Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Gehör. XV. Buch.

Man fügte dieser Anmerkung noch bei, daß uns die
Consonanzen, und leichte Proportionen darum gefielen,
daß die Seele, ob sie gleich ihrer eigenen Arbeit unkun-
dig ist, die Bebungen wirklich zähle, und sich an der
Begreiflichkeit der einfachen Verhältnisse belustige (a):
und dieses Arguments bedienen sich einige Stahlische
Schüler, um uns dunkele Empfindungen zu demon-
striren (b).

Nun scheint es allerdings wider unser Bewußtseyn,
und die allereinfältigste Erfahrung zu streiten, daß un-
sere Seele zählen, und in einer Sekunde 7000 Be-
bungen zählen, und doch davon nichts wissen soll, was
sie gethan hat. Schwerlich wird ein Arzt, welcher noch
so aufmerksam ist, 140 Pulsschläge, oder gar funf-
zigmal mehr Bebungen zählen, ohne zu wissen, daß
er gezählet habe.

Ausserdem ist die ganze Sache an sich falsch. Jch
habe erfahrne Thonkünstler gefragt (c*), ob überhaupt
diese leichte Consonanzen eine gefällige Melodie geben
würden? sie sagten, nein, und antworteten, es würde
kindisch und läppisch herauskommen, auf einerlei Sai-
te zu verbleiben.

Doch es bezeugt auch der in diesen Dingen erfahrne
Bartolus, daß nicht nur beide Terzen, sondern die
Sexten überhaupt, deren Verhältnisse wie 5 zu 3, und
8 zu 5 sind (d), in den Melodeien am angenehm-
sten sind.

(c)
Auf
(a) [Spaltenumbruch] Nach der Vermuthung des
MERSENNI Harm. pag. 265.
HARTSOECKER Physique pag.
139. TAGLINI de aere pag. 227.
KRüGER,
Grundriß, pag. 39.
physiolog. n. 334. KRATZEN-
STEIN
Beweiß p. 55. NICO-
LAI
von der Schönheit, p. 40.
[Spaltenumbruch] von der Musik, p. 17. BUFFON
T. III. 340. seqq.
(b) KRUGER, KRATZEN-
STEIN, NICOLAI.
(c*) add. HALLE von Thieren
p. 111.
(d) pag. 231.
(c) pag. 271.
Das Gehoͤr. XV. Buch.

Man fuͤgte dieſer Anmerkung noch bei, daß uns die
Conſonanzen, und leichte Proportionen darum gefielen,
daß die Seele, ob ſie gleich ihrer eigenen Arbeit unkun-
dig iſt, die Bebungen wirklich zaͤhle, und ſich an der
Begreiflichkeit der einfachen Verhaͤltniſſe beluſtige (a):
und dieſes Arguments bedienen ſich einige Stahliſche
Schuͤler, um uns dunkele Empfindungen zu demon-
ſtriren (b).

Nun ſcheint es allerdings wider unſer Bewußtſeyn,
und die allereinfaͤltigſte Erfahrung zu ſtreiten, daß un-
ſere Seele zaͤhlen, und in einer Sekunde 7000 Be-
bungen zaͤhlen, und doch davon nichts wiſſen ſoll, was
ſie gethan hat. Schwerlich wird ein Arzt, welcher noch
ſo aufmerkſam iſt, 140 Pulsſchlaͤge, oder gar funf-
zigmal mehr Bebungen zaͤhlen, ohne zu wiſſen, daß
er gezaͤhlet habe.

Auſſerdem iſt die ganze Sache an ſich falſch. Jch
habe erfahrne Thonkuͤnſtler gefragt (c*), ob uͤberhaupt
dieſe leichte Conſonanzen eine gefaͤllige Melodie geben
wuͤrden? ſie ſagten, nein, und antworteten, es wuͤrde
kindiſch und laͤppiſch herauskommen, auf einerlei Sai-
te zu verbleiben.

Doch es bezeugt auch der in dieſen Dingen erfahrne
Bartolus, daß nicht nur beide Terzen, ſondern die
Sexten uͤberhaupt, deren Verhaͤltniſſe wie 5 zu 3, und
8 zu 5 ſind (d), in den Melodeien am angenehm-
ſten ſind.

(c)
Auf
(a) [Spaltenumbruch] Nach der Vermuthung des
MERSENNI Harm. pag. 265.
HARTSOECKER Phyſique pag.
139. TAGLINI de aëre pag. 227.
KRüGER,
Grundriß, pag. 39.
phyſiolog. n. 334. KRATZEN-
STEIN
Beweiß p. 55. NICO-
LAI
von der Schoͤnheit, p. 40.
[Spaltenumbruch] von der Muſik, p. 17. BUFFON
T. III. 340. ſeqq.
(b) KRUGER, KRATZEN-
STEIN, NICOLAI.
(c*) add. HALLE von Thieren
p. 111.
(d) pag. 231.
(c) pag. 271.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0722" n="704"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das Geho&#x0364;r. <hi rendition="#aq">XV.</hi> Buch.</hi> </fw><lb/>
            <p>Man fu&#x0364;gte die&#x017F;er Anmerkung noch bei, daß uns die<lb/>
Con&#x017F;onanzen, und leichte Proportionen darum gefielen,<lb/>
daß die Seele, ob &#x017F;ie gleich ihrer eigenen Arbeit unkun-<lb/>
dig i&#x017F;t, die Bebungen wirklich za&#x0364;hle, und &#x017F;ich an der<lb/>
Begreiflichkeit der einfachen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e belu&#x017F;tige <note place="foot" n="(a)"><cb/>
Nach der Vermuthung des<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">MERSENNI</hi> Harm. pag. 265.<lb/>
HARTSOECKER Phy&#x017F;ique pag.<lb/>
139. TAGLINI de aëre pag. 227.<lb/>
KRüGER,</hi> Grundriß, <hi rendition="#aq">pag. 39.<lb/>
phy&#x017F;iolog. n. 334. KRATZEN-<lb/>
STEIN</hi> Beweiß <hi rendition="#aq">p. 55. <hi rendition="#g">NICO-<lb/>
LAI</hi></hi> von der Scho&#x0364;nheit, <hi rendition="#aq">p.</hi> 40.<lb/><cb/>
von der Mu&#x017F;ik, <hi rendition="#aq">p. 17. BUFFON<lb/>
T. III. 340. &#x017F;eqq.</hi></note>:<lb/>
und die&#x017F;es Arguments bedienen &#x017F;ich einige <hi rendition="#fr">Stahli&#x017F;che</hi><lb/>
Schu&#x0364;ler, um uns dunkele Empfindungen zu demon-<lb/>
&#x017F;triren <note place="foot" n="(b)"><hi rendition="#aq">KRUGER, KRATZEN-<lb/>
STEIN, <hi rendition="#g">NICOLAI.</hi></hi></note>.</p><lb/>
            <p>Nun &#x017F;cheint es allerdings wider un&#x017F;er Bewußt&#x017F;eyn,<lb/>
und die allereinfa&#x0364;ltig&#x017F;te Erfahrung zu &#x017F;treiten, daß un-<lb/>
&#x017F;ere Seele za&#x0364;hlen, und in einer Sekunde 7000 Be-<lb/>
bungen za&#x0364;hlen, und doch davon nichts wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;oll, was<lb/>
&#x017F;ie gethan hat. Schwerlich wird ein Arzt, welcher noch<lb/>
&#x017F;o aufmerk&#x017F;am i&#x017F;t, 140 Puls&#x017F;chla&#x0364;ge, oder gar funf-<lb/>
zigmal mehr Bebungen za&#x0364;hlen, ohne zu wi&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
er geza&#x0364;hlet habe.</p><lb/>
            <p>Au&#x017F;&#x017F;erdem i&#x017F;t die ganze Sache an &#x017F;ich fal&#x017F;ch. Jch<lb/>
habe erfahrne Thonku&#x0364;n&#x017F;tler gefragt <note place="foot" n="(c*)"><hi rendition="#aq">add. HALLE</hi> von Thieren<lb/><hi rendition="#aq">p.</hi> 111.</note>, ob u&#x0364;berhaupt<lb/>
die&#x017F;e leichte Con&#x017F;onanzen eine gefa&#x0364;llige Melodie geben<lb/>
wu&#x0364;rden? &#x017F;ie &#x017F;agten, nein, und antworteten, es wu&#x0364;rde<lb/>
kindi&#x017F;ch und la&#x0364;ppi&#x017F;ch herauskommen, auf einerlei Sai-<lb/>
te zu verbleiben.</p><lb/>
            <p>Doch es bezeugt auch der in die&#x017F;en Dingen erfahrne<lb/><hi rendition="#fr">Bartolus,</hi> daß nicht nur beide Terzen, &#x017F;ondern die<lb/>
Sexten u&#x0364;berhaupt, deren Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e wie 5 zu 3, und<lb/>
8 zu 5 &#x017F;ind <note place="foot" n="(d)"><hi rendition="#aq">pag.</hi> 231.</note>, in den Melodeien am angenehm-<lb/>
&#x017F;ten &#x017F;ind.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Auf</fw><lb/>
            <note place="foot" n="(c)"><hi rendition="#aq">pag.</hi> 271.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[704/0722] Das Gehoͤr. XV. Buch. Man fuͤgte dieſer Anmerkung noch bei, daß uns die Conſonanzen, und leichte Proportionen darum gefielen, daß die Seele, ob ſie gleich ihrer eigenen Arbeit unkun- dig iſt, die Bebungen wirklich zaͤhle, und ſich an der Begreiflichkeit der einfachen Verhaͤltniſſe beluſtige (a): und dieſes Arguments bedienen ſich einige Stahliſche Schuͤler, um uns dunkele Empfindungen zu demon- ſtriren (b). Nun ſcheint es allerdings wider unſer Bewußtſeyn, und die allereinfaͤltigſte Erfahrung zu ſtreiten, daß un- ſere Seele zaͤhlen, und in einer Sekunde 7000 Be- bungen zaͤhlen, und doch davon nichts wiſſen ſoll, was ſie gethan hat. Schwerlich wird ein Arzt, welcher noch ſo aufmerkſam iſt, 140 Pulsſchlaͤge, oder gar funf- zigmal mehr Bebungen zaͤhlen, ohne zu wiſſen, daß er gezaͤhlet habe. Auſſerdem iſt die ganze Sache an ſich falſch. Jch habe erfahrne Thonkuͤnſtler gefragt (c*), ob uͤberhaupt dieſe leichte Conſonanzen eine gefaͤllige Melodie geben wuͤrden? ſie ſagten, nein, und antworteten, es wuͤrde kindiſch und laͤppiſch herauskommen, auf einerlei Sai- te zu verbleiben. Doch es bezeugt auch der in dieſen Dingen erfahrne Bartolus, daß nicht nur beide Terzen, ſondern die Sexten uͤberhaupt, deren Verhaͤltniſſe wie 5 zu 3, und 8 zu 5 ſind (d), in den Melodeien am angenehm- ſten ſind. Auf (c) (a) Nach der Vermuthung des MERSENNI Harm. pag. 265. HARTSOECKER Phyſique pag. 139. TAGLINI de aëre pag. 227. KRüGER, Grundriß, pag. 39. phyſiolog. n. 334. KRATZEN- STEIN Beweiß p. 55. NICO- LAI von der Schoͤnheit, p. 40. von der Muſik, p. 17. BUFFON T. III. 340. ſeqq. (b) KRUGER, KRATZEN- STEIN, NICOLAI. (c*) add. HALLE von Thieren p. 111. (d) pag. 231. (c) pag. 271.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/722
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/722>, abgerufen am 21.06.2024.