabt haben.
Jn der That ſtand dadurch die Erde eine groſſe Ver- aͤnderung aus. Es ſtellte ſich der Regen ein, welcher wenigſtens fuͤr ein Land was Neues war, in welchem die erſten Menſchen gewohnet hatten, indem jezt der Regen-
bogen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f1030"n="976[978]"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Leben u. Tod der Menſchen. <hirendition="#aq">XXX.</hi> B.</hi></fw><lb/>
nen Appetit uͤbrig behielte; und ſo muͤſte man, in der<lb/>
Liebe, im Stud<supplied>i</supplied>ren, und ſo auch in den Leibesbewegun-<lb/>
gen nicht einmal die Mittelmaͤßigkeit zu erreichen ſuchen.</p><lb/><p>Aber ich troͤfte auch meine Patienten wieder, ich er-<lb/>
laube ihnen lange zu ſchlafen, und demſelben lieber etwas<lb/>
einzuraͤumen, als mit Gewalt abzubrechen.</p><lb/><p>Beluſtigen muͤſte man ſich mit Spazzierengehen, mit<lb/>
der Betrachtung der Natur, mit Buͤcherleſen, ohne je-<lb/>
doch eine Begierde dabei zu haben, gelehrt werden, oder<lb/>ſich beruͤhmt machen zu wollen. Man muͤſte ſich zu al-<lb/>
len Dingen leicht bequemen, und beſonders in denjeni-<lb/>
gen Stuͤkken gluͤkklich ſeyn, welche ſich uns freywillig<lb/>
darbieten, und uns nicht von geringen Urſachen geraubt<lb/>
werden koͤnnen.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 21.<lb/><hirendition="#b">Das lange Leben der Altvaͤter vor der Suͤnd-<lb/>
fluth.</hi></head><lb/><p>Vor der Suͤndfluth lief das Leben der Menſchen<lb/>
langſamer ab, und es hatte ihnen die Natur eine laͤn-<lb/>
gere Laufbahn ausgeſtekkt. So gleich nach dieſer denk-<lb/>
wuͤrdigen Epoche, deren Spuren in der ganzen Welt<lb/>
ausgebreiter ſind, fing bereits das Leben der Menſchen<lb/>
an, wieder abzunehmen, und es lebte nach wenigen<lb/>
Jahrhunderten, da noch <hirendition="#fr">Sem,</hi> der vor der Suͤndfluth<lb/>
geboren, vorhanden war, <hirendition="#fr">Abraham</hi> welcher blos um<lb/>ſechs Jahre das Alter des <hirendition="#fr">Jenkins</hi> uͤberlebte. Folglich<lb/>
kann dieſe ſo anſehnliche Abnahme in dem Leben der Men-<lb/>ſchen eine andere Urſache, als die Suͤndfluth, gehabt<lb/>
haben.</p><lb/><p>Jn der That ſtand dadurch die Erde eine groſſe Ver-<lb/>
aͤnderung aus. Es ſtellte ſich der Regen ein, welcher<lb/>
wenigſtens fuͤr ein Land was Neues war, in welchem die<lb/>
erſten Menſchen gewohnet hatten, indem jezt der Regen-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">bogen</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[976[978]/1030]
Leben u. Tod der Menſchen. XXX. B.
nen Appetit uͤbrig behielte; und ſo muͤſte man, in der
Liebe, im Studiren, und ſo auch in den Leibesbewegun-
gen nicht einmal die Mittelmaͤßigkeit zu erreichen ſuchen.
Aber ich troͤfte auch meine Patienten wieder, ich er-
laube ihnen lange zu ſchlafen, und demſelben lieber etwas
einzuraͤumen, als mit Gewalt abzubrechen.
Beluſtigen muͤſte man ſich mit Spazzierengehen, mit
der Betrachtung der Natur, mit Buͤcherleſen, ohne je-
doch eine Begierde dabei zu haben, gelehrt werden, oder
ſich beruͤhmt machen zu wollen. Man muͤſte ſich zu al-
len Dingen leicht bequemen, und beſonders in denjeni-
gen Stuͤkken gluͤkklich ſeyn, welche ſich uns freywillig
darbieten, und uns nicht von geringen Urſachen geraubt
werden koͤnnen.
§. 21.
Das lange Leben der Altvaͤter vor der Suͤnd-
fluth.
Vor der Suͤndfluth lief das Leben der Menſchen
langſamer ab, und es hatte ihnen die Natur eine laͤn-
gere Laufbahn ausgeſtekkt. So gleich nach dieſer denk-
wuͤrdigen Epoche, deren Spuren in der ganzen Welt
ausgebreiter ſind, fing bereits das Leben der Menſchen
an, wieder abzunehmen, und es lebte nach wenigen
Jahrhunderten, da noch Sem, der vor der Suͤndfluth
geboren, vorhanden war, Abraham welcher blos um
ſechs Jahre das Alter des Jenkins uͤberlebte. Folglich
kann dieſe ſo anſehnliche Abnahme in dem Leben der Men-
ſchen eine andere Urſache, als die Suͤndfluth, gehabt
haben.
Jn der That ſtand dadurch die Erde eine groſſe Ver-
aͤnderung aus. Es ſtellte ſich der Regen ein, welcher
wenigſtens fuͤr ein Land was Neues war, in welchem die
erſten Menſchen gewohnet hatten, indem jezt der Regen-
bogen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 976[978]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/1030>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.